Jakob Lorber: ''Das große Evangelium Johannes', Band 2, Kapitel 203


Materialismus und seine klerikalen Vertreter.

01] (Jarah:) »Wahrlich, es geschehen unerhörte Greuel auf sicher allzeitige Veranlassung der sogenannten Diener Gottes! Aber die Menschen, die davon sichere Kunde erhalten und doch selbst auch in der Gottesschrift nicht unkundig sind, fragen dann nach und nach untereinander sich denn doch, und das von Tag zu Tag mehr: >Was soll das? Was ist Gottes Wort? Kann das Gottes Wille aus dem Sinne Seines Wortes sein, daß die Verkünder des Gotteswortes, Seines Liebewillens, Seiner Gnade, Seiner Sanftmut und Seines Friedens zu lauter allerhabgierigsten, herrschsüchtigsten, selbstsüchtigsten, lieblosesten und frechsten Teufeln an ihren Nebenmenschen werden?<

02] Und sehet, solche Fragen sind gut; denn sie sind die ersten Triebfedern, durch die die Menschheit zur wahren Selbsttätigkeit gelangt, ohne die sie je weder aus einer guten und noch weniger aus einer argen, gewisserart höllischen Nötigung in die wahre geistige Freiheit übergehen kann, ohne die es für die Seele und ihren Geist kein ewiges Leben gibt.

03] Es ist wahr, man wird bei der Betrachtung über das Treiben der Priesterschaften oft von gerechtem Ärger zerrissen und nahezu ganz aufgelöst, und man möchte oft aus vollem Halse schreien: >Herr! Hast Du denn keine Blitze, keinen Hagel, keinen Schwefel und kein Pech mehr, um diese Menschentiger zu züchtigen mit der äußersten Schärfe Deines göttlichen Zornes?< (vgl. Psalm.011,06) Aber da spricht eine sanfte Stimme aus dem Innersten des Herzens und sagt: >Sei klug und weise, und siehe, wohin du trittst? Siehst du am Wege eine Natter lauern, so weiche ihr aus; denn der ganze Erdboden ist noch lange nicht mit lauter Nattern bedeckt!<

04] Es muß ja auch die Nacht sein, so gut wie der Tag, damit der Mensch den Wert des Lichts erkenne. Am Tage hat wohl kein Mensch irgendein Bedürfnis nach einem Lampenlichte; kommt aber die Nacht, dann fühlt ein jeder Mensch ganz schmerzlich den Mangel des Lichtes und zündet, so gut er es haben kann, sich irgendein Licht an, und ein schwacher Schimmer schon macht ihm freundlicher seine Kammer als der oft gänzliche Lichtmangel.

05] Sehet, wenn der Herr die Menschen dieser Erde so recht mit allerlei irdischen Gütern versieht, da werden sie bald übermütig und fangen an, zu sehr für ihren Leib zu sorgen, und ihre Seele, in der der göttliche Geist wohnt, wird dann bald, gleich wie das edle Samenkorn von dem dasselbe umgebenden zu sättigungsgierigen Erdreich, aufgezehrt, statt daß sie zur Erkeimung des göttlichen Geistes in ihr zum ewigen Leben aus dem Leibe die Stärkung bekäme in gerechtem Maße, wie solche von Gott verordnet ist, und zu welchem Endzwecke Gott der Seele denn auch so ganz eigentlich den Leib gegeben hat. Wo aber die Seele dann von ihrem Leibe aufgezehrt ist, dort kommen dann aber natürlich statt der edlen Früchte auch nur Dornen, Disteln und allerlei anderes böses Unkraut zum Vorscheine, von denen man dann wahrlich keine Trauben und keine Feigen ernten kann!

