Jakob Lorber: ''Das große Evangelium Johannes', Band 2, Kapitel 194
Jarah verteidigt ihre Liebe zu Jesus. 01] Sagt darauf der alte Markus: »Herr und Meister aller Meister der Welt! Du hattest früher zu mir gesagt, daß ich heute noch gar vieles und Seltenstes über des Menschen Bestimmung vernehmen werde und werde auch kennenlernen das Reich Gottes. Ja wahrlich und überaus wunderbar! Ich habe nun den Tag über schon so vieles gehört, gesehen und erlebt, wie sonst früher mein ganzes Leben hindurch nie; und so find ich nicht nun Deine Weissagung als völlig bestätigt an mir, und ich werde darum nun alles tun, damit auch unsere müden Glieder nicht unbefriedigt sich zur Ruhe begeben sollen.«
02] Sage Ich: »Ja, ja, siehe du nach, oh die Köchinnen mit ihrer Kunst schon bald zu Ende sind! Nach dem Mahle wird noch so manches vorkommen, was dich in das Gottesreich abermals näher einweihen wird.«
03] Sagt Markus: »Aber Herr, was ist das denn mit diesem lieben Mädchen, das Dich noch immer festhält und Deine Brust mit Tränen benetzt; wird es Dich, wie es scheint, etwa wohl gar nicht mehr auslassen?!«
04] Sage Ich: »Frage du darob das Mädchen, es wird dir keine Antwort schuldig bleiben!«
05] Markus fragt nun die himmlisch schmachtende Jarah.
06] Jarah aber richtet sich sogleich auf und sagt: »Höre, du lieber, alter Freund! Wer Den hier einmal ergriffen hat, der darf Ihn nimmer auslassen; denn läßt er Ihn aus, so hat er dadurch auch sein ewiges Leben ausgelassen und somit verloren für immerdar. Das, was ich körperlich tue, das sollet ihr alle im Herzen tun, wie auch ich es vor allem im Herzen tue!
07] Wer sein Leben liebt, den Herrn des Lebens aber oft leichtsinnig genug der Welt wegen fahren läßt, der wird sein Leben auch verlieren, weil er den Herrn des Lebens verloren hat. Wer aber sein Leben nicht achtet und nur das >Leben< heißt in seinem Herzen, dem Herrn alles Lebens allein zu leben, der wird das Leben erhalten für ewig, und stürbe er auch tausendmal dem Leibe nach!
08] Siehe, ich habe den Herrn, als Er zu uns kam, zuerst erkannt in meinem Herzen und liebe Ihn allein über alles; ja, wenn Er es jetzt von mir verlangte, daß ich sterben solle für Ihn, so wäre der Tod mir ein Labsal! Denn ich weiß und fühle es ja lebendigst, daß die Liebe zu Ihm ewig nimmer sterben kann, weil es ihr unmöglich ist, eine Sünde zu begehen, die da allein ist ein wahrer Tod der Seele. Ist aber des Menschen Seele tot, dann ist auch der ganze Mensch tot. Das merke dir wohl, du alter Mann; denn ich bin aus der Schule des Himmels, welcher ist die Liebe und die Wahrheit und das Leben. Was ich dir nun gesagt habe, ist Lehre aus den Himmeln, und du magst sie darum wohl beachten!«
09] Als der alte Markus solches von der Jarah vernommen hatte, sprach er, ganz von einem höheren Enthusiasmus (Begeisterung) durchdrungen: »O du Kind aus den Himmeln, viel zu gut und zu rein für diese schmutzige Erde! Wahrlich, wenn der Herr dies mein Haus leiblich wieder verlassen sollte, dann werde ich zu dir kommen, himmlische Weisheit zu erlernen! Oh, welch ein Unterschied zwischen dir und meinen Töchtern! Du bist schon eine Sonne, und meine Töchter sind kaum ein Abglanz der großen Himmelsleuchte in einem kleinsten Tautröpfchen! O Ebahl, wie glücklich bist du doch, ein Vater solch eines Engels zu sein!«
10] Hier fielen dem alten Markus Tränen aus den wonnetrunkenen Augen, und er ging schnell in die Küche, nach dem Abendmahle zu sehen, und erzählte es seinen Töchtern, welche Lehre er von dem Mägdlein aus Genezareth erhalten habe, und die Töchter staunten und baten ihn, daß er nach dem Mahle ihnen Gelegenheit verschaffen möge, daß sie sich mit solch einem himmlischen Kinde ein wenig besprechen dürften.
11] Markus war darüber sehr erfreut und versprach ihnen solches zu bewirken, nur sollten sie sich befleißen, mit dem Abendmahl bald fertig zu werden. Und die Töchter sprachen: »Vater, in einer kleinen Viertelstunde wird alles in der besten Bereitschaft sein!«
12] Mit dem ging Markus wieder aus der Küche und beauftragte die Söhne, schnell Wein und Brot zum voraus auf die Tische vor dem Hause zu stellen und auch dafür zu sorgen, daß es am Lichte nicht mangeln werde; auf den Tischen sollen mehrere wohlgefüllte Lampen brennen, und der andere Hofraum solle mit den Fischerfackeln über und über die ganze Nacht hindurch erleuchtet werden! - Alles das ward schnell ins Werk gesetzt, und als es etwas dunkel geworden war, brannten schon auf allen Tischen eine Menge Lampen, und den ziemlich weiten Hofraum erhellten die bewußten Fischerfackeln. Bald darauf wurden gar köstlich bereitete Speisen auf die Tische gebracht, als wohlbereitete Fische, Brot, Wein und allerlei Obst.
13] Vor dem Essen sprach die Jarah einen Psalm Davids vor und bat Mich darauf um die Segnung der Speisen und der Getränke; und Ich tat dies, und wir alle setzten uns darauf an die Tische, verzehrten ganz wohlgemut die vorgesetzten Speisen und wurden heiter beim mäßigen Genusse des Weines. Ich saß zwischen dem Cyrenius und der lieblichsten Jarah; Cyrenius saß Mir zur Linken und Jarah zur Rechten; neben der Jarah saß ihr Raphael und dem gegenüber der alte Markus. Diesem aber fiel es auf, wie der Raphael die Speisen verzehrte; denn so Raphael entweder einen Fisch oder ein Stück Brot, ein Obststück oder einen Becher Wein an den Mund brachte, so verschwand alles vor dem Munde, und Markus sah den Jüngling weder kauen noch irgendeine Speise verschlingen.
14] Josoe, der Ziehsohn des Cyrenius, der gleich neben Cyrenius saß, bemerkte die stille Verwunderung des alten Markus und sagte: »Alter Krieger Markus! Was gefällt dir an dem Rabbi Raphael so gut, daß du deine Augen gar nicht von ihm abwenden kannst?«
15] Spricht der Alte: »Ja, du mein hoher Sohn meines Herrn und meines Gebieters, das ist eine ganz sonderbare Erscheinung! Dieser Junge führt Speise und Trank zum Munde, öffnet den Mund nie, kaut nicht und verschlingt nichts; aber die Speisen verschwinden vor seinem Munde! Wie das? Wie geht das zu? Das ist ja schon wieder ein Wunder! Was soll ich daraus lernen?«