Jakob Lorber: ''Das große Evangelium Johannes', Band 2, Kapitel 135


Prüfung der Liebe Jarahs zu Jesus.

01] Sagt die Jarah: »Er ist wohl ein unbeschreiblich schöner Mensch, da er gerade also aussieht wie ein Mensch; aber neben Dir, o Herr, sind alle Engel und Himmel mit all ihrem Lichte und ihrer gestaltlichen Schönheit soviel als nichts! Denn all ihre Schönheit bist ja Du nur allein und Selbst! Ich könnte dennoch keinen lieben!«

02] Sage Ich: »Aber bin denn Ich, wie du Mich hier siehst, wohl schöner noch als dieser Engel? Sieh, Meine rauhen, ausgearbeiteten Hände, Meine von der Sonnenhitze ziemlich stark gebräunte Haut und Mein Alter sind doch wahrlich nicht anziehend, wogegen dieser Engel mit allem ausgerüstet ist, was nur die Himmel schön nennen mögen und können!«

03] Sagt die Jarah: »Herr, das Äußere ist für mich nichts, wenn das Innere nicht völlig Deinem Herzen gleicht; denn Du allein bist der Herr!«

04] Sage Ich: »Aber aus den Engeln strahlt überall unverhüllt Meine Liebe und Meine Weisheit, die Mir in allem völlig gleicht; so du Mich aber nur Meiner Liebe wegen liebst und Ich dennoch der Herr hin, so sehe Ich nicht ein, warum du diesen überschönen Engel nicht also lieben kannst wie Mich, da er doch sicher pur von Meiner Liebe und Weisheit zusammengesetzt ist!?«

05] Sagt die Jarah: »Herr, Du meine Liebe, Du mein Leben; aus diesen zwei Lebenselementen sind ja auch alle Menschen zusammengesetzt, und ich kann sie dennoch nicht also über alles lieben wie Dich! Ja, ich liebe gewiß alle Menschen und die Dürftigen am allermeisten und biete nach meinen geringen Kräften allzeit alles auf, um den Armen Hilfe zu verschaffen; aber so lieben wie Dich kann ich sie dennoch nicht, und so liebe ich auch diesen lieben Engel; aber mein Herz und mein Leben gehört dennoch nur Dir! Nur wenn Du, o Herr, meine gewiß reine Liebe zu Dir hart von Dir wiesest, dann würde ich wohl sehr traurig werden, aber ich würde mir denken: Er, der Reinste, der Heiligste, hat deine etwa noch viel zu unreine Liebe Seiner nicht für würdig halten können und hat sie darum von Sich gewiesen!«

06] Nach diesen Worten fängt die Kleine an zu weinen und sagt, leise schluchzend: »Und es wird auch also sein! Ich habe mich mit meiner Liebe zu weit gewagt und bedachte in meiner Einfalt nicht, wer Derjenige ist, den mein Herz so heftig ergriffen hat; darum weist Deine zu heilige Liebe meine noch viel zu unheilige Liebe ganz sanft von sich und gibt mir einen Engel, der mein Herz zuvor reinigen und die Liebe heiliger ziehen soll. Mich schmerzt es wohl mächtig; aber ich weiß es ja, daß Du allein der Herr bist, und so will ich ja alles erdulden, was Du über mich verhängen magst.«

07] Sage Ich: »O du Meine Liebe, was machst du deiner Liebe für leere Vorwürfe! Wer Mich nicht also liebhat wie du und irgend etwas in der Welt mehr liebt als Mich, der wohl ist Meiner Liebe nicht wert; aber du, deren Herz alle Engel des Himmels Mir nimmer abwendig zu machen vermögen, liebst Mich, deinen Gott und Herrn, ja ebenalso wie die Engel der Himmel und bist darum schon lange selbst ein allerschönster Engel, in den Ich Selbst über alle Maßen verliebt bin! Komm her an Mein Herz und hole dir daraus den vollsten Ersatz für diese kleine Prüfung!«

08] Auf diese Worte ist die Kleine wieder ganz geheilt und schmiegt sich so fest als möglich an Mich.

09] Da spricht der Engel: »O Seligkeit aller Seligkeiten! Was sind alle Himmel gegen den Anblick solch einer Liebe?! Wir vollkommenen Geister haben zwar der Seligkeiten schon so endlos viele genossen, daß deren Zahl keine Zunge mehr auszusprechen vermöchte; aber all die genossenen zahllosen Wonnen der Wonnen sind dennoch kein Tau gegen diese, wo Du, o heiligster Vater, Dein Kindlein auf Deine Arme nimmst und es mit sichtlicher aber höchster Liebe an Dein heiligstes Herz drückst! Oh, welch eine unnennbare Wonne muß nun dies Dein Kindlein empfinden!?«

10] Sage Ich: »Ja, die Wonne ist übergroß für das Kindlein, aber auch für Mich; doch ihr werdet sie auch genießen, wenn es wird vollendet sein und ihr alle am Tische Meiner Kinder werdet gespeiset haben! Nun aber laß das Wasser wieder in sein Becken! Danach wird dir dies Mein Kindlein eine andere Arbeit ansagen.«

11] Mich mit dem Munde an das wonnetrunkene Köpfchen der Jarah wendend: »Gelt, Meine Jarah, du wirst Mir wohl helfen, Meinen Engeln noch so manche Arbeiten zu schaffen?!«

12] Sagt die Kleine mit einer überaus liebewilligen und kindlich unschuldigen, zarten Stimme: »O ja, Dir zuliebe tue ich ja alles über alle Maßen gerne! Du darfst ja nur sagen - und ich stütze mich Dir zuliebe in jegliches Feuer, auch über die Wände dieses Berges ins Meer hinab, so es schon wieder unten ist.«

13] Sage Ich: »Und es würde dich dennoch kein Feuer der Erde mehr brennen und zerstören können, weil du schon selbst voll des stärksten und mächtigsten Feuers geworden bist! Auch Steine und Wasser würden dir nimmer schaden können; denn dein Charakter in Meiner Ordnung ist fester denn ein Diamant, und dein Gemüt sanfter denn alle Gewässer der Himmel! Kurz, du bist Mir schon einmal so ganz ins Herz hineingewachsen, und Ich gebe dir darum die Freiheit, daß du den Engeln etwas zu vollziehen kundtun kannst, und sie werden es also vollziehen, als ob Ich es ihnen Selbst geboten hätte. Denke dir sonach nun eine Arbeit aus und sage es dem Engel, der schon mit großer Sehnsucht harret, von deinem Herzen einen Auftrag zu empfangen, was du willst, und es wird augenblicklich alles in Vollzug gebracht werden!«

14] Sagt die Jarah: »Mein lieber Bote aus den Himmeln, wenn es ohne Schaden geschehen kann, so mache im Namen des Herrn, daß dieser Berg, da er auf einem natürlichen Wege zu schwer zu ersteigen ist, einen leicht und gefahrlos besteigbaren Weg habe zum Auf- und Abgehen, auch gegen das Meer hin, wo er sonst nur für die Vögel besteigbar ist!«

15] Der Engel macht bloß eine höchst zierliche Verbeugung vor der kleinen Jarah und sagt: »O du herrliche Gebieterin in des Herrn Namen! Sieh dich nun nur um nach allen Seiten des Berges, und du wirst mit mir sicher zufrieden sein! Sieh, wir sind manchmal auch langsam in unseren Handlungen; aber wenn es sein muß auch geschwinder als der Blitz!«


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