Jakob Lorber: 'Das große Evangelium Johannes', Band 6, Kapitel 144


Die Abhängigkeit des menschlichen Wirkens von Gottes Gnade.

01] Sagte Ich in einem ganz gemütlich ernsten Tone: ”Es ist wahrlich nicht sehr löblich von euch, hier auf einmal also aufzutreten! Gibt es denn noch irgend ein Leben, eine Kraft und eine Macht außer Gott? Gott aber will euch möglichst frei und selbständig lebend machen für ewig und zeigt euch, wie ihr es anzufangen habt, um euch ein gottähnliches, freiestes und völlig selbständiges Leben eigen zu machen. Warum ärgert euch dann solche Liebe Gottes zu euch?!

02] Ist denn das eigene Naturmittelleben irgend etwas anderes als nur der Arm, mit dem ihr das wahre Gottesleben an euch ziehen könnt? Wenn aber also, da hat es an und für sich ja doch keinen andern Wert als eben den nur, der ihm von Gott aus bestimmt ist.

03] So ihr aber nun nur noch als naturlebende Menschen handelt und in solchem Handeln eure eigene Ehre suchet, so ihr euch selbst das gute Zeugnis gebt, da seid ihr gleich dem im Tempel sich vor Gott rechtfertigenden Pharisäer und sagt auch: 'Herr, ich danke Dir, daß ich nicht bin wie viele andere, daß ich das Gesetz hielt vom ersten bis zum letzten Buchstaben und alles genau erfüllt habe, was Moses und die Propheten vorgeschrieben haben!' Ich habe euch dieses Gleichnis zwar schon einmal gegeben, - aber ihr habt es vergessen! Hättet ihr es behalten, so wüßtet ihr auch, daß da nicht der Pharisäer, sondern nur der sich vor Gott sehr demütigende Zöllner gerechtfertigt den Tempel verließ.

04] So ihr sagt: 'Wir haben dieses und jenes Gute gewirkt!', da lüget ihr erstens euch selbst, dann Gott und auch eure Nächsten an, weil kein Mensch aus sich etwas Gutes zu wirken vermag, und das darum, weil erstens schon sein Naturleben nur ein von Gott ihm gegebenes ist - und zweitens aber auch die Lehre, nach der er zu leben und zu handeln hat. Wenn ein Mensch das nicht einsieht und begreift, so ist er für sich auch soviel wie nichts, und es ist bei ihm von einer Selbständigkeit noch lange keine Rede, weil er zwischen seinem eigenen Wirken und dem Wirken Gottes in ihm und durch ihn noch nicht unterscheidet und beides als ein und dasselbe fühlt und betrachtet; nur dann erst tritt der Mensch in den Kreis der Lebensselbständigkeit, so er es wahrnimmt, daß sein eigenes Lebenswirken ein eitel nichtiges ist und nur das göttliche Wirken in ihm allein gut ist.

05] Sieht der Mensch das ein, so wird er sich auch sicher stets mehr und mehr bestreben, sein eigenes Wirken mit dem wohlerkannten göttlichen zu vereinen und sich so auch und nach völlig mit der Lebenskraft Gottes in ihm zu einen, durch welches Einen der Mensch dann erst zur wahren Lebensselbständigkeit gelangt, da er dann weiß und klar einsieht, daß das göttliche, früher wie ein fremdes Wirken also nun zu seinem eigenen geworden ist durch die Demut vor Gott und durch die rechte Liebe zu Gott. Und darin liegt der eigentliche Grund, warum Ich vorhin zu euch gesagt habe: Und so ihr auch alles getan habt, so sagt und bekennt dennoch: 'Herr, nur Du hast das alles getan; wir aber waren aus unserem Selbstischen nur faule und unnütze Knechte!'“ (lk.17,10)

06] So ihr das in euch selbst wohlerkenntlich sagt, da wird euch die Gotteskraft unter die Arme greifen und wird euch vollenden; wenn ihr das aber nicht wohleinsichtlich in euch selbst bekennt und dafür nur euch selbst auf den Altar der Ehre erhebet, da ihr euch als selbst stark fühlet, da wird euch die Kraft Gottes nicht unter die Arme greifen und eure höchst mühsame Lebensvollendung euch selbst anheimstellen, und es wird sich dann bald zeigen, wieweit ihr mit eurer eigenen Kraft ausreichen werdet. Und darum sagte Ich euch denn auch, daß ihr ohne Mich nichts Verdienstliches und Endzweckliches tun könnt. (joh.18,05) Und so Ich euch nichts vorenthalte, was zur Gewinnung des wahren, freiesten und völlig selbständigen Lebens eurer Seele unerläßlich notwendig ist, warum ärgert euch dann solche Meine sorgliche und weise Mühe um euch?“

07] Sagte Andreas: ”Das ärgert uns wahrlich nicht; aber das ist uns eben nicht zu angenehm, wenn Du dann und wann gelegenheitlich mit irgend etwas Neuem zum Vorscheine kommst, das irgendeinem schon früher Gegebenen ganz entgegenzustehen scheint, und wenn Du uns dann keine weitere Erklärung darüber frei aus Dir Selbst gibst, sondern es zumeist darauf ankommen lässest, daß wir Dich darum angehen müssen. Das mußt Du mit Deiner wahren Allwissenheit ja doch wohl einsehen, was wir einsehen und begreifen können! Denn es ist eben nichts Angenehmes. Dich um eine nähere Erklärung zu bitten, weil man von Dir dann stets einen nicht sehr wohltuenden Verweis bekommt. Wenn Du uns in der Folge wieder etwas Neues lehren willst, so gib uns auch gleich das rechte Licht dazu, auf daß wir dann nicht nötig haben, Dich mit allerlei Fragen zu belästigen! Du bist sonst höchst gut - was wir alle nur zu klar einsehen -; aber im Lehren bist Du dann und wann ganz unverdaulich!

