Jakob Lorber: 'Das große Evangelium Johannes', Band 4, Kapitel 132


Das Ende der gekreuzigten Raubmörder.

01] (Mathael:) ”In einer halben Stunde waren wir schon wieder auf Golgatha und trafen daselbst außer den Wächtern nahe niemanden dort. Aber die sieben boten einen Anblick des tiefsten Entsetzens dar. Ich will hier nicht so sehr von dem schrecklichen Aussehen der sieben Halbleichname reden, als vielmehr von ihren Seelen, die von ihren Leibern noch nicht abgelöst waren, sich aber alle Mühe gaben, selbst die Leiber zu zerstören und zu zerreißen. Diese schwarzen und dunkelblutrot gestreiften Tiger krallten sich in ihre Leiber und verbissen sich in dieselben; aber sie mußten dafür aus dem noch nervenlebenden Leibe eine sie schmerzende Rückwirkung verspüren. Denn nach jedem dem Leibe beigebrachten Bisse machten sie schmerzhafte Grimmgesichter und legten ihre Tatzen gleich auf die entsprechend gleiche Stelle, allwo sie in ihren halbtoten Leib hineingebissen hatten.

02] Diesem bösen Manöver sahen wir nahe eine Stunde lang zu, und ich mußte meinem Vater stets erzählen, was ich an den sieben wahrnahm. Das aber bemerkte der römische Wachtmeister, der meinen unsteten Blick schon länger mit aller Aufmerksamkeit beobachtet haben mußte. Er trat zu uns und fragte in der römischen Zunge uns beide, was wir denn an den sieben sähen, weil wir, besonders ich, mit solch unsteter Aufmerksamkeit beobachteten und ich stets meinem Vater etwas zu rapportieren hätte. Wir sollten das in seiner Zunge tun, ansonst er uns wegschaffen müßte.

03] Der Vater sprach mit ihm griechisch, worin er sich leichter bewegte als im Lateinischen, obschon wir beide auch das Lateinische recht gut verstanden; denn in Jerusalem mußte man ja schon als ein Knabe drei Sprachen kennen, so man mit den vielen Fremden konversieren wollte. Mein Vater erklärte ihm, dem Wachtmeister, dass er ein Arzt sei und hier mit mir als seinem Sohne und zugleich seinem Schüler morbognostische (d.h. krankheitserkennende) und psychologische Beobachtungen anstelle, und mich dabei antreibe, auf alle Symptome wohl achtzuhaben; er erkläre mir nebstbei auch dieses und jenes nach der Weise des Hippokrates.

04] Der Wachtmeister aber fand daran als ein wißbegieriger Mensch sein Wohlgefallen, nur wünschte er, dass mein Vater die Erklärungen mir in der griechischen Zunge machen möchte, damit auch er dabei etwas profitieren könne. Jetzt saßen wir in der Patsche! Denn dass mein Vater mir etwas dabei erklärt hatte, war nur eine Finte, um den Wachtmeister zu beruhigen, indem nur ich dem Vater über das psychisch Gesehene Mitteilungen gemacht hatte, die doch sicher von der Art waren, über die uns der Wachtmeister ins Gesicht lachen müßte, so er sie vernähme. Was war nun hier zu tun? Wir beide waren ratlos!

05] Aber nun bemerkte ich einen Geist, der sich gerade aus der Lufthöhe, auf einer Wolke stehend, herabließ und in seiner Rechten ein großes, blankes Schwert trug. "Was wird er hier tun?" dachte ich mir. Der Wachtmeister aber bemerkte meinen fixiert forschenden Blick und fragte mich gleich, ob ich etwa irgend etwas Besonderes sähe. Und ich erwiderte ihm nach meiner damaligen Art ganz kurz und etwas barsch: "Allerdings, - aber so ich es dir auch mitteilete, so würdest du es mir dennoch nicht glauben!"

06] Der Wachtmeister wollte hier in mich dringen; aber da es bei dieser Gelegenheit schon gen Abend zu gehen anfing und vom Kornelius eine Order kam, den sieben nach der Römer Sitte mit Beilen die Beine an den Füßen zu brechen, und wenn einer noch lebte, ihm mit einem Schlage aufs Haupt und einem auf die Brust den Garaus zu machen, so bekam unser Wachtmeister wieder strengen Dienst, und wir waren in unserer Beobachtung unbehindert.

07] Ich sah nun nur auf den großen Geist, der ein dunkelhimmelblaues Faltengewand anhatte, was denn er bei dieser Geschichte tun werde. Hört! Wie die Beinbrecher auf das Kommando harrten, um den sieben die Beine zu zerschlagen und einem noch beim Leben Seienden mit den bewußten Schlägen den Garaus zu geben, da streckte der mächtige Geist sein Schwert aus und hieb die Fäden entzwei, mit denen die schwarzen Tigerseelen noch mit den Leibern zusammenhingen.

