Jakob Lorber: ''Das große Evangelium Johannes', Band 2, Kapitel 118


Episode zwischen dem Hauptmann und den Tempelabgeordneten.

01] Hier tritt der Hauptmann auf und sagt: »Den Mann, um den ihr euch erkundiget, kenne ich sehr genau und weiß um alle Seine Taten, auch um jene, die erst kaum vor etlichen Wochen von Ihm im Orte Kis vollbracht ward, wo eben Er durch Seinen göttlich prophetischen Geist dem Gerichtsvorsteher Faustus eröffnet hat, daß die kaiserlichen Steuergelder und sonstigen Schätze aus dem Pontus und aus Kleinasien kommend, von euresgleichen der römischen Überbringungskarawane auf eine allerschmählichst pfiffige Art abgenommen worden sind, was den Oberstatthalter Cyrenius in die größte Verlegenheit und ganz Galiläa, ja sogar das ganze jüdische Reich, in die größte Gefahr gesetzt hat.

02] Nur eben dem Jesus hat der Oberstatthalter, das ganze Judenreich und ihr selbst es zu verdanken, daß ihr jetzt noch lebet! Denn wären jene von euresgleichen geraubten kaiserlichen Gelder durch Jesus nicht zum Vorscheine gekommen, so wäre das ganze Land gebrandschatzt worden, und alle Schätze von ganz Judäa hätten nicht hingereicht, den verübten Frevel zu sühnen! Daß es aber also gut und stille für euch und euresgleichen zu Jerusalem, wie im ganzen Judenreiche, abgelaufen ist, das habt ihr allein Jesus, dem größten und weisesten und mächtigsten Propheten zu verdanken; und es ist darum im höchsten Grade schlecht und unbillig von euch, so ihr ausgehet, einen Mann zu verfolgen, dem ihr nun alles, euer Leben und Sein, zu verdanken habt!

03] Das aber, was ihr soeben aussagtet, daß ihr deshalb nach Nazareth ziehet, um den Jesus gleich wie einen größten Verbrecher zu fangen und zu untersuchen, ist Er am allerwenigsten! Er wiegelt keinen Menschen weder gegen euch und noch weniger gegen den Kaiser auf, ansonst mir geheim wohlbekanntermaßen Cyrenius nicht Sein Freund wäre! -

04] Aber nun von etwas anderem, meine Tempelherren! Ihr werdet etwa doch wissen, daß hier in Genezareth sich schon seit einigen Jahren gleichfort ein römisches Militärlager befindet; und es muß daher ein jeder Mensch, ohne Ausnahme, wes Standes und Landes er auch sei, eine verläßliche, von römischer Obrigkeit wohl signierte Reiseurkunde bei sich haben, so er den Lagerort mit heiler Haut unbeanstandet passieren will. Ich ersuche euch daher um so mehr, da ihr zur Nachtzeit hierhergekommen seid, um eine solche Urkunde, ohne die ich als Haupt- und Befehlshaber über diesen Ort, wie über diese ganze Gegend, euch gefangennehmen müßte, morgen öffentlich stäupen und endlich euch geschlossen nach Jerusalem zurück verschicken würde! Habet also die Güte und weiset mir eure erforderlichen Reisezeugnisse vor!«

05] Sagt der Oberste der Pharisäer: »Herr, ich selbst bin als ein Oberster aus Jerusalem das lebendige Reisezeugnis für alle, und wir bedürfen keines andern! Denn so gut du ein Herr bist, bin ich es auch und kann mit kaiserlichem Privilegium reisen bei Tag und bei Nacht in ganz Israel! Wir sind von Gott gesalbt - und wehe dem, der seine Hände an uns legte!«

06] Sagt der Hauptmann: »Das kaiserliche Privilegium gilt nur für lagerfreie Orte; aber an Orten, da ein offenes Militärlager sich befindet, gilt das kaiserliche Privilegium nichts!«

07] Sagt der Oberste: »Uns ist solch ein Gesetz noch nie bekanntgegeben worden, und somit konnten wir es auch nicht beachten; denn so dumm sind wir nicht, daß wir uns bei einer Reise nicht mit allen Dingen versehen möchten, die zu unserer Sicherheit notwendig sind. Wenn aber hier solches vonnöten ist, da entsenden wir auch sogleich Boten nach Jerusalem, und morgen bis um diese Zeit kannst du die erforderlichen Reisedokumente in deinen Händen haben.«

08] Sagt der Hauptmann: »Es hat dessen nicht vonnöten; denn es steht bei mir, eurer Aussage Glauben zu schenken oder nicht. Ich aber werde euch streng beobachten; sowie ich nur im geringsten etwas merke, das mir verdächtig wäre, da seid ihr aber auch augenblicklich meine Gefangenen! Für jetzt und für solange ihr euch hier aufhalten werdet, bekommt ihr eine starke Wache, von der ihr dann auch gegen Bezahlung von hundert Silbergroschen bis zur Grenze dieses Gebietes begleitet werdet; hättet ihr aber die erforderliche Reiseurkunde bei euch, so wäret ihr von aller Zahlung frei!«

