Jakob Lorber: 'Das große Evangelium Johannes', Band 7
63. Kapitel: Das Volk und die Templer.
01] Auf diese Meine Anrede erhoben sich alle von den Tischen und folgten Mir ins Freie hinaus, und zwar auf die Stelle, auf der wir uns schon vor dem Morgenmahle befanden. Von da aus sah man gen Emmaus hin, einem Flecken in der Nähe von Jerusalem. Von Jerusalem führten mehrere Wege dahin, aber nur für Fußgänger. Eine Fahrstraße aber führte nicht hin, außer auf einem großen Umwege, so daß ein Mensch um vieles eher zu Fuße nach dem Flecken kommen konnte als ein Fuhrmann. Die Menschen zogen am heutigen Tage als an einem Donnerstag ordentlich in Massen hinaus nach diesem Flecken; denn es war in diesem Orte und an diesem Tage ein Brotmarkt, und die Menschen zogen darum hinaus, um sich dort gewöhnlich für eine Woche mit Brot zu versehen. Es war nun in diesem Flecken wegen der in der vergangenen Nacht stattgehabten Erscheinungen beinahe gar kein Brot gebacken worden, die vielen Menschen waren aber eben des Brotes wegen da hinausgezogen.
02] Als unser Nikodemus das von Mir in Erfahrung gebracht hatte, da sagte er: »O Herr und Meister, da wird es übel aussehen; denn in diesem Orte befinden sich ja eben des Tempels Bäckereien und tragen ihm wöchentlich gut tausend Silbergroschen römischen Geldes ein. Und heute kein Brot, und das Volk wird mit Ungestüm das Brot verlangen! Oh, da wird es zu Meutereien kommen, die nun kaum zu verhüten sein werden! Was wird da zu machen sein? Es ist nur der einzige böse Umstand dabei, daß über diese Tempelbäckereien zu Emmaus gerade ich die Oberaufsicht zu führen habe und dem Tempel für die richtige und rechtzeitige Bereithaltung einer hinlänglichen Menge Brotes verantwortlich bin. O weh, o weh, diese Geschichte sieht wahrlich gar nicht gut aus! O Herr und Meister! Was wird nun da zu machen sein? Woher nun das Brot schaffen für so viele Menschen? Du, o Herr, könntest mir da wohl helfen, wenn es Dein heiliger Wille wäre!«
03] Sagte Ich: »Dir soll auch geholfen werden; doch sage Ich dir und euch allen: So ihr nicht in einem fort Zeichen und Wunder seht, so glaubt ihr nicht, und wenn die euch vorgesagte Wahrheit auch als solche schon ordentlich mit den Händen zu greifen ist! Es wird aber das Volk wegen des Brotmangels keine zu großen Geschichten machen, da es in der Nacht auch die Erscheinungen gesehen hat. Es gibt beinahe niemanden in der Stadt, noch in ihrer weiteren Umgebung, den die gesehenen Erscheinungen nicht heute und noch mehrere Tage lang ängstigen werden, und so wird auch deine gefürchtete Meuterei in Emmaus sicher nicht stattfinden, wenn das Volk auch gar kein Brot bekäme. Es wird aber schon des Brotes einen rechten Vorrat finden.
04] Aber Ich werde euch nun auf etwas anderes aufmerksam machen, aus dem heute und auch morgen für den Tempel eine größere Verlegenheit erwachsen wird als aus dem etwaigen Brotmangel in Emmaus. Seht, wie auf allen Straßen, die nach Jerusalem führen, eine Menge Volk herbeiströmt! Das Volk kommt vom Lande und will sich im Tempel Rates erholen und aus dem Munde der Priester erfahren, was es mit den Erscheinungen für eine Bewandtnis habe. Und da wird es den Templern schlecht ergehen! Diese werden dem Volke wohl Bußpredigten über Bußpredigten halten und werden reden vom Zorne Gottes, und wie Gott nunmehr nur durch starke Bußübungen und große Opfer wieder versöhnt werden könne.
05] Aber das Volk wird sagen: "Warum sagt ihr uns das erst jetzt, da ihr es von Gott doch schon lange hättet erfahren können und sollen, wie es mit uns vor Seinem Angesichte steht? Denn wir wissen es von alter Zeit her, daß Gott Sein Volk, wenn es irgend leichtsinnig Seiner vergaß, stets durch Propheten und Seher jahrelang vorher erinnern ließ, was über dasselbe kommen werde, so es sich nicht zu Gott wieder zurückwende. Aber diesmal kamen keine Propheten, die uns zuvor verkündigt hätten, wie wir etwa vor Gott stehen! Und so nun auch schon in der jüngsten Zeit irgend Propheten aufgestanden sind, die uns zur Buße und wahren Besserung ermahnten, so erklärtet ihr sie für falsch und verfolgtet sie und auch die, welche sie anhörten und sich danach kehren wollten. Und da ihr nun mit uns die schrecklichen Zeichen gesehen habt, aus denen es sich mit Händen greifen läßt, daß Gottes Zorn im höchsten Maße über uns gekommen ist, so wollt ihr die Schuld nun ganz auf uns legen; wir aber werden das nicht annehmen und uns ohne euer Gebet selbst an Gott wenden und Ihn bitten, daß Er uns vergebe unsere Sünden, - und das werden wir darum tun, weil ihr uns nicht schon lange vorher gesagt habt, wie wir vor dem Angesichte Jehovas stehen."
