Jakob Lorber: 'Das große Evangelium Johannes', Band 01, Kapitel 173


Engel retten Tobias vor dem Zorn der Pharisäer. Allgemeiner Aufbruch zum Berggipfel vor Sonnenaufgang.

01] Einige nahmen das an, was nun dieser alte Mann, der, wie schon bekanntgegeben, Tobias hieß, geredet hatte; aber der größere Teil war darüber also erbost, dass er seine Kleider zerreißen wollte und hernach steinigen den alten Tobias und alle, die mit ihm hielten.

02] Aber der alte Tobias sprach: »O führt euer Vorhaben nur aus an uns, die wir euch ein stechender Dorn in euren Augen geworden sind! Die drei Engel, die noch hier sind, werden euch für solche eure löbliche Mühe auch einen löblichen Lohn in der Hölle anweisen, und die Teufel werden den begonnenen Riß in euren Röcken vollenden!«

03] Als Tobias solche energischen Worte zu seinen wütenden Kollegen ausgesprochen hatte und diese Steine zu suchen begannen, traten die drei Engel in die Hütte, und ihre Gesichter leuchteten wie die Sonne.

04] Als die Widerspenstigen solches ersahen, ergriff sie eine große Furcht, und sie fielen auf ihre Angesichter und baten heulend vor Angst die drei um Vergebung.

05] Diese aber sprachen: »So ihr derer Feinde seid, die von Gottes Geist getrieben und gezogen werden, wer sind dann eure Freunde? Wir sagen es euch ins Angesicht: Das sind die Teufel! Darum bekehrt euch, sonst sollt ihr die Macht des Allerhöchsten verkosten!«

06] Schreien die vor Todesangst Bebenden: »Was sollen wir tun?« Sagen die drei: »Demütig sein und glauben dem wahren, einigen Sohne Gottes, dessen Seele Eines ist mit dem Vater! Denn der Vater ist in Ihm, und nicht außer Ihm!« Nach solchen Worten verschwinden die drei Engel, und die Pharisäer fangen an, sich wieder aufzurichten und stehen völlig ab von ihrem überaus argen Vorhaben.

07] Der Tobias aber fragt sie nun und sagt: »Nun, wie ist es, was wollt ihr tun? Wo sind die verfluchten Steine? Warum vergriffet ihr euch denn nun nicht an den dreien, die ihr früher noch für die verkappten drei Magier aus Persien hieltet?«

08] Sagen die gewaltigst Betroffenen: »Du weißt ja doch, dass wir die Satzungen Mosis halten müssen, auf die wir beim Himmel und beim Tempel geschworen haben! So aber dieser Jesus nun überall das Gegenteil lehrt und tut, wie soll es uns denn so leicht möglich sein, unsern Eid für diese nahe ganz antimosaische Lehre zu vertauschen? Aber wir wollen nachdenken und sehen, was da zu machen sein wird! Wir sagen nun weder ja noch nein; denn es steht geschrieben, dass aus Galiläa nie ein Prophet erstehen soll! Und somit ist diese Sache, so wunderbar in ihrer einzigen Art sie auch ist, dennoch immer mit sehr vielen Bedenklichkeiten verbunden!«

09] Sagt Tobias: »Das ist zwar richtig, dass aus Galiläa kein Prophet erstehen soll; aber ich frage, ob es auch geschrieben steht, dass aus Galiläa der Messias nicht erstehen soll! Von dem steht meines Wissens nirgends etwas! Und es ist in bezug auf den kommenden Messias auch nirgends ein Ort besonders angezeigt, wo der Messias erstehen soll! Wenn nach der Schrift immerhin Galiläa keinen Propheten geben soll, so kann es doch ganz gut den Messias geben! Denn zwischen einem Propheten und dem Messias wird etwa doch wohl ein unendlicher Unterschied sein?!« Sagen die Betroffenen: »Da hast du recht; darum wollen wir darüber viel nachdenken.«

10] Sagt ein anderer Pharisäer im Hintergrunde, der der ganzen, lang andauernden Verhandlung ganz ruhig zugehört hatte, ohne sich inzwischen irgendeiner Meinung entäußert zu haben: »Freunde und Brüder! Um dieser höchst wunderbaren Sache auf den Grund zu kommen, dazu gehört ein völlig nüchterner und unschläfriger Gemütszustand; wir aber sind alle mehr oder weniger betrunken vom Abendmahle her und sind dazu noch voll Schlafes! Wie möglich können und wollen wir da sonach über eine so wunderbare und dabei doch keineswegs unwichtige und ernstlose Sache ein gültiges Urteil aussprechen?

11] Deshalb denke ich nun, dass wir ein wenig schlafen und morgen die weitere und sicher weisere Verhandlung fortsetzen sollten! Denn wie es mir vorkommt, so fängt es ohnehin schon an zu dämmern, und der Morgen wird nicht lange mehr auf sich warten lassen; daher sollten wir dem Sabbat doch wenigstens in der geziemenden Ruhe entgegengehen, nicht aber im Streite unserer Meinungen und Ansichten!

