Jakob Lorber: 'Das große Evangelium Johannes', Band 6, Kapitel 20
Die Vergänglichkeit der Materie.
01] (Der Herr:) Nun aber bringe du Mir einen Stein, so groß und so hart du irgendeinen hast und hereinbringen kannst, und Ich werde euch allen dann etwas zeigen!
02] Hierauf erhob sich Lazarus schnell vom Sitze und brachte bald einen bei zehn Pfund schweren und sehr harten Quarzstein herein und legte ihn vor Mich hin auf den Tisch und sagte: Herr, da ist ein äußerst harter Stein!
03] Da sagte Ich: Der ist ganz recht, weil er ebenso hart ist wie die Herzen der Templer zu Jerusalem und die alten Mauern des Tempels; den kann Ich nun ganz gut gebrauchen!
04] Alle waren nun voll der gespanntesten Aufmerksamkeit, was Ich mit dem Steine machen werde.
05] Ich aber sagte: hört! Wir sind heute als am Nachsabbat recht heiter und fröhlich beisammen, und warum sollten wir es auch nicht sein?! Denn ihr habt Mich begriffen und erkannt, wennschon mit mancher Mühe und Opferbringung, und so habe denn auch Ich euch anerkannt! Ihr seid alles Gerichtes dadurch losgeworden, dieweil ihr euch selbst zum allein Wahren und Guten gerichtet habt durch euren schließlich ganz freien Willen. Und so kann Ich euch nun weiter, ganz unbeschadet eurer freien Erkenntnis und eures freien Willens, hier ein Zeichen Meiner inneren Göttlichkeit wohl schon geben, und so habt denn nun auf alles gar wohl acht! Was meint ihr wohl, was da leichter wäre: entweder diesen Stein bloß durch Meinen Willen in einem Augenblicke zunichte zu machen - oder den Tempel samt allem, tot und lebend, was immer darin ist, auf dieselbe Weise zu vernichten? Prüft noch zuvor den Stein, auf daß da niemand sage, er sei schon irgend zuvor dafür vorgerichtet worden!
06] Da sagten alle: O Herr, das tut hier nicht not; denn diesen Stein kennen wir schon lange! Er ist aus dem Flusse Jordan von einem Fischer wegen seiner schönen, runden Form hierher gebracht worden.
07] Sagte Ich: Nun gut; sagt denn, was für Mich da leichter wäre: diesen Stein - oder den Tempel zu vernichten!
08] Sagte einer von den - nun Griechen: Herr, wir meinen, daß Dir das ziemlich einerlei sein dürfte; denn uns kommt eines wie das andere für eine pur menschliche Kraft gleich unmöglich vor! Wir haben zwar zu verschiedenen Malen von ägyptischen Magiern auch Steine verschwinden machen sehen; aber da wurden wir bald inne, wie die Sache vor sich ging, als wir dieselben Steine darauf wieder zu sehen bekamen, und es dauerte auch gar nicht lange, daß wir ganz dasselbe mit vielem Geschicke nachmachten und uns dann, uns selbst gegenseitig auslachend, fragten, wie es nur möglich war, daß wir anfangs selbst daran glaubten, daß das ein wahres Wunder sei.
09] Aber das hier ist etwas ganz himmelhoch anderes! Das ist ein wirklicher Stein und ein härtester, der nur immer irgend bei uns vorkommt. Die Griechen verstehen zwar die Kunst, diesen Stein im Feuer zu schmelzen und das kostbare Glas daraus zu bereiten, was vor ihnen zu den Zeiten der ersten Pharaonen schon die Phönizier verstanden haben sollen, - aber da wird aus dem Steine nur eine veränderte Materie. Aber solchen Stein bloß durch den puren Willen gänzlich zu vernichten, dazu gehört eine göttliche Kraft, von der wir schwachen Menschen uns nie einen wahren und klaren Begriff werden zu machen imstande sein!
10] Sagte Ich: Also - gut! Gebet nun alle wohl acht, daß Ich den Stein nicht anrühre, sondern bloß zu ihm sage: Werde zunichte, du altes Gericht!
