Jakob Lorber: 'Das große Evangelium Johannes', Band 4, Kapitel 183


Der Fluch der Urkultur der Ägypter.

01] (Oubratouvishar:) ”Vor diesem Palaste standen zwei ungeheuer große Säulen (Obelisken) ganz frei und waren auf allen Seiten voll beschrieben mit allerlei Zeichen, Figuren und Schriften; auch vor der großen Säulenhalle waren zwei gleiche Säulen angebracht.

02] Wir gingen schüchternen Schrittes in das Haus des Obersten und hatten eine Weile zu gehen, bis wir in dessen Wohngemächer drangen. Ach, darin sah es schon so wundervoll schön aus, dass mir dabei ordentlich das Hören und Sehen verging.

03] Ich verglich im Geiste meine armseligste Hütte daheim mit dieser Wohnung und sagte zu mir selbst: "Warum sind denn wir Schwarzen gar so wunder arm in unserem Wissen und Erkennen? Warum können wir keine solchen Gebäude zustande bringen? Warum können wir noch immer nicht umgehen mit der Erzeugung der Metalle? Noch haben wir keine anderen Schneidewerkzeuge als die, die wir von den Ägyptern gegen unsere rohen Naturprodukte eingetauscht haben! Wie elend sind unsere Webstühle, wie schlecht unsere Spinnerei! Unter uns ist kein Geist, kein Talent, kein Eifer; wir sind kaum auf einer etwas höheren Stufe als unsere Affen!"

04] Als ich mich in solche Gedanken verlor, brach mir das Herz, und ich mußte zu weinen anfangen und sagte dabei laut: "Oh, warum sind denn wir Schwarzen nicht ganz Tiere, die weder denken noch irgend etwas fühlen können?! Was Herrliches können die wirklichen Menschen, diese wahren Erdengötter, schaffen, und wir gar nichts dagegen, wir schwarzen Halbmenschen und Halbtiere! Und dennoch müssen wir gar mächtig fühlen über alles das Herrliche, was die wirklichen Menschen geschaffen haben!"

05] Da sagte der Oberste zu mir: "Mache du dir da nichts daraus! Wir sind bereits Menschengreise geworden, denen alle diese Herrlichkeiten keine Freude mehr machen können, da wir uns schon überlebt haben; ihr aber seid noch Kinder voll Kraft und voll von stets mehr und mehr wach werdendem Eifer. Wir haben für diese Welt schon ausgelebt, unsere Kronen liegen verwelkt im Grabe der Vergessenheit, unsere Paläste stürzen ein, und unser gegenwärtiges Wissen und Erkennen ist schlechter als sehr schlecht. Wir haben hier wenige Schmiede und wenige Weber mehr; alle unsere technischen Bedürfnisse müssen wir entweder von Rom oder von Griechenland aus befriedigen.

06] Ja, einstens vor ein paar tausend Jahren hausten hier in diesem Lande freilich wohl mehr Götter als Menschen und errichteten Werke, über deren Reste noch dieser Erde späteste Nachkommen staunen werden! Aber was wir nun hervorbringen, ist gleich einem Zerstören nur, sowohl in der Materie als auch in der Seele. Ihr aber seid noch ein unverdorbenes, urwüchsiges und jugendlich kräftiges Volk, könnt denken und wollen, und könnt darum bald größer werden in euren Werken, als da die Völker dieses Landes je waren.

07] Wollt ihr aber als Menschen wahrhaft glücklich leben auf dieser Erde, so bleibt bei eurer alten Einfachheit! Erstens kostet diese euch wenig Mühe und Arbeit, und zweitens habt ihr nur ganz geringe natürliche Bedürfnisse, die ihr leicht deckt. Eure Viehzucht auf euren fetten Gebirgstriften macht euch wenig Arbeit und Sorge, und euer Ackerbau, den ihr nur sehr wenig betreibt, ist ohnehin als nichts zu rechnen; auch eure Kleidung ist einfach und leicht zustande zu bringen. Ihr braucht daher sehr wenig Zeit auf eure natürlichen Bedürfnisse zu verwenden und könnt euch darum mehr und ausschließlich mit den geistigen Betrachtungen abgeben! Und siehe, das ist viel mehr wert, denn mit blutigem Schweiße auf Kosten von hunderttausendmal hunderttausend Menschenleben solche Paläste erbauen, damit der nie verwüstbare Zahn der Zeit dann Tausende von Jahren an ihnen sattsam zu nagen hat!

08] Und was ist endlich so ein künstlich übereinandergelegter Steinhaufen gegen einen Grashalm nur, der vom großen Geiste Gottes erbaut ward? Ich sage es dir: gar nichts! Jeder Grashalm, jeder Baum ist ein Gebäude Gottes, wächst aus der lieben Erde ohne unsere Mühe und Arbeit, und in kurzer Zeit erquickt er unsern Gaumen mit seiner süßen Frucht. Welche Mühe und erschreckliche Arbeit aber kostet den Menschen solch ein Palast! Und was haben sie hernach, wenn ihr Werk nach vielen blutigen Jahren fertig dasteht? Nichts als eine elende Nahrung ihres Hochmutes, die Erweckung des Neides fremder Völker, mit der Zeit Krieg und allerlei Verfolgung!

09] Wahrlich, du mein lieber schwarzer Freund, das ist ein elendes Glück eines Volkes, das so dumm ward, mit solchen toten Palästen seine schönsten und fruchtbarsten Triften zu überziehen, auf denen sonst viele Hunderttausende von den fruchtbarsten Bäumen ihre edlen Früchte den zufriedenen und in ganz einfachen Hütten wohnenden Menschen in ihren Schoß schütten könnten! Siehe, auf dem Flecke, da diese Stadt erbaut steht, könnten ganz leicht zehntausend Menschen nebst ihren zahlreichen Herden einen genügendsten Unterhalt finden; so aber wohnen gegenwärtig freilich noch bei hunderttausend Menschen in diesen schadhaften Mauern! Aber welch ein Leben führen die meisten!

10] Vormals, wie die Geschichte lehrt, war dies Land eine Kornkammer, aus der in den Zeiten der Not fremde Völker mit Brot versorgt worden sind; nun müssen wir nicht selten das Korn von weit entlegenen Ländern und Völkern uns verschaffen! Unsere Herden befinden sich in dem elendesten Zustande. Tausende von Menschen in einer solchen Stadt arbeiten wegen ihres bißchen Goldes und Silbers gar nicht, gehen Tag für Tag müßig umher, halten sich feile Dirnen und unterhalten sich nicht selten auf eine niedrigst tierische Weise mit ihnen; das erzeugt stets eine Menge Krankheiten, - ein Etwas, das ihr gar nicht kennt. Am Tage, solange die Sonne wirkt, werdet ihr diese große Stadt wie ganz entvölkert sehen; erst wenn die kühlere Nacht gekommen ist, dann entsteigen sie gleich den Raubtieren ihren künstlichen Steinhöhlen und unterhalten sich mit allerlei, wonach sie ein Gelüste tragen. Und so siehe, du einfacher Sohn der reinen Natur, das sind die Segnungen, die die Menschen von ihrer großen Steinkultur haben!"“



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