08] Als diese schrecklichen Seelen ihrer Leiber ganz ledig waren, bekamen sie auf einmal ein etwas menschlicheres Aussehen, gingen auf den Hinterbeinen einher, aber ganz stumm und höchst traurigen und leidenden Aussehens, und der Geist herrschte sie folgenderweise an: "Entfernet euch an den Ort eurer bösen Liebe; er wird euch anziehen! Wie eure Taten, also auch euer Lohn!" Die sieben Seelen aber schrien: "Sollen wir verdammt sein, so wäre dazu noch Zeit gewesen! Warum mußten wir uns denn martern lassen, so uns nun hier die ewige Verdammnis erwartet?!"

09] Sagte der große, mächtige Geist: "Alles lag und liegt noch an eurer Liebe! Ändert diese nach der euch bekannten Ordnung Jehovas, und ihr werdet eure eigenen Erlöser sein; aber außer euch kann euch niemand in der ganzen Unendlichkeit Gottes erlösen! Das Leben ist euer, und die Liebe ist euer; könnt ihr eure Liebe ändern, so wird diese dann auch euer ganzes Leben und Sein umgestalten! Und nun entfernet euch!"

10] Bei diesen scharfen Worten des großen und mächtigen Geistes fuhren die sieben unter einem gräßlichen Geheule schnellstens von dannen; ich aber war so keck, den großen Geist zu fragen, was es denn mit den sieben späterhin für ein Ende nehmen werde.

11] Und der Geist erhob sich wieder und sagte nichts als: "Ihr höchst eigener Wille! Bei diesen war es nicht Mangel an der Erziehung, nicht an der Erkenntnis, und sie waren auch nicht besessen - denn nur durch ihren bösen Willen. Das Geschmeiß, das du während ihres Ausgesetztseins und während ihrer Stäupung ihnen entfliehen sahst, waren keine fremden Dämonen, sondern lauter Produkte und Ausgeburten ihres eigenen bösen Willens. Also ist dies Gericht ein gerechtes; denn es hatte mit sieben vollendeten Teufeln zu tun, für die es auf dieser Welt keine Lehre, kein Wort und keine Besserung gab! Hier bei uns aber, da alles offenbar wird, wird ihr Los so sein, wie sie selbst es aus ihrer Liebe heraus wollen werden. An Gelegenheiten, wenn auch nur zum Scheine, wird es hier nicht fehlen, sich zu versuchen in noch mehr Bösem oder aber auch in Besserem. Verstehe das, Junger, und erkläre solches auch deinem Vater, dem für das keine Sehe gegeben ist!"

12] Mit diesen bedeutungsvollen Worten verschwand der große und mächtige Geist, und die Beinbrecher begannen ihr Werk. Bei fünfen rann kein Blut mehr aus den weitklaffenden Wunden; aber bei den zwei letzten zeigte sich noch Blut. Bei diesen wurden denn auch sogleich die gewissen Garausmachungsschläge angebracht, was aber auch eine ganz vergebliche Mühe und Arbeit war; denn wo die gute oder schlechte Seele einmal aus dem Leibe ist, da ist der Leib schon sicher ganz vollkommen tot.

13] Nach dieser eben nicht zu einladend schönen Handlung begaben sich die Scharfbüttel nach Hause, die Leichname aber wurden dem Wasenmeister und seinen Knechten zur weiteren Vertilgung übergeben. Die Art der Vertilgung aber war verschieden und ist es noch, nur beerdigt durften sie nicht werden. Gewöhnlich wurden sie verbrannt mit dem verfluchten Holz oder ausgesotten im verfluchten Wasser und sodann erst den wilden Tieren zum Fraße vorgeworfen. Die wilden und reißenden Bestien aber, die davon fraßen, gingen gewöhnlich zugrunde, daher der Wasenmeister dergleichen Leichname ganz gewöhnlich im verfluchten Wasser auskochte und sie dann zur Vertilgung der Wölfe, Hyänen, Bären und Füchse weithin ganz gut verkaufen konnte und recht viel Geld dafür bekam.

14] Das, o Herr, ist nun abermals ein Histörchen, das ich erlebt habe in meiner Jugend, bei der mir sonst alles klar wäre, - nur die Gestalt der Seelen nicht, die aller menschlichen Form bar waren, und das vorher zahllos viele aus den Verruchten entflogene, mir sichtbar gewordene Geschmeiß von Fledermäusen und kleinen Drachen. Der große Geist gab mir freilich dahin wohl ein etwas erläuterndes Wort, dass dies nur Ausgeburten des bösen Willens seien; aber wie, - das ist eine ganz andere Frage, die außer Dir, o Herr, wohl niemand beantworten und lösen wird! Diese beiden könntest Du, o Herr, uns wohl lösen, so es genehm wäre Deinem heiligsten Willen!“



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