09] Sagt der Oberste: »Solches wird der Herbergsherr für uns entrichten, da wir auf einer Reise nie Geld mitnehmen dürfen; denn die Erde ist Gottes, und wir sind Dessen Knechte und haben von Gott aus das Recht, die ganze Erde unser zu nennen und überall zu ernten, wo wir auch nicht gesäet haben! Denn jeder Jude weiß es, daß alles, was er hat, nur ihm von uns aus geliehene Sache ist, die wir allzeit von ihm zurücknehmen können. Aus diesem ganz einfachen Grunde können wir auch in ganz Israel nirgendswohin als Fremde kommen, sondern nur als Herren und alleinige von Gott aus berechtigte Eigentümer jedes Hauses, jedes Grundes und Bodens und jedes Geldes und sonstigen Schatzes; und wir können daher ganz gut dem Ebahl gebieten, daß er für uns die hundert Groschen bezahle, denn er hat sie ja auf unserem Grund und Boden genommen! Und täte er es nicht, so geben wir alle diese seine Besitztümer einem andern, dem es auf die hundert Groschen nicht ankommen wird!«

10] Weil das den Ebahl sehr nahe angeht, so macht er endlich denn doch auch seinen Mund auf und sagt: »Meine Herren, da seid ihr ein wenig in einer Irre! Denn fürs erste ist von alters her dieser Ort ein Freigebiet, von dem außer Gott und Kaiser kein Mensch etwas zu fordern hat, und fürs zweite habe ich diesen Ort mit meinem zweiten Weibe, das von Geburt auf eine Griechin und erst durch mich eine Jüdin geworden ist, erheiratet, da sie des Hauses einzige Tochter war, und somit gehört all dieser große Besitz nicht mir, sondern meinem zweiten Weibe und nach ihr ihren Töchtern. Ich besitze sonach nichts, und es kann mir daher auch nichts genommen werden; und die hundert Groschen werdet dann ihr selbst zahlen müssen! So ihr das mir nicht glauben wollet, da fraget hier den Hauptmann, der meine alleinige Obrigkeit ist, der wird es euch sagen!«

11] Sagt gleich der Hauptmann: »Ja, ja, also ist es! Ihr selbst werdet die hundert Silbergroschen bezahlen! Dagegen hilft kein Bitten und keine weitere Einsprache; denn hier bin ich allein derjenige, der da zu gebieten und zu verlangen hat!«

12] Sagt der Oberste: »Wenn wir aber nun sogleich nach Jerusalem einen Boten, der ein guter Reiter ist, senden, so ist er morgen bis gen Mittag mit dem erforderlichen Dokumente hier!«

13] Sagt der Hauptmann: »Das ist gleich! Denn die hundert Groschen müßt ihr schon darum bezahlen, weil ihr ohne ein solches erforderliches Dokument hierhergekommen seid; darum nun keine weitere Rede über diese Sache!«

14] Sagt der Oberste: »Wir haben aber kein Geld bei uns; denn so wir reisen, führen wir nie Geld mit uns, weil solches Verhalten bei uns Gesetz ist! Woher sollen wir nun Geld nehmen?«

15] Sagt der Hauptmann: »Das wird schon meine Sorge sein! Wo das Geld mangelt, da tritt das Pfandrecht ein. Eure Effekten, die ihr, wie ich vernommen habe, massenhaft mit euch führet, werden wohl die hundert Groschen wert sein!«

16] Sagt der Oberste: »Wert sind sie wohl tausendmal soviel; aber das sind lauter gottgeweihte Dinge, und Gott würde den jählings tot werden lassen, der sich an ihnen vergriffe! Daher wirst du solche Dinge nicht anrühren und noch weniger nehmen dürfen!«

17] Sagt der Hauptmann: »Wird nicht so arg sein! Wir werden es versuchen, ob es sich mit euren gottgeweihten Effekten wirklich so gefährlich verhält!«

18] Schreien alle die Pharisäer: »Nein, nein, nein! Wir werden die hundert Groschen schon noch zusammenbringen; denn unsere Leute führen schon Geld mit sich!«

19] Hier geht ein Pharisäer hinaus und bringt in einem Beutel die hundert Groschen und überreicht sie dem Hauptmanne, und der Hauptmann übergibt den Beutel dem Unterführer; dieser muß das Geld zählen. Nachdem die Zahl richtig ist, befiehlt der Hauptmann dem Unterführer, das Geld in die Kasse der armen Sünder zu legen, was der Unterführer auch sogleich ausführt.