06] Ein solcher Mensch ist aber dann geistig auch so gut wie tot! Er weiß nichts mehr von dem, was irgend des Geistes ist. Er leugnet alles Geistige und vermaterialisiert alles. Außer der groben Materie gibt es für solch einen Menschen nichts mehr; sein Bauch und seine sinnlichste Haut sind seine zwei alleinigen Gottheiten, denen er Tag und Nacht bereit ist, jegliches Opfer zu bringen. Für solche Menschen gibt es dann keinen Gott mehr, und wenn endlich solche Menschen, wie es nun leider nur zu sehr der Fall ist, gar noch Priester und Gottesdiener werden, da wird man doch hoffentlich nicht lange zu fragen brauchen und sagen: >Warum sind denn diese puren Knechte des Fleisches, für die im Grunde des Grundes Seele, Geist, Gott und Seine Himmel nichts als veraltete, poetisch phantastische Redebilder sind, Priester und Gottesdiener geworden?< Man sehe nur ihre überdicken Bäuche an, und man hat auch die vollste Antwort lebendig vor sich!

07] Solchen Ausspendern des Wortes Gottes ist es dann wohl freilich einerlei, ob sie ihre ihnen anvertrauten Gemeinden mit Brot aus den Himmeln oder mit Unflat aus den ekelerregendsten Pfützen sättigen; wenn sie dafür nur ganz majestätisch gut bezahlt werden! Es darf uns aber eben darum auch gar nicht zu sehr wundernehmen, wenn wir von seiten des Tempels nicht selten Dinge vernehmen, vor denen wir nicht selten vor Entsetzen beinahe ganz starr und steif werden.

08] Hat der pure Leibmensch es einmal dahin gebracht, daß er von der Würde, ein Mensch zu sein, kaum mehr fühlt als ein Pilz des Waldes, der irgendeinem Erdmoder entwuchs, - was edler Menschliches soll man da dann von solch einem Modermenschen erwarten? Man lasse ihn wie eine eklige Natter am Wege kauern und züngeln und suche sich irgendeine natterlose Stelle auf der weiten Mutter Erde. Denn der Herr ist mit jedem, der Ihn wahrhaft sucht, und verläßt den nimmer, der sich in seinem Elend an Ihn wendet! (vgl. Psalm.009,11)

09] Wir alle, die wir an den Ufern unseres Binnenmeeres wohnen, waren schon lange ein Spielzeug des Tempels. Man verschonte Judäa soviel als möglich; aber dafür mußten wir Galiläer den Templern schon seit langem als barste Sündenböcke einerseits und anderseits als Melkkühe dienen, - aber dafür haben wir das Gute, daß uns viel früher das herrlichste Licht in allem und über alles aufgegangen ist, während sich Judäa noch in der tiefsten Nacht befindet.

10] Wir verspürten zuerst die überaus selbstsüchtige Gefräßigkeit der Tempelerde, worunter ich natürlich die Priesterschaft verstehe, und machten uns soviel als möglich frei von ihnen. Und wir, als auch ein edles Gotteskorn, vergeudeten unsere innere Lebenskeimkraft nicht zur Füllung des großen Tempelbauches, sondern wir kehrten uns nach der in uns selbst stets mehr erkannten Gottesordnung und stehen darum nun schon als vielfach gesegnete Frucht frei auf dem großen, schönen Acker Gottes. Die Judäer, Mesopotamier und die gen Mittag Wohnenden aber werden noch lange nicht dahin gebracht werden, daß sie einsehen, wie sie vom Tempel aus nun die festweg betrogensten Narren sind!

11] In dieser meiner so ziemlich gedehnten Antwort auf meine Frage wird hoffentlich sicher ein jeder von den hier anwesenden Gästen erkennen, daß das Mädchen aus Genezareth schon recht gut weiß, was sie aus den Fügungen und Zulassungen Gottes zu machen hat! Du, o Herr, aber vergib es mir gnädigst, daß ich vor Dir und dazu an Deiner heiligsten Seite gar so lange und gar viel, mitunter vielleicht auch unnützes Zeug, geplaudert habe! Ich wollte aber dadurch ja durchaus nicht die Stärke meiner Erkenntnis zeigen, sondern, weil sich denn die Gelegenheit also ergab, alles nur so herauszusagen, wie es mir ganz getreu und wahr ums Herz war!«


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