Jakob Lorber: 'Das große Evangelium Johannes', Band 3, Kapitel 76


Ribars Ahnung von der Anwesenheit Jesu.

01] (Ribar:) ”Siehe, der Junge hat uns meines Erachtens nicht ganz - ohne (Grund) taub, blind und dumm genannt; auch der Esel, den er früher an unsere Seite gestellt hatte, sagte uns durch die Tat im Grunde dasselbe!

02] Siehe, mir kommt es immer mehr vor, und jetzt ganz besonders, dass eben jener überaus gemütlich aussehende Grieche der große Nazaräer ist! Ich habe ihn stets im Auge behalten, und es ist mir an ihm nun schon so viel aufgefallen, dass ich fast keinen Augenblick mehr zweifeln möchte, dass er es ist! Alles wendet ihm allein Auge, Ohr und Herz zu; der mächtige und sonst so unerbittlich stolze Oberstatthalter betet ihn förmlich an; der Junge tut alles nur auf seinen Wink und sein Geheiß, und seine Rede ist klar und voll Weisheit! Danebst merkte ich, wie er dem Oberstatthalter gegen die zu große Brunst der jungen Weiber auch natürliche Arzneimittel angab; siehe, das kann ja nur ein Heiland tun! Zudem mußte dann erst seine Lehre, die er vorgtragen hatte, schnellst niedergeschrieben werden, und das auf die wunderbarste Art von der Welt! Halte du das alles so hübsch fein gegeneinander, und du wirst es selbst finden, dass ich nicht ganz unrecht haben dürfte, und der Junge auch nicht, darum er uns taub, blind und dumm nannte! - Was meinst du da, und was meint in dieser Hinsicht ihr alle?“

03] Sagt Suetal: ”Weißt, ganz unrecht dürftest du aber auch fürwahr nicht haben; denn mir fängt darüber nun selbst an, ein Lichtlein aufzugehen! Wenn das aber der Fall ist, dann hat uns der Junge wahrlich nicht unrecht getan; denn da wären wir im Ernste so blind, dass wir den Wald vor lauter Bäumen nicht entdeckt hätten! Aber nun warte du, ich werde auf den Griechen von nun an ein schärferes Auge legen, und es soll sich sogleich zeigen, inwieweit du etwa doch in allem Ernste recht haben dürftest!“

04] Von da an beobachtet Mich Suetal mit großer Aufmerksamkeit und daneben aber auch das Verhalten aller der andern Gäste und sagt nach einer Weile zum Ribar: ”Bruder, du möchtest wohl sehr recht haben: er wird es unfehlbar sein! Denn aus allen Gesichtern geht es ja ganz klar hervor, dass sie ihn sicher als den Vorstand der ganzen, großen Gesellschaft verehren und sich ohne seine Zustimmung nicht einmal der Oberstatthalter etwas zu tun getraut! Es müßte dieser scheinbare Grieche im Ernste bloß nur ein innigster und weisester Freund des großen Meisters sein, als was er sich eigentlich bei uns aufgeführt hat, und da würde man ihm darum auch sicher die größte Aufmerksamkeit schenken!? Hätte er sich bei uns ehedem nicht bloß nur als ein intimster Freund des großen Meisters aufgeführt, so hätte ich ihn schon lange als den großen Meister begrüßt! Aber es wäre denn doch auch sonderbar von uns gewesen, so wir den biedern Mann für etwas anderes gehalten hätten, als für das nur, als was er sich uns selbst aufgeführt hatte; denn das kann man Rechtens von dem so von Gottes Geiste durchdrungenen Manne doch nicht füglichermaßen annehmen, dass er vor uns ganz harmlosen Juden das Verstecken spielen solle oder werde!?“

05] Sagt Ribar: ”Das finde ich wieder ganz anders, denn dadurch, dass er sich uns als des großen Meisters innigsten Freund aufgeführt hat, hat er uns durchaus keine Unwahrheit gesagt, so er auch der eigentliche Meister selbst es war; denn siehe, ein jeder kennt sich selbst stets sicher am besten und ist daher auch sein allernächster und sicher bester Freund! Wenn nun jemand in einer gewissen guten Laune so etwas von sich selbst aussagt, so ist von einer Unwahrheit sicher keine Spur; zudem kann so ein weisester Mann wohl auch noch einen irgend verborgenen Grund haben, warum er sich oft manchen Menschen nicht gleich aufs Gesicht hin enthüllt, und wir werden später sicher darauf kommen. Siehe du nur den weisen Mathael an, wie er fast allzeit zu Tränen gerührt wird, sooft er den Griechen nur anschaut! Bruder, das hat sicher seinen guten und sehr bedeutungsvollen Grund!