20] Der Oberste aber sagt: »Das ist hier ein sonderbarer Gebrauch, das geweihte Geld in die Kasse der armen Sünder zu legen, indem wir doch Diener Gottes sind! Weißt du denn nicht, daß derjenige, der einen Diener Gottes beleidigt, auch Gott beleidigt?«

21] Sagt der Hauptmann: »Was geht mich euer Gott an!? Ich bin ein Römer und weiß, was ich weiß, und was ich glaube! Euer Gott aber, dem ihr nun dienet, ist und wird mein Gott nie sein! Für mich seid ihr sonach die allergrößten Sünder, und euer eurem Gotte geweihtes Geld gehört demnach in die Kasse der armen Sünder! - Verstehet ihr solches?«

22] Sagt der Oberste: »Ja, Herr, wir verstehen es und begreifen es, daß wir es mit einem festen Heiden zu tun haben, der so wie alle festen Römer uns samt unserer Gotteslehre so tief als möglich verachtet!«

23] Sagt der Hauptmann: »Nicht so tief, als ihr es meinet; denn das wahre alte Judentum erkennen auch wir an; nur eure neuen Satzungen, euren eigenen Unglauben und eure himmelschreienden Betrügereien aller Art verachten wir dreimal ärger als den Tod selbst. Denn bei euch ist wohl keine Spur mehr vom alten Judentume; euch sind bloß die Namen geblieben. Aber wo sind die auserlesenen Werke derer, von denen ihr abstammet und die Lehre und weise Gesetze gegeben haben? Ich weiß es recht gut, wie es dereinst mit eurer Bundeslade ausgesehen hat. Wie sieht es aber nun aus? Wo ist der über ihr schwebende Geist Gottes?«

24] Sagt der Oberste: »Das ist alles noch also, wie es war zu Aarons Zeiten!«

25] Sagt der Hauptmann: »Oder wie anders! Hört! Ich war noch vor kaum drei Jahren selbst in eurem sogenannten Allerheiligsten, und zwar gegen Erlag von siebenhundert Silbergroschen. Was aber habe ich da gesehen und gerochen? Einen ehernen Kasten auf einem Traggestelle, aus dessen Mitte eine recht lebhafte Naphthaflamme loderte, deren etwas widriger Geruch meine Nase eben nicht auf das angenehmste affizierte! Die bewußten Ingredienzien in der sogenannten Bundeslade waren sicher viel jünger als Moses und Aaron, und meine Börse ward darauf sehr traurig, daß ich sie eurer Torheit und Betrugs halber gar so mächtig gelüftet hatte! Mit mir redet darüber keine Silbe mehr; denn ich bin einer, der euren Betrug himmelweit durchschaut! Wisset, so ich Kaiser wäre mit meiner jetzigen Wissenschaft, so ließe ich morgen den ganzen Tempel über die Klinge springen! Euer Glück, daß ich eben nicht Kaiser bin; aber was euch der Kaiser nicht tut, das wird euch sein nächster Nachfolger tun!«

26] Sagt der Oberste: »Herr, so du das weißt, da bitte ich dich zu schweigen des Volkes wegen; denn käme so etwas ins Volk, so hätten wir den allerunbändigsten Aufstand zu befürchten!«

27] Sagt der Hauptmann: »Nichts zu befürchten deshalb! Denn so etwas weiß nun schon beinahe ein jeder Galiläer, und von einem Volksaufstande ist dennoch nicht im entferntesten die Rede! Denn dazu sind schon wir Römer da, die mächtig genug sind, jeden Aufstand in der Wurzel zu ersticken!«

28] Sagt der Oberste: »Nun, Herr, wir haben gezahlt und sind demnach gleich; lassen wir darum diese Sache! Wenn du aber von dem berüchtigten Magier Jesus etwas Näheres weißt, so wolle es uns gütigst mitteilen, wie es mit ihm und seiner fraglichen Lehre und seinen Taten sich verhält, auf daß wir dem Tempel darüber etwas zu berichten haben!«

29] Sagt der Hauptmann: »Ich habe es euch schon gesagt, daß ich Ihn ganz genau kenne und ich Ihn auch schon lange hätte ergreifen lassen, wenn sich nur im geringsten etwas gezeigt hätte, was einer Meuterei gleichsähe; aber so bin ich zu sehr vom schnurgeradesten Gegenteile überzeugt, und so kann ich Ihm nur das beste Zeugnis geben. Wäret ihr wie Er, Jerusalem wäre die ewige und erste Stadt Gottes durch alle Zeiten der Zeiten, und der Geist Gottes schwebte noch wie zu Aarons Zeiten über der Lade! Aber ihr seid das schnurgerade Gegenteil von Ihm, und darum wird sich eure Stadt und euer Tempel nicht lange mehr halten! Das berichtet euren Kollegen, auf daß sie es erfahren, auf welchem Sandboden ihre Stadt und ihr Tempel erbaut ist! - Morgen jedoch sollet ihr mit euren Augen und Ohren mehr erfahren, und so möget ihr euch für heute zur Ruhe begeben!«

30] Sagt der Oberste: »Wir bleiben hier am Tische sitzen; denn deine bedeutungsvollen Worte haben uns den Schlaf auf Tage lang benommen! Wer da schlummern kann, der schlummere; ich aber werde sicher überwach verbleiben! - Dort im Winkel des Tisches sitzt ja ein Gast mit einer Maid!? Wer ist er denn? Haben wir seiner zu achten, oder ist er ein Gefangener von dir samt der Maid? Hat er vielleicht auch keine Reisedokumente in den Händen?«

31] Sagt der Hauptmann: »Um diesen habt ihr euch nicht zu erkundigen; der steht unter meinem Schutze! Morgen jedoch hoffe ich, daß ihr Ihn werdet näher kennenlernen.«


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