06] Solche Rede des Volkes wird die Priester in eine große Verlegenheit setzen, und es werden etliche zum Volke sagen: "Gott ist aber sicher wohl nur darum also über euch erzürnt, weil ihr uns nicht hören und glauben wollt, sondern euch zu den gewissen falschen Propheten wendet, die wider uns sind und sich alle Mühe geben, euch von uns abwendig zu machen."
07] Da wird das Volk aber sagen: "Ihr irret euch da; denn wir haben noch keines falschen Propheten Stimme und Wahrsagers Wort vernommen. Die wir aber hörten, die waren keine falschen Propheten; denn sie lehrten offen und erklärten laut vor aller Welt, daß das Reich Gottes nahe herbeigekommen ist. Ihr aber verfolgtet sie, wie ihr es mit solchen Menschen zu allen Zeiten getan habt, und das wird auch wohl der Grund sein, warum Gott uns Seinen großen Zorn angezeigt hat, und wie Er uns zur harten Zucht in die Hände unserer Feinde geben wird. Daß ihr Priester aber keine Propheten seid, sehen wir klar daraus, daß ihr nicht wußtet bis zur Stunde, wie wir vor dem Angesichte Gottes stehen."
08] Da wird abermals ein Priester sagen: "So ihr uns aber dafür haltet, daß wir nichts wüßten und fürs Volk gar nichts mehr wären, - warum kamet ihr denn hierher in den Tempel? Da hättet ihr ja sonach daheim bleiben können!"
09] Da wird das Volk sagen: "Euretwegen sind wir auch wahrlich nicht gekommen, sondern des Tempels und Gottes wegen, den wir allerinbrünstigst bitten wollen, daß Er uns vergebe unsere Sünden. Ihr aber könnt mit uns beten, so ihr wollt; aber wir werden euch darum kein Opfer darreichen, sondern was wir opfern werden, das werden wir opfern den Armen und Bedrängten."
10] Darauf werden sich die Priester zurückziehen, und das Volk wird im Tempel und in seinen Vorhallen einen großen Lärm machen. Du, Freund Nikodemus, aber kannst nun, so du es willst, hinabgehen in den Tempel und dich von allem dem, was Ich nun zu dir und zu allen geredet habe, selbst überzeugen und kannst bei dieser Gelegenheit dem Volke auch einige wahre Trostworte sagen; doch von Meinem hiesigen Aufenthalt sage dem Volke ja nichts!«
11] Als Ich solches zu Nikodemus gesagt hatte, da dankte er Mir dafür und sagte auch noch hinzu: »Das werde ich alles genauest befolgen und auch suchen, nach Möglichkeit das Volk zur Ruhe zu bringen. Aber was werde ich dem Hohenpriester, den Pharisäern und den Ältesten für eine Antwort geben, so sie mich fragen werden, wo ich diese Schreckensnacht zugebracht habe, da ich - was sie alle nun schon gar sicher wissen werden - weder im Tempel noch daheim in meinem Hause zu erfragen war? Wenn ich da die Wahrheit reden muß, so verrate ich mich und Dich!«
12] Sagte Ich: »Gehe du nur ganz ruhig hinab und habe keine Furcht, es wird dich kein Mensch darum fragen, und was du zu reden haben wirst, das wird dir in den Mund gelegt werden! Am Abend aber kannst du, so du willst, schon wieder heraufkommen; denn heute werde Ich noch ganz hier verbleiben.«
13] Hierauf ging Nikodemus hinab, sah sich aber während des Gehens öfter um, ob ihn nicht etwa ein echter Jude erschaue. Aber Ich sandte ihm Raphael nach und ließ ihn bis zum Stadttore geleiten, so daß niemand Nikodemus zu ersehen vermochte. Am Tore aber verschwand der Engel plötzlich und befand sich im selben Moment wieder in unserer Mitte.
14] Darauf sagte Ich zu ein paar Jüngern, daß auch sie, so sie wollten, sich bis zum Mittage hin in den Tempel verfügen könnten, um Zeugen von dem zu sein, was sich im Tempel zutragen werde. Da gingen auch die Jünger hinab und blieben im Tempel bis über den Mittag, worauf sie wieder zu uns kamen und erzählten, was sie erlebt hatten.