12] Die große Schar der Jesusanhänger fängt schon an sich zu rühren, wie es mir vorkommt! Wir wollen oder sollen sie beobachten, wie aber, wenn wir voll Schlafes sind und sie uns etwa früher abgehen, als wir erwachen werden, wenn wir nun nötigerweise nur ein wenig einschlafen?!«

13] Fällt ihm ein anderer in die Rede und sagt: »Da ist leicht geholfen; wir stellen eine Wache auf!« Sagt der früher Redende: »Wen? Etwa dich oder jemand andern, der so gut wie du und ich voll Schlafs ist und als Wache so gut einschlafen wird als wir beide?!«

14] Sagt ein dritter: »Mit dem Schlafen wird es sich durchaus nicht mehr tun; denn die andern fangen schon an, sich zur Abreise anzuschicken; daher wird uns wohl auch nichts übrigbleiben, als solchem ihrem Beispiele zu folgen. Denn der Weg hinab in die Ebene ist gedehnt, und wir werden bis zum Aufgange noch lange nicht im Dorfe sein!«

15] Sagt ein vierter: »Na, nun ist auch der Meister Jesus vor der Hütte und macht Anstalt zur Abreise; es wird uns daher wohl nichts übrigbleiben, als ebenfalls schleunigst aufzubrechen?«

16] Sagt der erste: »Na, da haben wir's! Wie ich's ehedem mir gedacht habe, gerade also ist es nun. Das wird eine schöne Reise werden ohne Schlaf und dazu noch ganz weinberauscht vom gestrigen Abendmahle!«

17] Sagen mehrere: »Je nun, es ist nun einmal nicht mehr anders möglich! Sie, die ausgeruht haben, werden auf uns sicher nicht warten! Daher auf! Schlafen wollen wir hernach unten im Dorfe.« Nun erheben sich alle und begeben sich schnell ins Freie hinaus.

18] Als die Pharisäer bereits alle reisefertig sind, Ich aber die Reise ins Tal hinab noch nicht sogleich beginne, werden sie unwillig bis auf wenige und fragen Mich, ob Ich denn noch nicht abziehen wolle.

19] Ich aber sage ihnen: »Ich bin ein Herr und tue, was Ich will, und es hat Mich niemand zu fragen: 'Warum also?' So aber das jemandem unangenehm fällt also, wie Ich es will für Mich und für die Meinen, der tue, was er will, denn Ich binde niemanden! Will jemand gehen, nun, so gehe er! Will aber jemand warten, nun, so warte er in aller Geduld! Vor dem Aufgange werde Ich nicht weiterziehen und werde zuvor noch ein Morgenmahl zu Mir nehmen; denn der Weg ist weit und beschwerlich.«

20] Sagen die Pharisäer: »So können wir noch eine kurze Weile uns zur Ruhe begeben?« Sage Ich: »Ganz sicher! Denn des Lichtes eurer Augen bedarf die Erde nicht bei dem Aufgange, wohl aber des Lichtes Meiner Augen, auf dass es Licht werde in der Tiefe!«

21] Sagen die Pharisäer unter sich: »Das verstehe, wer es kann und mag; wir verstehen es nicht!«

22] Sagt der alte Tobias: »Ich verstehe es schon und bleibe darum auch hier in der Freie; vielleicht wird auch in meiner Tiefe eine Helle erstehen.«

23] Sagen die andern: »Tue du alter Kauz, was du willst; wir aber gehen wieder in die Hütte und werden noch ein wenig schlafen.« Mit diesen Worten begeben sich alle schnell in die Hütte und werfen sich daselbst auf ihre Lager.

24] Tobias aber geht ganz ehrfurchtsvoll zu Mir her und will Mir alles kundtun, was sich in seiner Hütte die Nacht hindurch zugetragen hat. Ich aber vertröste ihn und sage: »Ich weiß um alles! Und wüßte Ich's nicht, wie möglich hätte Ich dir zur rechten Zeit eine Hilfe zu senden vermocht?! Laß daher nun alles gut sein! Denn wer sich vor der Zeit erhebt wider Mich, der soll hart wider den Stachel zu löcken haben! Darum sei ohne Furcht! Denn fürderhin soll dir nichts Widerwärtiges mehr begegnen!

25] Gehen wir aber nun ein wenig höher hinauf, und zwar auf jenen Hügel gen Morgen hin; von dort aus werden wir die Herrlichkeit eines schönsten Aufganges zu sehen bekommen; und so was stärkt die Seele wie auch des Leibes Glieder und erheitert das Herz und die Nieren.«

26] Auf solch Wörtlein begibt sich nun alles mit Mir hinauf auf den Alpenhügel und erwartet sehnsuchtsvoll den Aufgang der Sonne, der auch nicht mehr gar zu lange auf sich warten ließ.



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