Jakob Lorber: 'Das große Evangelium Johannes', Band 7


8. Kapitel: Die verbrecherischen jüdischen Tempelsatzungen

01] Als alle solche Sentenz vernommen hatten, blieben sie stehen, und Agrikola fragte zuerst den Obersten, sagend: »Was hat dieser Mensch denn verbrochen, darum er vor euch den Tod verdient hätte?«

02] Sagte der Oberste sehr verlegen: »Er hat gestern nachmittag mit frecher Hand gewagt, die höchst geheiligten Schaubrote anzugreifen und sogar davon zu essen, was allein nur der Hohepriester ungestraft tun kann, unter Gebet und Absingung der Psalmen. Man ergriff ihn bei der frechen Tat und verurteilte ihn nach dem Gesetz zum verdienten Tode, und da bedarf es keines weiteren Verhörs, weil da schon die Tat ohnehin der größte Beweis für die Schuld des Verbrechers ist.«

03] Sagte Agrikola: »So, - das ist eine gar löbliche Gerichtsbarkeit! Muß denn nicht laut unseren Gesetzen bei jedem Verbrecher vor allem darauf gesehen werden, inwieweit bei einem oder dem andern Verbrechen ein Verbrecher zurechnungsfähig ist?! Wenn ein blöder Mensch ein noch so großes Verbrechen begeht, das bei einem mehr intelligenten Menschen nach den Gesetzen offenbar den Tod nach sich ziehen würde, so ist der offenbar Blöde in Gewahrsam zu nehmen, damit er der menschlichen Gesellschaft fürderhin nicht so leicht gefährlich werde, und ist, wenn er sich gebessert hat, entweder freizulassen oder im nicht völligen Besserungsfalle als Galeerensklave zu verwenden, damit er da seine Sünden abbüße und dabei den Menschen doch noch etwas nütze.

04] Ferner ist bei einem Verbrecher ja auch darauf zu sehen, durch welche Umstände gedrungen ein Mensch oft bei den Haaren zu einem Verbrechen hingezogen wurde, welche Umstände dann das Verbrechen auch gar sehr mildern können. Denn es ist gewiß ein großer Unterschied, ob jemand vom Dache fällt und dadurch einen zufällig darunter weilenden Menschen tötet, oder ob jemand vorsätzlich einen Menschen tötet. Und zwischen diesen beiden Extremen gibt es noch eine Menge Nebenumstände, die ein jeder gerechte Richter wohl zu beherzigen hat, weil sie auf ein und dasselbe Verbrechen entweder mildernd oder erschwerend einwirken können.

05] Wenn zum Beispiel jemand als Kläger zu euch käme und sagte: "Durch diesen Menschen ist mein Bruder getötet worden!", und wenn ihr dann, ohne den verklagten Menschen weiter zu prüfen, ihn sogleich zum Tode verurteilt, welch elende Richter wärt ihr da! Ist denn in unserem Gesetz nicht ausdrücklich jedem Richter strengstens geboten, sich vor allem über das Cur, quomodo, quando et quibus auxiliis (Warum, wie, wann und unter welchen Umständen?) genauest zu erkundigen und dann erst zu urteilen?! Habt ihr das bei diesem Verbrecher getan?«

06] Sagte der Oberste: »Wir aber haben im Tempel kein römisches, sondern allein nur das Mosaische Gesetz, und das lautet ganz anders!«

07] Sagte Agrikola: »So? Wenn euer Moses solche richterlichen Gesetze gab, wie ihr sie in eurem Tempel beobachtet, dann müßte euer Moses der dümmste und grausamste Gesetzgeber gewesen sein, gegen den wir Römer reine Götter wären! Doch ich kenne die sanften Gesetze Mosis nur zu gut, und wir haben unsere Staatsgesetze zumeist nach ihm geformt, und ihr Templer seid vor Gott und vor allen Menschen die strafwürdigsten Lügner, so ihr mir ins Gesicht behaupten wollt, daß eure allerdümmsten, tyrannisch grausamsten Tempelsatzungen von Moses aufgestellt sind! Das sind eure Satzungen, die ihr eigenmächtig und gottvergessen ganz sinn- und gewissenlos zusammengeschrieben habt, und ihr quält nun das arme Volk nach solchen euren scheußlichen Gesetzen ganz nach eurer Willkür! könnt ihr so etwas als ein von einem höchst weisen Gotte geheiligtes Gesetz anerkennen?«

08] Sagte der Oberste: »Habe ich doch die Satzungen des Tempels nicht gemacht! Sie sind einmal da, und wir haben uns an sie zu halten, ob sie nun von Moses oder von jemand anders herrühren!«

09] Sagte Agrikola: »Ganz gut, wir Römer werden solch einem Unfuge schon zu steuern wissen! Aber nun heißt es: Audiatur et altera pars!« (Man höre auch den anderen Teil!)

10] Hierauf wandte er sich mit einer freundlicheren Miene an den Verbrecher: »Gib du mir nun ganz der Wahrheit gemäß an, wie es mit deinem Verbrechen steht! Leugne nichts, sondern bekenne alles; denn ich kann dich retten, aber auch töten, so dein Verbrechen irgendwie den Tod verdient hat!«



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