Jakob Lorber: 'Das große Evangelium Johannes', Band 3, Kapitel 199


Zwiegespräch zwischen den zwei Deputierten.

01] Sagt der andere: ”Du bist zwar stets die Vorsicht selbst, und die Vorsicht ist der Weisheit Mutter; aber hier scheinst du sie nicht auf dem rechten Platze anzuwenden! Denn ein bißchen Menschenkenntnis haben wir auch, und je länger wir den Examinator betrachten, desto mehr schwindet jeder Gedanke, als könnte hinter ihm auch nur ein falscher Funke stecken! Ich, dein Mitdeputierter, habe früher meine Ohren ein wenig gespitzt und vernahm so manches von der geheimen Besprechung des Examinators mit dem Cyrenius, und diese bestand nur in einer kleinen Besorgnis über die Möglichkeit, uns von unserem Wahne zu heilen! Wir seien auf indirekten Wegen boshafterweise vom Tempel aus über den Messias und über die Römer ganz grundfalsch berichtet (unterrichtet) worden, hätten darum nun eine blinde Furcht vor ihnen und verbürgen darum unsern ganz rechten und guten Glauben!

02] Als wir hierhergereist sind, hatten wir ja doch so manche Gelegenheit, die überall seienden Römer zu beobachten, und wir konnten trotz allen unseren noch so schlauen Erkundigungen nirgends etwas in eine Erfahrung bringen, aus der da abzunehmen gewesen wäre, dass die Römer im Ernste gar so grausam wären; im Gegenteil sprach sich für sie immer und allenthalben ganz ungezwungen und freudig die beste Meinung von der Welt aus. Du freilich sagtest immer: 'Wenn sie grausam bei dieser Gelegenheit wären, so würden sie das vorderhand vor den Augen der Welt gar wohl zu verbergen wissen, um nicht vor der Zeit Unruhen im Volke heraufzubeschwören!' Aber dieser Meinung bin ich nicht; denn ein jeder Mensch gehört denn doch immer irgendeiner Familie an, und diese müßte seinen Abgang denn doch wohl merken und endlich nachzuforschen anfangen, wohin das teure Familienglied gekommen ist! Aber es ist bis jetzt von so etwas noch nirgends eine Spur gewesen, und so glaube ich denn hier doch, dass deine sonst sehr lobenswerte Vorsicht ein wenig zu weit geht, besonders gegenüber dem gar offen und treuherzig aussehenden Examinator!

03] Ich merke aber hier nun ganz etwas anderes, und das etwas ganz Außerordentlichstes, und es wundert mich sehr, dass so etwas deinem Scharfblick gänzlich hat entgehen können!“

04] Sagt Schabbi: ”Nun, was denn?! Ich müßte doch auch etwas bemerkt haben; denn meinen Augen entgeht sonst nicht leichtlich etwas, und mein Gefühl ist so fein wie ein Morgenhauch. Das sollte mich wundern, dass du hier etwas entdeckt haben solltest, das meinen Augen entgangen wäre!“

05] Sagt der zweite Deputierte, der Jurah hieß: ”Und doch! Merktest du nicht, was der Examinator dadurch so hingeworfen andeuten wollte, als er uns des Elias Erscheinungen in der Höhle so hübsch handgreiflich - als auf ihn selbst Bezug habend - erläuterte?“

06] Sagt Schabbi: ”Und was soll er damit haben andeuten wollen?“

07] Sagt Jurah: ”Nichts anderes, als dass eben er selbst der verheißene Messias sei, vor dessen Macht alle Herrscher der Erde sich zu beugen haben! Siehe, das habe ich herausgefunden, was deiner großen Vorsicht so ganz rein entgangen ist! Auch vernahm mein sehr gespitztes Ohr, wie da kurz vorher der Oberstatthalter deinen Examinator seinen >Herrn< nannte! Etwas Unerhörtes von einem römischen Oberfeldherrn! Und sieh, das sind lauter Dinge, über die man aus lauter übertriebener Vorsicht doch auch nicht gar zu leichten Trittes hinwegeilen sollte! Was dann aber, so dieser seltene Mann möglicherweise denn doch der verheißene Messias wäre?!“

08] Sagt Schabbi: ”Nun, so könnte er mit meiner wohlbegründeten Sorge nur im hohen Grade zufrieden sein; denn meine Vorsicht geht ja eben dahinaus, das Heiligtum unserer Gotteslehre vor dem Geifer der Heiden zu wahren! Es mag an deiner Wahrnehmung allerdings schon etwas sein; aber wir dürfen ohne die schärfste, geheime Prüfung ja nicht von fernehin irgend etwas annehmen, - außer wir werden durch die handgreiflichsten Beweise dazu ordentlich genötigt. Denn es könnte dennoch alles das von dir Wahrgenommene eine feinste Maske sein, und wir ständen dann auch ganz leicht möglich auf dem von mir befürchteten Platze! Darum nur sachte, mein Freund! Solche Dinge, so sie wahr sind, nimmt der Mensch noch immer früh genug an; denn eine zu voreilige Annahme könnte einen in große Verlegenheit stürzen!“



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