Jakob Lorber: 'Das große Evangelium Johannes', Band 4, Kapitel 86


Übertriebene und rechte Demut.

01] Markus gibt nun das Zeichen zum Sichniederlassen auf die angebrachten langen Bänke, und Kornelius beruft den Zorel, dass er bei ihm zur Rechten Platz nehme.

02] Zorel weigert sich dessen, sagend: ”Hoher Herr und Gebieter! Tue mir doch so was nicht an! Denn siehe, ich gehöre dorthin nahe an der Holzhütte zum letzten und allergemeinsten Brettertische, an dem eure letzten und geringsten Diener und Knechte sitzen, - nicht aber hierher und sogar zu deiner Rechten, da der allererste Tisch gedeckt ist! Das wäre eine schöne Demutsübung von mir, die der Herr alles Lebens mir doch über alles ans Herz gelegt hat!“

03] Sage Ich: ”Freund Zorel, es genügt hier dein Wille! Darum tue dem Kornelius den Gefallen! Die warme Demut aber liegt ja ohnehin nicht in einem äußerlichen Werke ins Gesicht, sondern im Herzen, der vollen Wahrheit gemäß. Gehe nach Jerusalem, und siehe dort die Pharisäer und alle Schriftgelehrten an, mit welch demutsvollen Gesichtern und Kleidern sie einherschreiten; ihre Herzen aber sind danebst doch des stinkendsten Hochmutes voll und hassen bis tief unter die Hölle jedermann, der nicht nach ihrer Pfeife tanzen will, - während ein König mit Krone und Zepter, so er diese nicht setzt über den Wort eines Menschen, so demutsvollen Gemütes sein kann wie ein letzter Bettler auf der Straße! Wenn du das so recht bedenkst, da wird es dich zur Rechten des Kornelius an unserem Tische schon dulden.“

04] Sagt Zorel: ”Ah, wenn so, da geht es freilich wohl!“ - Er geht nun hin und setzt sich nach dem Wunsche des Kornelius.

05] Kornelius aber sagt zu ihm: ”So, lieber Freund, so freut es mich von ganzem Herzen! Wir wollen ja in der Folge miteinander leben und wirken im Namen Dessen, der uns erleuchtet hat! Ich denke es mir also, was das betrifft eine rechte Demut: Man soll im Herzen voll der wahren Demut und Nächstenliebe sein, aber äußerlich soll man damit eben nicht prunken; denn dadurch, dass ich mich äußerlich zu knechtisch tief unter die anderen Menschen beuge, mache ich sie hochmütig und benehme mir die Gelegenheit, ihnen in allem, was da nützlich wäre, dienen zu können.

06] Eine gewisse Achtung, die ich schon bloß nur als Mensch von meinen Nebenmenschen zu erwarten habe, darf ich nie völlig vergeben, weil ich ohne dieselbe nichts ersprießlich Gutes bewirken kann! Darum wollen wir beide zwar in unseren Herzen so demütig als nur immer möglich sein; aber von unserem notwendigen äußeren Ansehen können und wollen wir nichts vergeben!

07] Wir werden gar oft in Gelegenheiten kommen und sehen, wie irgend arme Menschen sich zu ihrem Unterhalte mit sehr geringen und allerunansehnlichsten Arbeiten abgeben müssen. Sollen wir, um etwa unserer Demut die Krone aufzusetzen, auch die Pfützen und Kloaken räumen gehen?! Dessen, glaube ich, bedarf es nicht äußerlich; da genügt es, dass wir jene Menschen, die sich mit solcher Arbeit abgeben, darum in unseren Herzen nicht für geringer halten denn uns, die wir vom Herrn aus ein ganz anderes Amt zu versehen überkommen haben.

08] Wir selbst müssen zuerst das Amt hochachten, uns aber freilich nicht etwa um unsertwillen, sondern vor dem Volke nur um des Amtes willen. So aber das eine Notwendigkeit ist, da dürfen wir nicht selbst die Pfützen und Kloaken reinigen gehen, sondern müssen diese Arbeit denen übertragen, die vom Herrn und von der Natur dazu bestimmt sind. Wir würden es auch nicht aushalten, weil wir nicht von Jugend auf daran gewöhnt worden sind. Und der Herr wird so etwas von uns auch sicher nicht verlangen; aber das verlangt Er als Vater aller Menschen, dass wir in unseren Herzen keinen Menschen, sogar den größten Sünder nicht, verachten sollen, sondern alles aufbieten, um seine Seele zu retten! Und so glaube ich, dass wir recht handeln werden vor Gott und vor allen Menschen.“

09] Sage Ich: ”Ja, also ist es recht! Die wahre Demut und die wahre Nächstenliebe wohnen wahrhaft in euren Herzen - und nicht im äußern Scheine wie bei dein Pharisäern!

10] Wer sich ohne Not unter die Kleie und Treber menget, muß sich's am Ende gefallen lassen, von den Schweinen aufgefressen zu werden!

11] Also verlangt die rechte Demut auch nicht, dass ihr die Perlen Meiner Lehre gerade den Schweinen vorwerfen sollt. Denn es gibt Menschen, die da ärger sind denn die Schweine, und für die taugt Meine Lehre nicht; denn diese Art Menschen mögt ihr ganz füglich eher zur Räumung der Pfützen und Kloaken verwenden, bevor ihr ihnen Meine Worte und Meinen Namen kundmacht!

12] Seht aber da nicht etwa aufs Kleid oder auf eine Außenwürde, sondern allein auf das Benehmen eines Menschen seinem Herzen und Gemüte nach! Ist das edel, sanft und geduldig, dann verkündet ihm das Evangelium und sagt: "Der Friede sei mit dir im Namen des Herrn und mit allen Menschen auf Erden, die eines guten Willens sind!" Ist der also zum voraus gesegnete Mensch eines wahrhaft guten Willens und Herzens, so wird der segenvolle Friede in ihm verbleiben, und das ihm bekanntgemachte Evangelium wird ehest die schönsten Himmelsfrüchte zu tragen beginnen. Und so glaube und meine Ich Selbst nun nach eurer menschlichen Weise, dass ihr alle nun mit dem, was die rechte Demut ist, so völlig zu Hause sein dürftet!

13] Und da die Speisen bereits auf dem Tische im reichlichstem Maße sich befinden, so essen und trinken wir alle nach Herzenslust und voll heiteren Mutes; denn so Ich als ein wahrer Bräutigam eurer Seelen unter euch sitze, zu mögt ihr wohl heitersten Mutes und fröhlichsten Sinnes dies wohlbereitete Mahl mit Mir verzehren! Werde Ich aber jüngst wieder nicht also wie nun unter euch sein, so mögt ihr schon wieder mit minderer Lust und Heiterkeit am Speisetisch sitzen!“



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