11] Als Ich solches ausgesprochen hatte, da war in demselben Augenblick von dem Steine keine Spur mehr vorhanden.
12] Da schlugen alle die Hände über den Köpfen zusammen und schrien förmlich: Ja, ja, das kann nur einer rein göttlichen Kraft möglich sein! So etwas ist noch nie erhört worden!
13] Sagte Ich: So, wie nun dieser Stein bloß durch Meinen Willen aufgelöst wurde in seine Urelemente, ebenso könnte Ich es mit dem Tempel, mit allen Bergen, mit der Erde, mit Sonne und Mond und mit allen Sternen tun und sie auflösen in ihr ursprüngliches, förmliches Nichts, das heißt in pure Gedanken Gottes, die so lange auch keine Realität haben, bis sie nicht durch die Liebe und durch den allmächtigen Willen Gottes ihre reelle Form und Feste bekommen. Aber in Gott herrscht nicht das Prinzip des Zerstörens und Vernichtens, sondern in Seiner ewigen Ordnung steht die Erhaltung aller einmal erschaffenen Dinge, aber freilich nicht im beständigen Gerichte der Materie, sondern ungerichtet frei im Geiste und Leben, aus welchem Grunde auch keine Materie in dieser Gerichtswelt eine Beständigkeit hat und haben darf, sondern alles nur eine gewisse Zeit hindurch dauert, dann sich allmählich auflöst und nach der Ordnung ins Geistige, Beständige und Unvergängliche übergeht.
14] Die Materie ist ein Grab des Gerichtes und des zeitweiligen Todes, und die toten Geister in diesen Gräbern müssen auch Meine Stimme hören und gehorchen Meinem Willen, wie ihr es nun erfahren habt. Und so wie dieser Stein nun plötzlich aufgelöst worden ist, dasselbe wird nach und nach mit der ganzen Erde geschehen, und es wird dann aus ihr hervorgehen eine neue, geistige und unvergängliche Erde voll Leben und Seligkeit für ihre geistigen Bewohner, und kein Gericht und kein Tod wird herrschen auf ihren himmlischen Gefilden; denn sie wird hervorgehen aus dem Leben aller, die aus ihr hervorgegangen und auf ihr geboren worden sind.
15] Ihr habt nun gesehen die Macht des göttlichen Willens in Mir, und Jerusalem und der Tempel hätten es lange verdient, daß Ich mit ihm (dem Tempel) das täte, was Ich nun mit dem Steine getan habe. Aber nein, er soll sein und walten bis zu seiner Zeit. Durch sein Walten wird er sich selbst zerstören, aber nicht also, wie Ich nun diesen Stein zerstört habe, der dadurch von seinem alten Gerichte nur in ein freieres, seelengeistig freies spezifikales Sein übergegangen ist, sondern wie sich ein Selbstmörder zerstört, dessen Seele dann dadurch in ein noch härteres Gericht und in einen vielfachen Tod übergeht. Darum lassen wir sie bis zu ihrer Vollmaßzeit, auf daß sie dereinst nicht sagen können: "Ihr habt uns keine Kunde gegeben und habt uns dennoch zerstört!" - Begreifet ihr nun dieses Zeichen, das Ich nun vor euren Augen gewirkt habe?
16] Sagten die Griechen: Herr, das ist ein sehr vielsagendes Zeichen, das wir teilweise wohl begreifen, - aber es vom Grunde aus zu durchschauen, das ist nur Dir allein möglich; uns aber wird es vielleicht erst jenseits durch Deine Gnade möglich werden! Wahrlich, das war ein Zeichen höchst ernster Art und enthält in sich eine unendlich große Bedeutung, so klein es im Anfange auch aussah! - Aber da Du, o Herr, heute gerade schon so gut aufgelegt zu sein scheinst, so möchten wir Dich ja nicht etwa versuchsweise, sondern also nur freundlichst bitten, uns zu sagen, wie Du es denn machst, um so gewisserart aus Nichts etwas ins Dasein zu rufen.