Jakob Lorber: 'Das große Evangelium Johannes', Band 3, Kapitel 238


Das innere Wort. Der Grund der Menschwerdung Jesu.

01] Als Mathael solche seine in sein Herz gelegte Antwort vor den dreien ausgeredet hatte, erstaunte er selbst über solche in sich vernommene Wahrheit und früher nie so klar empfundene innere Rede.

02] Raphael aber sagte zum Mathael: ”Siehst du nun, wie sehr der Herr wach ist, so Er nun auch dem Leibe nach schläft, und wie du nun in deinem Herzen des Herrn Rede klar und deutlich vernommen und sie dann auch nachredig mit dem Fleischmunde laut ausgesprochen hast?! Sieh, auf dieselbe Weise vernehmen auch wir des Herrn Wort und Willen lebendigst und tatkräftigst in uns, und zwar also, dass wir dann ganz Sein Wort und Wille werden! Sind wir aber das, so sind wir dann auch als Sein Wort und Sein Wille die dadurch vollbrachte Tat selbst, also Wort, Wille und Tat in einer Form! - Verstehst du, Freund Mathael, nun solches alles rein und hell?“

03] Sagt Mathael: ”Wenn man auch bei sich so einer beruhigenden Überzeugung gewärtig wird, als verstünde man nun schon alles, was man nur gleich ansieht, so kommt aber gleich wieder etwas, von dem man noch nie etwas geträumt hat! Aus allem ersehe ich, dass in der göttlichen Weisheit eine so unermeßliche Fülle und Tiefe liegt, dass sie nie ein Geist völlig wird erfassen können! Wir werden demnach ewig in Hülle und Fülle stets Neues zu erlernen und zu begreifen haben! Das ist aber auch ganz gut also!

04] Mir wäre es wahrlich ganz und gar nicht recht, so mir nun alles so klar wie dem Herrn Selbst wäre. Wenn es in der ganzen Unendlichkeit nichts mehr gäbe, das mir unbekannt wäre, da würde ich des Lebens bald satt werden; aber so gibt es eine so endloseste Menge tiefst und dichtest verhüllter Dinge, dass wir mit denselben auch ewig nicht fertig werden, und ich muß es nun offen gestehen, dass danebst und dabei Gottes Seligkeit eine durchaus nicht beneidenswerte sein müßte, wenn wir als Seine Geschöpfe und Kindlein alles so klar einsähen wie Er Selbst, und Seine ewige und unendliche Totalweisheit müßte Ihm zur entsetzlichsten Langeweile werden, wenn Er sie nur für Sich allein zu verwenden hätte!

05] Aber Er erfüllte deshalb den unendlichen Raum mit zahllosen Werken, die Seiner endlosen Weisheit und Macht entsprechen, und erschuf denkende und auch mit vieler Weisheit begabte Wesen. Diese, stets im höchsten Grade ergriffen von solcher Weisheitstiefe und Macht in Gott, forschen und bewundern in einem fort die göttliche Weisheitstiefe und Macht des einen Schöpfers und werden bei jeder neuen Enthüllung wieder zur Bewunderung und Anbetung und zur intensivsten Liebe hingerissen!

06] Nun, dies einzige muß für Gott die eigentliche Seligkeit sein! Für Ihn als den Schöpfer und Vater der Engel, Welten, Menschen und Kinder muß dies allein die größte Wonne sein, alle jene, die Ihn und Seine Worte stets mehr und mehr erkennen und lieben, auch stets seliger zu machen!

07] Um für uns Menschen dieser Erde, für euch Engel aller Himmel und für alle Geschöpfe der ganzen Unendlichkeit eine desto größere Seligkeit zu bereiten, kam Er Selbst als ein Mensch zu uns auf diese Erde, um Sich uns förmlich als Selbst Mensch mit Fleisch und Blut wie ein Mensch dem andern zu offenbaren. Freund, Wesen oder Engel von Ewigkeit, oder Mensch wie ich es bin, das tut der Herr nicht nur unsertwegen, das tut Er auch Seintwegen; denn Er müßte mit den Zeiten vor Langeweile vergehen, so Er mit Seiner Allwissenheit denn doch in Sich höchst klar gewahren müßte, dass Er als eine im höchsten Grade formlose, ewige, wenn auch vollendetste Intelligenz von Seinen Geschöpfen nie geschaut und noch weniger angesprochen werden könnte und somit auch unerkannt bleiben müßte!

08] Wäre es denn nicht im höchsten Grade traurig für einen irdischen Vater, so er zum Beispiel zwanzig Kinder von großer Lieblichkeit hätte, alle aber wären Blinde und Taube, mit denen der liebevollste Vater nie ein Wort reden und sich ihnen auch als Mensch nicht zeigen könnte?! Stelle man sich solch ein Verhältnis nur so recht lebendig vor: einen überaus wohlhabenden Vater mit zwanzig der Gestalt nach gar wunderschön gebildeten Kindern beiderlei Geschlechts, aber alle taub und blind! Frage: Würde solch ein Vater nicht die größten Summen darauf verwenden, um seine sonst gar so lieben Kindern hörend und sehend zu machen?! Welche Trauer aber wird er empfinden, so es dafür in der ganzen Welt kein Mittel gäbe, um seine Kinder hörend und sehend zu machen?!

09] Nun, wir Menschen sind zwar hörend und sehend für uns gegenseitig und finden aneinander ein großes Vergnügen - manchmal sogar mehr als nötig -, dass wir sogar darüber des Schöpfers vergessen können; aber der heilig gute Schöpfer, der allweiseste Vater, müßte dieses seligsten Vergnügens für immer völlig entbehren, von Seinen Kindern je erkannt, gehört und gesehen zu werden! Das ginge für einen ewigen Vater voll der höchsten und reinsten Liebe zu Seinen Kindern gar nicht an!

10] In Ihm ist sicher die größere Sehnsucht, uns, Seine Kinder, in dem Stande zu ersehen, der nach Seiner Ordnung uns fähig macht, Ihn zu sehen, persönlich zu lieben und sich Ihm mitzuteilen ohne Schaden für unsere Existenz, - als in uns Kinder zu sehen, die wir noch keinen Begriff vom eigentlichen Grundsein des ewigen Vaters haben.

11] Ich glaube darum keine gar zu sehr aus der Luft gegriffene Behauptung aufzustellen, so ich sage: Der Herr hat nicht unsertwegen allein, sondern auch Seintwegen Fleisch und Blut angezogen und Sich also begeben auf diese Erde zu uns, Seinen noch freilich stark ungehobelten Kindern! Er hatte dieses schon Ewigkeiten vorausgesehen, was Er tun werde; wir aber sind nun Zeugen der Ausführung des ewig großen Planes! - Sage du, Raphael, ob ich nun wahr oder falsch geurteilt habe!“



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