Jakob Lorber: 'Das große Evangelium Johannes', Band 8
201. Kapitel: Krankenheilungen des Obersten der Essäer, Roklus.
01] Als der Oberste solches von Mir vernommen hatte, da dankte er Mir aus vollem Herzen; denn es war ihm dadurch wie ein schwerer Stein von seiner Brust abgenommen worden. Wir erreichten während dieser gar gewichtigen Unterredung denn auch unsere Herberge, in der schon ein reichliches und wohlbereitetes Morgenmahl unser harrte. Wir setzten uns denn sogleich an den großen für uns gedeckten und mit Speisen und Getränken wohlbesetzten Tisch. Ich dankte und segnete die Speise und den Wein, und wir nahmen dann das Morgenmahl mit Maß und Ziel fröhlichen Mutes zu uns, worüber der Wirt und sein Weib, das das Mahl für uns bereitet hatte, eine große Freude hatten.
02] Auch die etlichen Ersten Essäer mit dem Obersten an der Spitze saßen an unserem Tische und aßen und tranken mit vieler Lust und Freude, so daß das etlichen Fremden, die, an anderen Tischen sitzend, auch ein Morgenbrot zu sich nahmen, derart auffiel, daß sie unter sich sagten (die Fremden): »Das muß ja gar etwas Besonderes sein, daß diese sonst immer so tiefernst aussehenden obersten Heilande nun gar so heiter sind, wie sie nie von jemandem gesehen worden sind!«
03] Es hatte aber solche Rede der Oberste wohl vernommen und sagte zu den Fremden: »Hört, die ihr nun solche Betrachtungen über uns macht! Es ist genug, so die sterblichen Menschen, den Tod vor sich sehend, mit traurigen und ernsten Gesichtern auf der Erde umherwandeln und dadurch an den Tag legen, daß sie Freunde des Lebens und nicht des Todes sind. So aber ein sterblicher Mensch, das auch wir waren, vom Tode zum Leben durchgedrungen ist und angezogen hat das Kleid der vollen Unsterblichkeit, dann kann er, als schon in den Himmeln Gottes seiend, auch wohl schon auf dieser Erde voll Lust und Heiterkeit sein, was ihr nun freilich noch nicht einsehen und begreifen werdet. Aber es kann schon auch für euch die Zeit kommen, in der auch ihr das einsehen und begreifen werdet!«
04] Darauf sagten die Fremden nichts mehr, und wir aßen und tranken fort.
05] Als wir aber mit dem Mahle zu Ende kamen, da kam der junge Araber aus Ägypten, der von Mir am Abend geheilt worden war, mit noch einigen, die da lahm und sehr verkrüppelt waren, trat zu Mir hin und bat Mich, daß Ich auch sie heilen möchte; denn sie seien auch aus seiner Gegend und seien sich und den Nebenmenschen zur Last, was sie am meisten schmerze, weil sie in solch ihrem elenden Zustande niemandem etwas Gutes erweisen könnten und sich gleichfort von den Mitleidigen müßten bedienen und erhalten lassen.
06] Sagte Ich zu dem Araber: »Ich habe es dir zwar gesagt, daß du und auch diejenigen, die gestern mit dir waren, zu den Fremden nicht davon reden sollt, was Ich an dir getan habe; nun hast du im allgemeinen das wohl beachtet und hast es aus Barmherzigkeit nur diesen etlichen Leidenden mitgeteilt, wo und wie dir selbst geholfen worden ist, brachtest sie nun her und batest selbst für sie, was deinem Herzen vor Mir ein gutes Zeugnis gibt, und so soll deine rechte Bitte bei Mir auch nicht unerhört bleiben! Denn die rechte, reine und uneigennützige Liebe und Erbarmung eines Menschen für seine leidenden Brüder wird auch bei Mir allzeit Liebe, Erbarmung und Erhörung finden; denn es steht geschrieben: 'Das Gebet eines guten, reinen, gläubigen und frommen Herzens erhört Gott zu jeder Zeit.'