06] So scheint mir auch die große Liebe, die das sonst überaus geistreich aussehende Mägdlein zu diesem Griechen zeigt, mehr für als wider meine Behauptung zu sprechen. Denn sieh du einmal die wahrhaft überhimmlische Schönheit unseres jungen Wundertäters an! Ich meine, dass sich in den doch auf einem Flecke tausendmal tausend Weiber und Mädchen bis zur Verzweiflung verlieben müßten!? Und doch achtet das Mägdlein seiner kaum, obschon er als Jüngling wohl um tausend Male schöner ist denn das Mägdlein; aber dem Griechen möchte sie ja gerade ins Herz hineinsteigen! Ich sage es, Bruder, das ist auch nicht - ohne! Dies Mägdlein muß also einen ganz andern Grund haben, aus dem sie in den scheinbaren Griechen gar so verliebt ist; mir kommt es bei genauerem Beobachten also vor, als wäre das Mägdlein in das Göttliche in ihm nur verliebt und nähme da nahe gar keine Rücksicht auf seinen Leib! Betrachte du nur einmal ihr mehr von einer gewissen Ehrfurcht als von irgendeiner sinnlichen Liebe durchstrahltes Auge, und du wirst es leicht merken, dass in dem Mägdlein keine Spur von irgendeiner sinnlichen Liebe waltet!“

07] Sagt Suetal: ”Bruder, du trägst deinen Namen wahrlich nicht umsonst; denn ein Fischer muß ein scharfes Auge haben! Mir fallen jetzt selbst schon hundert Dinge auf, die ich früher gar nicht beachtet habe; sie deuten alle auf deine Behauptung hin. Mir fällt aber nun auch an unserem Jünglinge etwas auf! Er ist nun ein paar Male von dem nun es nahe sicher seienden großen Meister ins Haus gesandt worden; ich sah ihn aber nicht, wie er ging, sondern - er war dir dort und da! Sein Gehen ist wie sein Schreiben: wo er sein will, dort ist er auch schon! Bruder, das kommt mir auch nicht ganz richtig vor! Würde er nicht stets nur das tun, was ihm der scheinbare Grieche gewisserart befiehlt, so möchte ich nahe ihn selbst für den Meister halten; aber indem er nur stets das tut, zu was er von dem scheinbaren Griechen beheißen wird, so kann man ihn dennoch nur für einen Diener und für keinen Herrn halten! Aber es ist wohl im höchsten Grade merkwürdig, wie weit es dieser junge Mensch in der gewissen rein göttlichen Magie gebracht hat!“

08] Sagt Ribar: ”Was du nun an dem Jünglinge bemerkt hast, das ist mir an ihm schon früher stark aufgefallen; aber ich habe, weißt du, so ganz bei mir auch ehedem beim Verzehren seiner acht Fische das sehr Sonderbare bemerkt, dass er eigentlich keinen Fisch uns gleich mit dem Munde verzehrt hat; er brachte den Fisch nur bis zum Munde, - und gar war es! Der Fisch verschwand samt Haut und Knochen, ebenso verzehrte er das Brot und also den Wein; alles verschwand in dem Augenblick, als er es bis zu den Lippen gebracht hatte! Mir ist es ordentlich unheimlich an seiner Seite geworden! Fürwahr, ich habe so ganz unbemerkt ein paar Male mich unter dem Tische nach seinen Füßen umgesehen; aber diese waren stets so rein und himmlisch schön, wie ich so schöne und reine Füße noch in meinem Leben nie bei einer Jungfrau, geschweige bei einem Jünglinge gesehen habe! Das beruhigte mich wieder, und ich hätte, so ich mich nicht geniert hätte, seine wunderreizend schönsten Füße mit der seligsten Lust eine Ewigkeit in einem fort ansehen und bewundern können! Fürwahr, wenn jetzt ein Engel aus den Himmeln käme, so könnte er unmöglich auf noch schöneren Füßen stehen!“

09] Sagt Suetal: ”Sieh, das ist wieder etwas, was ich nicht bemerkt habe; aber nach seiner sonstigen Wunderschönheit zu urteilen, müßte man gerade schon nahe zu urteilen anfangen, dass er irgendein höheres geistiges Wesen wäre, - denn seine Gestalt und seine sonderbaren Wundertaten scheinen nahezu laut schreiende Zeugen dafür zu sein! Aber hier tritt uns wieder der Umstand entgegen, dass er uns nur als ein jüngster Jünger des großen Meisters aufgeführt wurde, der es in der göttlichen Magie schon so weit gebracht habe, welche Aussage natürlich so viel sagt als: Wenn dieser jüngste schon so viel leistet, was werden dann erst die älteren Jünger alles zu leisten imstande sein!? Bei solcher ganz natürlichen Annahme aber fällt der Gedanke an ein höheres Wesen in dem Jungen von selbst weg; denn wäre er dennoch das, so hätte der seiende große Meister uns zuvor ja offenbar angelogen, und das läßt sich von solch einem Manne denn doch wohl füglich nicht annehmen! - Was meinst du da?“

10] Sagt Ribar: ”Ja, also scheint die Sache wohl; aber es scheint da in dieser Sphäre, dass vor unsern Augen der alte Isisschleier noch nicht gelüftet ist! Wenn aber der große Meister etwa doch das wäre, was früher Mathael von ihm ausgesagt hat, dann könnte ja auch ein Engel der Himmel sein Jünger sein! - Habe ich recht oder nicht?“



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