Jakob Lorber: 'Das große Evangelium Johannes', Band 7


2. Kapitel: Die heranziehenden Handelsleute

01] Darauf begaben wir uns auf die Stelle hin, von der man gar gut die Gegend von Bethania sehen konnte, aber auch eine Menge Wege und Straßen, die nach Jerusalem führten. An den Wegen und Straßen waren die Maut- und Zollhäuser erbaut, bei denen die Fremden den verlangten Zoll zu entrichten hatten. Die meisten Zöllner von dieser Seite mit mehreren ihrer Diener und Knechte waren seit gestern bei uns.

02] Es fragte sie aber der Schriftgelehrte, ob sie nun nicht lieber da unten wären und viel Geldes einnähmen.

03] Sagte ein Zöllner: »Mein Freund, diese Frage hättest du dir füglich ersparen können! Denn wäre uns an dieser höchst materiellen Gewinneinnahme mehr gelegen als an der höchst geistigen, so wäre sicher schon ein jeder von uns auf seinem Platze; denn wie wir gekommen sind, so hätten wir auch schon lange wieder gehen können, und niemand hätte uns etwas in den Weg legen können. Aber da uns dieser große Lebensgewinn hier lieber ist als der materielle bei unseren Zollhäusern da unten, so bleiben wir hier und kümmern uns um die vorüberziehenden Handelskarawanen gar nicht. Was aber die kleine Wegmaut anbelangt, nun, so haben wir daheim schon noch Leute, die das besorgen werden.

04] Es wird aber ja nun in eurem Tempel die Krämerei auch bald angehen. Würde es dir gefallen, so ich zu dir sagete: "Freund, sieh da hinab; es wird schon sehr lebendig vor des Tempels Hallen! Kümmern dich die dort zu erwartenden großen Gewinne nicht? Es wird da des blanksten Goldes und Silbers und der Edelsteine und Perlen in großer Menge geben, und euch muß von allem der Zehent gegeben werden. Wird man euch davon etwas geben, so ihr nicht gegenwärtig seid?"

05] Wir Zöllner und Sünder vor euch aber wissen nun von euch, daß ihr eurem Tempel für immer den Rücken zugewendet habt, und so wäre solch eine Frage, von uns an euch gestellt, nun sicher so unklug wie möglich. Wir aberhaben nun ohnehin den vollwahren Entschluß gefaßt, daß wir aus Liebe zum Herrn jedermann das Zehnfache zurückvergüten werden, so wir mit unserem Wissen ihn je irgendwann übervorteilt haben, und so mögen darum heute alle die vielen Handelsleute wenigstens an unseren Zoll- und Mauthäusern ganz frei vorüberziehen, und wir alle werden darum noch lange nicht verhungern. Darum lassen wir sie nun nur ganz ruhig vorüberziehen!«

06] Auf diese ganz energische Antwort des Zöllners sagte der Schriftgelehrte gar nichts mehr und bewunderte im stillen die Großmut des Zöllners und seiner Geführten.

07] Lazarus aber sagte: »Alle diese Fremden werden gegen Abend ganz sicher da herauf kommen, und ich werde noch Sorge treffen müssen, daß erstens der Keller noch besser bestellt wird und ebenso auch die Küche und die Speisekammer. Dazu werde ich auch noch mehr Tische und Bänke im Freien herrichten lassen müssen, - sonst wird es mir knapp gehen!«

08] Sagte Ich zu Lazarus: »Laß das alles; denn solange Ich hier bin, da bist du schon mit allem am besten und reichlichsten versorgt! Und kämen ihrer noch so viele, so sollen sie dennoch alle bestens versorgt werden. - Sehen wir nun nur ganz ruhig dem tollen Welttreiben da unten zu! Wie viele stark beladene Kamele, Pferde, Esel und Ochsen traben auf den Wegen und Straßen einher und tragen große Schätze und Güter ihrer Herren, und sie werden alles verkaufen!

09] Aber dort auf der breiten Straße, die aus Galiläa nach Jerusalem führt, sehen wir mit Ochsen bespannte Wagen und Karren; die führen Sklaven aus den Gegenden am Pontus hierher zum Verkaufe. Es sind Jünglinge und Mädchen im Alter von 4- 18 Jahren von schönstem körperlichen Wuchs. Ihre Zahl beträgt hundertzwanzig männliche und hundertsiebzig weibliche Personen. Nun, diesen Verkauf wollen wir verhindern und dann für dieser Armen Bildung und Freiheit sorgen! Derlei Menschenmärkte dürfen innerhalb der Stadtmauer nicht statthaben; dieser Berg aber befindet sich schon außerhalb der Stadtmauer und ist dennoch sehr nahe bei der Stadt, und so werdet ihr bald sehen, wie diese Wagen- und Karrenbesitzer gerade am Fuße dieses Berges ihre Verkaufshütten aufrichten werden und darauf bald ihre Anbieter und Ausrufer allenthalben überallhin auszusenden suchen werden! Allein da werden wir ihnen zuvorkommen und ihnen solche ihre Ware ganz abnehmen und dann aber auch den schnöden Verkäufern ein Wörtlein sagen, das ihnen solch einen Handel auf lange hin verleiden soll!«

