Jakob Lorber: 'Das große Evangelium Johannes', Band 4, Kapitel 239


Der Einfluß einer falschen Erziehung auf das Gehirn.

01] (Der Herr:) ”Um aber alles das noch heller und handgreiflicher zu verstehen, wollen wir zu dem Behufe das Gehirn hier zu Meiner Linken mit der größten Aufmerksamkeit in seinen weiteren Ausbildungsperioden verfolgen!

02] Es ist bis jetzt noch ganz unverändert also zu sehen, wie es, schon im Mutterleibe verdorben, in die Welt ausgeboren wird. Wir werden aber nun gleich sehen, welches Gesicht und was für eine Farbe es annehmen wird, wenn das Kind etwa nach fünf Jahren Alters die ersten Züge einer verkehrten Erziehung bekommt, in der man da anfängt, sein Gedächtnis mit allerlei Auswendiglernereien zu belästigen und soviel als möglich zu verwirren.

03] Seht an, Ich will, dass nun die ersten Weltbegriffe dem Gehirne eingeprägt werden! Seht nun nur recht genau her, und ihr werdet es leicht bemerken, wie die Obelisken vor einem oder dem andern zerstreut vorkommenden Gehirnpyramidchen ganz plump und mit einer sehr trägen Bewegung anfangen, auf eine Gehirntafel von einer Sache ein sehr mageres Bild mit einer ganz dunklen Substanz zu schmieren!

04] Die erste Anlage ist kaum als etwas anderes als eine pure, ganz sinnlose Schmiererei anzusehen, daher die Seele solch eines Kindes sich anfangs in dem vorgesagten Sachbegriff auch lange nicht zurechtfinden kann. Hundert Male darf es dem Kinde vorgesagt oder vorgezeigt werden, bis es sich davon wohl endlich einmal eine gemerkte, aber immer nur eine höchst dunkle Vorstellung machen kann.

05] Der Grund davon liegt erstens in der Unreife der etlichen, an und für sich selbst noch ganz ordentlichen Pyramidalgehirntäfelchen. Die vor ihnen angebrachten Zeichenstifte (Obelisken), selbst noch ganz schwach und ungeübt, werden mit äußerer Gewalt genötigt, zu zeichnen ohne die gehörige, aus dem Gemüte hervorgegangene Übung und ohne Besitz der rechten Substanz, und das auf die rohen, noch lange nicht zum Daraufzeichnen gehörig präparierten Täfelchen. Daher verrinnt das Bild immer von neuem wieder und muß nicht selten von den ordentlich genotzüchtigten Obelisken zum hundertsten Male von neuem gezeichnet werden, bis einmal ein Bild, ganz schwach nur, auf der unreifen Tafel haften bleibt.

06] Und welchen Gewinn hat dann eine Seele von solch einem puren Schattenbilde? Sie erschaut nun bloß die matten äußersten Umrisse. Von einem Eindringen in die Sache selbst ist bei solch einem Bilde wohl von weitem keine Möglichkeit! Wer könnte aus einem matten Schatten eines Menschen ersehen, wie er innerlich beschaffen ist?! Durch vieles und mühsames Zwingen und Nötigen werden die brauchbaren Gehirntäfelchen zum größten Teile mit schwarzer Tünche übersudelt, auch die Gotteslehre wird gleich dem Einmaleins in das Gehirn hineingekeilt, und des Gemütes Bildung besteht bloß in den Raststunden von der materiellen Verstandeskeilerei.

07] Erst, wenn der junge, geplagte Mensch nach zurückgelegten sogenannten 'Berufs'verstandesquetschereien (Studien) irgendein Amt überkommen hat, wird sein Herz um etwas freier; er sieht sich nach einer ihm wohlgefälligen Maid um, um sie zum Weibe zu nehmen. Die kurze Zeit des eigentlichen Verliebtseins ist für den jungen Menschen noch die beste, weil während ihrer Dauer der Mensch doch ein wenig in seinem Gemüte eine kleine, wennschon sehr untergeordnete Erregung überkommt, durch die so viel Licht in sein Gehirn kommt, dass er sich erst mit Hilfe dieses wenigen Lichtes in allem dem, was er jahrelang mühsam erlernt hat, doch ein wenig praktischer auszukennen anfängt und also für ein weltliches Amt ein etwas tauglicheres Individuum wird.

08] Menschen aber, die sogar von dieser Liebe in ihrem Gemüte nicht irgend wärmer erregt werden, bleiben höchst selbstsüchtige und stoische Pedanten, die sich fürderhin nicht um ein Haarbreit über ihre stereotyp besudelten Gehirntäfelchen erheben und in nichts anderem herumwühlen als nur in ihren Gehirnschattenbildern, deren Zahl keine große sein kann, und was noch da ist, ist finster, schwarz und fürs Sehvermögen der Seele rein unwahrnehmbar.

09] Die Seele eines solchen Stoikers ist daher so gut wie vollends blind. Wie auch ein jeder sonst noch so scharf sehende Mensch in einer stockfinsteren Nacht ebensogut als vollkommen blind ist und sich zur Not nur mit dem Greifen fortbringen kann, also kann auch die Seele so eines rechten Selbstsüchtlers nicht etwa beschauen, was auf ihren Täfelchen gezeichnet ist, sondern weil bei einer so gänzlich verkehrten Gehirnbildung, wo nur durch oft wiederholtes Besudeln einer Gehirntafel ein Bild am Ende ganz stereotyp und plastisch auf derselben haften bleibt, durch irgendeine regere Gemütsbewegung, die nicht vorkommt, gar kein Licht ins Gehirn für bleibend aufsteigt, so muß sich die Seele aufs Befühlen ihrer finsteren, aber stereotypen Gehirntafelbilder verlegen.

10] Weil aber eine solche verrumpelte Seele nur durchs Betasten ihrer bezeichneten Gehirntafeln sich ihre Weisheit schafft, so wird es etwa doch auch begreiflich sein, warum eine solche Seele in allem ihrem Tun und Lassen so abgemessen pedantisch und stereotyp wird und nichts als ein Etwas annimmt, was sie nicht allergröbst und materiellst mit den Händen greifen und betasten kann. Eine solche Seele hält am Ende auch das, was sie in der Außenwelt mit ihren Augen sieht, für eine optische Täuschung, und was sie hört, für Lüge; nur was sie nach allen Seiten hin mit den Händen betasten kann, hält sie für eine reelle Wahrheit. Wie es dann mit der Weisheit und höheren geistigen Kultur einer solchen Seele aussieht, davon kann sich ein jeder leicht einen Begriff machen, der dieses von Mir nun Gezeigte und hinreichend Erklärte nur einigermaßen aufgefaßt hat.

11] Beseht nun noch einmal zum Überflusse dieses Gehirn links da! Es stellt nun gerade die finstere Weisheitskammer eines so recht stereotypen Weltweisen dar, und du, lieber Freund Cyrenius, als mit sehr scharfen Augen begabt, rede, was du darin nun alles erschaust!“



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