Jakob Lorber: 'Das große Evangelium Johannes', Band 4, Kapitel 142


Vom ersten Menschenpaare Adam und Eva.

01] Sage Ich: ”So wie du, Freund, nun geredet hast von Gottes Zorn und Rache, Gerechtigkeit und Liebe, ebenalso urteilt auch ein Stockblinder von der harmonischen Pracht der Farben im Regenbogen!

02] Hast du denn noch nicht aufgefaßt, wie da alle fünf Bücher Mosis und alle Propheten, Davids und Salomos Schriften nur auf dem Wege der inneren geistigen Entsprechung verstanden und begriffen werden können?!

03] Meinst du denn im Ernste, dass Gott den Adam aus dem Paradiese durch einen Engel, der ein flammendes Schwert als Vertreibungswaffe in seiner Rechten führte, vertreiben ließ? Ich sage es dir: mag das auch dem Adam als Erscheinung vorgestellt worden sein, so war es aber nur eine Entsprechung von dem, was eigentlich in Adam selbst vorgegangen ist, und gehörte eben also zum Akte seiner Erziehung und zur Gründung der ersten Religion und Urkirche unter den Menschen auf Erden.

04] Auf der Erde aber gab es nirgends ein materielles Paradies, in dem dem Menschen die gebratenen Fische in den Mund geschwommen wären, sondern er mußte sie so wie jetzt erst fangen und braten und dann erst mit Maß verzehren; war der Mensch aber tätig und sammelte sich die Früchte, die die Erde ihm trug, und hatte sich dadurch einen Vorrat erzeugt, so war jede Gegend der Erde, die der Mensch kultiviert hatte, ein rechtes irdisches Paradies!

05] Was wäre auch aus dem Menschen und seiner Geistesbildung geworden, wenn er in einem wahren Müßiggangs- und Freßparadiese sich um gar nichts zu kümmern und zu sorgen gehabt hätte, wenn ihm, wie gesagt, die besten Früchte in den Mund hineingewachsen wären, wenn er sich, auf weichstem Rasen liegend, nur hätte wünschen dürfen, und alles wäre schon da, so dass er nur den Mund aufzusperren brauchte, und die besten Bissen schöben sich ihm schon in den Mund?! Wann würde der Mensch bei solch einer Erziehungsweise denn zur bedingten Lebensselbständigkeit gelangen?! Ich sage dir, dass der Mensch nach deinem Begriffe vom Paradiese bis zur Stunde nichts anderes wäre und wüßte als ein ganz wohlbestellter Freßochse oder als ein Freßpolyp auf dem Meeresgrunde.

06] Was stellt demnach die Erscheinlichkeit des Engels mit dem Flammenschwerte vor? Was besagt dies Wortbild? Der Mensch war nackt; denn bis jetzt ist noch kein Mensch mit einem Kleide in die Welt getreten. Hatte er auch, ebensowenig wie diese Eselin hier, keine Kindheit dem Leibe nach durchzumachen gehabt, da er dem Leibe nach ebenso entstanden ist wie diese Eselin, und hatte er auch eine Größe von mehr denn zwölf Schuhen, wie nicht viel minder auch die Eva, so war er aber in der ursprünglichen Erfahrung über die Beschaffenheit der Erde ja dennoch ein Kind und mußte erst klug werden zumeist durch die Erfahrung.

07] Im warmen Frühjahre, Sommer und Herbste konnte er es schon mit der nackten Haut aushalten; aber im Winter fing er an, die Kälte sehr zu fühlen, und er selbst fragte sich in seinem Gefühle, das Gott in ihm stets mehr und mehr erweckte durch geistiges und naturmäßiges Einfließen: "Wo bin ich denn? Was ist mit mir vorgegangen? Es war mir zuvor so angenehm, und nun friert es mich, und die kalten Winde tun wehe meiner Haut!" Offenbar mußte er sich um eine vor dem Winde geschützte Wohnung umsehen und seinen Leib mit allerlei Laub der Bäume zu überdecken anfangen. Durch diese gezwungene Arbeit ward das Denken reger und ordnete sich auch bald.

08] Aber es fing ihn auch zu hungern an; denn gar viele Bäume und Gesträuche hatten leere Zweige. Er ging weit aus und suchte Nahrung und fand noch volle Bäume; er sammelte die Früchte und trug sie in die Grotte, die er als eine gute Wohnung auffand. Da sagte ihm sein schon mehr erfahrenes Gemüt abermals: "In dieser Zeit liegt die Erde in einem Fluche, und du Mensch kannst dir nur im Schweiße deines Angesichts deine Kost sammeln!"

09] Nachdem aber der erste Mensch dieser Erde einmal in der Grotte überwintert hatte auf den Höhen, die da begrenzen den nordöstlichen Teil des Gelobten Landes, zu dem auch unser Galiläa gehört, da hatte er Muße, mit seinem Weibe tiefer in sich hinein zu forschen und zu schauen. Da fand er auch ein Bedürfnis nach einer größeren Gesellschaft. Im Traume ward er belehrt, was er zu tun hätte, um zu einer solchen, das heißt größeren Gesellschaft zu gelangen, und nach solcher Belehrung fing er an, zu zeugen den Kain und dann bald darauf den Abel und den Seth.

10] Das Weib aber war es, das ihm den ersten Einschlag zur Zeugung gab; denn dem Weibe kam zuerst im Traume ein Gesicht, wie die Zeugung zu geschehen habe. Weiter wollen wir diese Sache nicht verfolgen, und Ich sage nun dir, Mein Freund Stahar: alles ging ganz natürlich zu, und es gab da nirgends etwas Widernatürliches. Aber Moses sah es dennoch, dass dies alles nur nach dem Willen Jehovas geschehen konnte; er erkannte durch Gottes Geist, dass alle diese ganz natürliche Führung auf dem Wege gemachter Erfahrungen durch Mich, das heißt durch Meinen Geist, geleitet ward und stellte darum Gott durch entsprechende Bilder stets an die Seite dieses ersten Menschenpaares und personifizierte aber auch Meine Einwirkung in den kürzesten, aber doch entsprechendsten Bildern, wie sie damals allgemein üblich waren und auch sein mußten, weil überall zur Leitung des Volkes und der Völker solche Bilder notwendig waren.

11] Übrigens aber versteht es sich von selbst, dass Gott und die Engel es wohl wußten und auch verstanden, das erste Menschenpaar in einer der fruchtbarsten Gegenden der Welt werden und entstehen zu lassen.

12] Wenn spätere und eigens zugelassene Naturereignisse die ersten Menschen nötigten, ihren ersten Nährgarten zu verlassen und sich auf der Erde weiter umzusehen, so geschah das auch nicht etwa aus einer Art göttlichen Zornes, sondern nur aus Liebe zum Menschen, auf dass er von seiner träge gewordenen Sinnlichkeit wieder aufgeweckt würde und überginge zur Tätigkeit, und dass er mache ausgedehntere Erfahrungen.

13] Als Adam und sein Weib und seine Söhne es wahrnahmen, dass es auf der weiten Erde nahe überall etwas zu essen gab, fingen sie an, größere Reisen zu unternehmen, wodurch sie mit Asien und Afrika so ziemlich vertraut wurden. Das bereicherte sie wieder mit allerlei Erfahrungen. Geheim vom Gottesgeiste geleitet, kamen sie in ihr erstes Eden zurück und blieben daselbst, von wo aus denn auch die Bevölkerung der ganzen Erde erging.

14] Sage Mir in deinem Gemüte: Schaut da irgendein Zorn oder eine Rache Gottes heraus?“



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