10] Sagte hier Agrikola: »Herr, wie wäre es denn, so ich diesen Menschenverkäufern alle die männlichen und weiblichen Sklaven abkaufte, und das um den verlangten Betrag, sie dann mitnähme nach Rom, sie dort ordentlich erziehen ließe und ihnen dann die volle Freiheit und das Bürgerrecht Roms schenkte?«

11] Sagte Ich: »Deine Idee und dein Wille sind gut; aber Meine Idee und Mein Wille werden da noch besser sein! Wozu da Geld hingeben für etwas, das man ganz Rechtens auch ohne Geld haben und in Besitznehmen kann?! Bist du damit nicht einverstanden? Solchen Menschen noch einen Gewinn geben, hieße sie in ihrem Bösen noch bestärken; wenn sie aber mehrere solche Erfahrungen machen werden, so werden sie sich dann schon hüten, zu solch unmenschlichen Erwerbsarten ihre fernere Zuflucht zu nehmen.«

12] Sagte hier Agrikola: »Herr, es ist hierbei nur noch auf eins zu sehen! Mir kommt es vor, daß da in dieser Beziehung von Rom aus für alle Länder ein eigenes Gesetz in bezug auf den Menschenhandel besteht, laut dessen ohne Bewilligung eines römischen Oberstatthalters kein Sklave aus irgendeinem fremden, nicht römischen Reiche in Roms Länder eingeführt werden darf; die Bewilligung kostet aber ganz entsetzlich viel. Nun, da geschieht es aber sehr häufig, daß derlei Sklavenhändler ihre Sklaven auf geheimen Wegen und oft auch mit falschen Bewilligungsdokumenten in ihren Händen in unsere Länder hereinschmuggeln. Wenn das bei diesen nun ankommenden Sklavenhändlern der Fall sein dürfte, dann wäre es ein leichtes, ihnen ihre Ware abzunehmen; doch im Falle, daß sie im Besitze einer oberwähnten teuren Befugnis wären, da wäre auf dem natürlichen Wege nicht viel anderes zu machen, als den Händlern ihr verlangtes Geld zu geben und sie dann ungehindert weiterziehen zu lassen, weil sie in diesem Falle unter dem Schutze des Gesetzes stehen.«

13] Sagte Ich: »Da hast du ganz richtig geurteilt; aber weißt du, Ich bin Der, der der Ewigkeit und der Unendlichkeit Gesetze vorschreibt, und so wirst du daraus schon begreifen, daß Ich Mich nun da, wo das Gegenteil not tut, nicht an die Gesetze Roms binden werde, obwohl Ich ihnen sonst als Mensch völlig untertan bin.

14] Diese Menschen, die nun die bezeichneten Sklaven hierher auf den Markt bringen, sind zwar sehr gewinnsüchtig, aber dabei im höchsten Grade abergläubisch. Dieser ihr stockblinder Aberglaube ist ihr größter Feind; und da weiß Ich schon zum voraus, was da zu geschehen hat, um diese Menschen derart zu strafen, daß sie nicht nur ihre Ware, sondern noch mehreres allerwilligst hinzu hergeben werden, um nur mit heiler Haut davonzukommen. Wenn sie bald dasein werden, so werdet ihr alle dann schon sehen und wohl erfahren, was Gottes Weisheit und Macht alles zu bewirken gar wohl imstande ist.

15] Jetzt aber gehen wir wieder ins Haus und stärken unsere Glieder mit einem guten Morgenmahle; denn die Tische sind bereits alle wohl bestellt. Währenddessen werden unsere Sklavenhändler auch vollends an Ort und Stelle sein, und wir wollen ihnen dann einen Besuch abstatten!«

16] Sagte zu Mir der Schriftgelehrte: »Herr, den Tempel wirst Du heute etwa doch nicht besuchen? Denn heute geht es wahrlich zu arg darin zu!«

17] Sagte Ich: »Was kümmert Mich nun diese Mördergrube da unten in der Hölle! Dort und da ist der rechte Tempel Jehovas, wo im Menschen ein Herz ist, das Gott über alles und seinen Nächsten wie sich selbst liebt! - Gehen wir nun zumMorgenmahle!«

18] Darauf begaben wir uns alle ins Haus, setzten uns an die Tische, auf denen schon alles in der vollen Bereitschaft war, was jedem nach seiner Art am besten mundete, und am besten Weine hatte es auch keinen Mangel. Die Römer bewunderten nun erst am vollen Tage die herrlichen Trinkgefäße aus dem reinsten Golde, wie auch ihre silbernen Speiseschüsseln. Auch die sieben Pharisäer gingen nun näher hin und konnten sich nicht genug verwundern über die Reinheit und vollste Güte der Trinkgefäße und Eßgeschirre. Lazarus aber ermahnte sie zum Essen, weil sonst die Fische kalt würden, und so griffen denn die sieben auch sogleich zu und aßen und tranken mit vielem Rühmen über die Güte der Speisen und des Weines. Auch die etlichen siebzig Armen mit dem Weibe in ihrer Mitte erschöpften sich im Lobe über die Speisen und über den Wein, und ebenso auch die Zöllner und ihre Gefährten.

19] Ein Römer sagte: »Nun bin ich volle sechzig Jahre alt, und noch nie sind so gute Speisen und ein solch wahrer Götterwein in meinen Mund gekommen!«

20] Und so gab es hier des Lobens und Dankens nahezu kein Ende.


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