08] Ich und wir alle wissen und glauben, daß Du des lebendigen Gottes Sohn bist, und daß die Gottheit in aller Ihrer Fülle wie körperlich in Dir wohnt; aber das hindert mich gar nicht. Dir allzeit ganz offen zu sagen, wo es uns irgend drückt, wenn Du den Druck bei Dir Selbst oft nicht merken willst. Denn wir sind Menschen, solange wir leben, und fühlen allerlei Druck; und da daß der sichere Fall ist, so muß es uns denn auch freigestellt sein, uns auch Gott gegenüber äußern zu dürfen, wo es uns drückt und schmerzt. Will Gott uns helfen, so wird Er wohl daran tun, - und will Er das nicht, so muß Er sich's gefallen lassen, daß wir Ihm so lange vorjammern werden, solange Er uns in diesem Jammerleben lassen wird. - Das verstehen wir nun alle ganz gut und werden es auch getreu befolgen; aber für die Folge gib uns keine Lehre ohne Erklärung mehr!“

09] Sagte Ich: ”Brüder, was Ich tue, davon weiß Ich wohl den Grund, warum Ich dieses und jenes also tue; aber was ihr tut und redet, davon seht ihr den Grund noch gar lange nicht ein! Aber es wird auch einmal die Zeit kommen, in der auch ihr den Grund alles des von Mir Gelehrten und Getanen einsehen werdet.“

10] Doch nun gut von allem dem! Denn es kommt die Zeit, wo uns die zehn Neujünger verlassen werden, und es ist da notwendig, ihnen noch eine eigene Stärkung auf ihren Weg mitzugeben, auf daß sie tüchtig werden, für euch die Wege auch in einem andern Weltteile vorzubereiten; denn zu diesem guten Zwecke haben sie der Kenntnisse in Meiner neuen Lebenslehre zur Genüge.“

11] Hierauf sagte Ich zu den zehn: ”Auf daß ihr als Menschen heidnischer Abkunft den andern Heiden ein vollgültiges Zeugnis von Mir dahin ablegen könnt, daß Ich, der euch zu ihnen gesandt hat. Der bin, als den ihr Mich habt kennen lernen, so erteile Ich euch die Gabe, alle Kranken zu heilen, gleichwie Ich dem Arzte in Chotinodora und dem in Serrhe die gleiche Gabe erteilt habe.

12] legt den Kranken die Hände in Meinem Namen auf, und es wird mit ihnen sogleich besser werden, und sie werden euren Worten glauben! Und nun braucht ihr vorderhand nichts mehr; wenn Ich aber aufgefahren sein werde dahin, von wannen Ich gekommen bin, da wird der von Mir über euch ausgegossene Geist euch schon in alle weitere Wahrheit und Weisheit leiten. Es sei und es geschehe also!“

13] Dafür dankten Mir die zehn über alle Maßen, und der Hauptmann hatte darüber eine übergroße Freude und fragte Mich, wie lange Ich Mich noch an diesem Orte aufhalten werde.

14] Und Ich sagte: ”Das, Freund, hängt von den Umständen und von dem Willen Dessen ab, der Mich in diese Welt gesandt hat; denn auch Ich, als purer Mensch für Mich, muß Mich streng nach dem richten, was der Vater im Himmel Mir auferlegt! Es ist zwar alles auch Mein, was da ist des Vaters, und Ich und der Vater sind im Grunde des Grundes eins, - aber dennoch steht in Mir Selbst die Liebe höher als ihr Licht, die Weisheit. Darum kann auch Meine Weisheit Meiner Liebe keine Gesetze geben, sondern nur umgekehrt. Du wirst es aber schon noch erfahren, wie lange Ich noch hier verweilen werde.“

15] Hierauf dankte Mir der Hauptmann, erhob sich dann und ging mit den zehn nach Hause, allwo noch einige Geschäfte seiner harrten.

16] Diesen Nachmittag blieben sie bei ihm; am nächsten Morgen aber sandte er sie mit guten Führern und besonderen Empfehlungen nach Sidon an den Cyrenius ab, der sich bei ihrer Ankunft vor lauter Freude gar nicht zu helfen wußte, als er vernahm, daß sie bei Mir gewesen waren und Meine Lehre angenommen hatten. Er behielt sie über einen Monat lang bei sich und beförderte sie mit guter und sicherer Gelegenheit nach Rom, wo sie vom Kaiser abermals sehr gut aufgenommen und auch alsbald mit hohen militärischen Ämtern bekleidet wurden, und wo der Riese sogar in dem Palaste des Kaisers als dessen Leibwächter eine längere Zeit verblieb und viel Gutes stiftete, da der Kaiser sich oft und gern in geheimsten Dingen bei ihm Rat holte.



Home  |    Inhaltsverzeichnis Band 6  |   Werke Lorbers