Jakob Lorber: 'Das große Evangelium Johannes', Band 5, Kapitel 34


Essäer Roklus vergleicht die Taten der Menschen mit denen Gottes.

01] (Roklus:) ”Ich aber frage hier bloß, was die weltlichen Gerichte mit einem Menschen tun würden, der sich mit mehreren Helfershelfern den bösen Spaß erlauben würde, etwa in einer Nacht die gesegneten Felder nur einer kleinen Gegend soviel als möglich zu verheeren? Ich glaube, solch einen mutwilligen Bösewicht würden die Römer wenigstens zehnmal kreuzigen, wenn sie seiner habhaft würden, oder sie würden ihn nach einem etwaigen ärztlichen Befunde in eine Irrenanstalt auf lebenslänglich verbannen. Aber einen Gott betet man darum noch an und hält ihn für endlos weise! Auch nicht übel, wenn man sich dabei nur glücklich fühlt! Denn der Götter höchste Weisheit hat ja das unbesiegbare Vorrecht in der ganzen Schöpfung, die allertollsten Streiche auszuüben; sie kann nach Gutdünken rauben, morden und verderben, und es wird niemandem beifallen, sich auch nur zu denken, daß sie da einen böstollen Streich ausgeführt habe. Nur das getrauen sich die abergläubischen Menschen aber doch zu denken, daß die vorbesprochene Verheerung der Saaten eben nichts Gutes war; denn wäre sie etwas Gutes, so hätten sich die armen, guten Menschen den Gang zu den Stellvertretern der Götter sicher erspart.

02] Was geschieht denn einem Menschen, der einem andern sein Haus anzündet und ihm dadurch nicht nur das Haus, sondern auch alles, was im selben aufbewahrt war, zerstört und also aus einem wohlhabenden Bürger einen Bettler macht? Meines Wissens gehört der Mordbrenner nach dem Gesetze ans Kreuz. Wenn aber der Herr Gott Zeus den verheerenden Blitz in jemandes Haus schleudert und ihm dadurch alles durchs Feuer verheeren läßt, so ist das undenkbar anders als höchst gut und höchst weise! Wehe dem, der das nicht also nähme und eisenfest daran glaubte; den würde der Pontifex Maximus dann schon den Zorn des Gottes Zeus auf eine Art fühlen lassen, gegen die das Abbrennen eines Hauses als eine enorme Wohltat anzusehen wäre! Ich aber bin so frei, hier die Frage aufzustellen, und sage: Wenn die Gottes Stelle vertretenden Menschen die häuserabbrennerische Tat als vom Zeus ausgehend für so weise und höchst gut und gerecht ansehen, warum sehen sie dann eine gleiche Tat, von einem Menschen verübt, für so höchst verworfen schlecht an, daß sie es für nötig finden, ihn dafür mit dem martervollsten Tode zu bestrafen?

03] Ich urteile da freilich also und sage: Das wahrhaft Gute und wahrhaft Weise muß, von wem immer verübt, ewig gut und weise bleiben und verdient darum keine Strafe! Weil aber die auf Erden die Götter vertretenden pfiffigen Menschen es geheim bei sich, gleich uns gutmütigen Essäern, wohl wissen, daß es keine Götter, sondern nur eine urrohe allgemeine Naturkraft gibt, deren Wirken ein pur zufälliges ist, das im weiteren Verlaufe und in den verschiedensten Auszweigungen erst in notwendig edlere Formen ausartet, so haben Gottesvertreter mittels ihrer Phantasie die Naturkraft als einen Gott allegorisch personifiziert und den anderen Menschen, die selbst nie etwas dachten, zur Verehrung und Anbetung gewöhnlich bildlich vorgestellt.

04] Der auf solche Art ausgeheckte Gott mußte sich denn auch zu rühren anfangen, und das natürlich so wundertätig als möglich! Hatte das Volk einmal den Gott durch mannigfache Wundertaten wahrgenommen, so mußte es sich auch bald scharfe Gesetze von ihm gefallen lassen. Wehe den Übertretern derselben! Damit die Menschheit in ihrer blinden und dummen Furcht vor dem einmal ungezweifelt angenommenen wundertätigen Gotte aber nicht nach einer leicht verübbaren Sünde in eine völlige Verzweiflung übergehen möchte, so haben die pfiffigen Gottesvertreter an Wiederaussöhnungsmittel mit der beleidigten Gottheit gedacht und haben dafür Opfer und andere peinliche Bußarten erfunden, durch die der Sünder wieder zur Freundschaft seines beleidigten Gottes gelangen kann. Und so gibt's nun schon überall auf der lieben Erde nebst den bürgerlichen Landesgesetzen auch von einem oder dem andern Gotte ausgehende Gesetze, die so gestellt sind, daß sich selbst ein in allem noch so keuscher und tugendvoller Mensch ohne weiteres täglich mindestens zehnmal dagegen versündigen muß, wodurch er sich der Gnade und des Wohlgefallens seines Gottes ein wenig unwürdig gemacht hat. Er muß sich am Abende, noch vor dem Untergange der Sonne, durch vorgeschriebene Mittel reinigen, ansonst er gleich in ein größeres Übel verfallen kann.

05] Ich kann und will das durchaus nicht schlecht nennen; denn es schadet nicht, so die Menschheit ein zartes Gewissen hat, und gewisse Waschungen und Reinhaltungen des Leibes haben noch keinem Menschen je geschadet. Aber mir und meinesgleichen darf man sie nicht als Anordnungen eines Gottes, der nirgends existiert, aufbürden! Ich und meine Gefährten wissen das, was wir wissen, und niemand kann uns nachsagen, daß wir für unser reinstes Wissen jemals Jünger geworben haben. Aber das wird uns etwa doch geheim wenigstens erlaubt sein, daß wir für uns kein X für ein U halten dürfen?! Wir werden nie jemandem zu nahe treten, da wir sämtlich Menschenfreunde sind; aber wir bitten auch uns ungeschoren zu lassen. Wozu keulen die Priester Jerusalems nun in einem fort auf uns Essäer? Sie sollen sein, was sie sind, und wir, was wir sind; denn sie sind vor dem Forum der reinen Vernunft nicht um ein Haar mehr als wir, - wir im Grunde auch nicht mehr denn sie. Wir verfluchen sie aber nicht, sondern bedauern sie nur ihrer groben Blindheit wegen. Wer aber gibt ihnen das Recht, uns zu verfluchen, da wir doch uns selbst das schwere Problem gestellt haben, nie einen Menschen zu richten und zu verderben, sondern nur jedermann zu helfen mit Rat und Tat?!

06] Verüben wir auch falsche Wunder - denn wahre hat es nie gegeben -, so geschieht das darum, um der blinden und blind bleiben wollenden Menschheit desto leichter zu helfen, weil ihr auf einem hellen, rein menschlichen Wege nicht mehr zu helfen ist. Das aber sollte von solchen Priestern, die sich Schriftgelehrte nennen und doch auch wissen müßten, wie sie daran sind, doch auch eingesehen werden! Sie sollten sich mit uns vereinen und mit uns gemeinsam wirken, und in wenigen Jahren schon würde es mit der Menschheit ganz anders aussehen denn jetzt.“



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