07] Aber auf daß ihr in der Folge, so ihr das glauben werdet, was euch die Essäer lehren werden, auch bei ihnen eben die Hilfe finden mögt, so habe Ich auch ihnen die Macht und Kraft erteilt, die Übel also in Meinem Namen heilen zu können, wie Ich dich gestern abend geheilt habe, und es soll nun der Oberste den Lahmen und Krüppeln die Hände auflegen, und es soll ihnen geholfen sein!«
08] Als der Oberste das von Mir vernahm, da bat er Mich, daß diesmal doch Ich Selbst den Elenden helfen möchte; denn er fühle sich zu solch einem Werke noch viel zu unwürdig und in seinem Gemüte auch noch zu ohnmächtig.
09] Sagte Ich: »Tue du nur, wie Ich es gesagt habe! Denn ein rechter Jünger muß ja stets vor dem Meister ein Werk beginnen, auf daß der Meister, so dem Jünger etwas mißlänge, ihn auf das Mangelhafte und auf den Grund des Mißlingens aufmerksam machen kann. Denn kein Jünger ist so vollkommen wie sein Meister; so er aber durch seinen Fleiß und Eifer wird wie sein Meister sein, dann wird ihm auch, so wie dem Meister, nichts mehr mißlingen. Und so tue du nun nur das, was Ich gesagt habe, und es wird dann schon alles recht und vollends gut werden!«
10] Darauf erst faßte sich der Oberste und sagte: »O Herr und Meister, so geschehe nun und allzeit allein nur Dein Wille!« Nach diesen Worten erhob er sich, trat mit großer Rührung unter die Elenden hin und sagte: »Im Namen Dessen, der allein allmächtig, überheilig und endlos gut, liebevoll und barmherzig ist, lege ich euch diese meine schwachen Hände auf, und es wolle euch dadurch der große Herr und Meister helfen!«
11] Als der Oberste unter diesem Spruche, den hernach auch alle Meine Jünger bei Heilungen der Kranken gebrauchten, den Elenden die Hände auflegte, da ward ein jeder denn auch im Augenblick also geheilt, als hätte ihm nie etwas gefehlt.
12] Nur einer, der durch einen Fall beide Hände bis zu den Ellbogen verloren hatte, und der zwar, als auch an den Füßen gelähmt, geheilt wurde, bekam seine Arme nicht und sagte zu dem Obersten: »Da du mich durch den Willen jenes allein allmächtigen Herrn schon von allen meinen anderen Übeln befreit hast, so glaube ich denn auch ungezweifelt, daß du mir auch meine verlorenen Hände wieder schaffen könntest!«
13] Sagte der Oberste etwas verlegen: »Ja, du mein Freund, das wird wohl der Herr und Meister Selbst vermögen, da Seine Macht Welten aus nichts ins Dasein rufen kann, - ich aber bin nur ein schwacher Jünger und vermag das nicht; denn es ist ein großer Unterschied zwischen Heilen und Erschaffen.
14] Wenn eine Pflanze im Garten verwelkt und krank dasteht, so kann man sie mit Wasser begießen, und sie wird wieder frisch und gesund werden; und das heißt man heilen. So aber im Garten auch nicht ein Pflänzchen steht, da nützt das Begießen des pflanzenleeren Bodens nichts; denn wir Menschen vermögen auch mit dem besten Willen und mit dem stärksten Glauben auch nicht ein kleinstes Moospflänzchen ins Dasein zu setzen. Das kann allein nur Gottes allmächtiger Wille!
15] Und so wirst du, Freund, denn nun auch klar einsehen, daß ich als ein Mensch dir wohl durch die Gnade des Herrn und Meisters die daseienden, wenn auch noch so lahmen Glieder heilen konnte, - aber deine gänzlich verlorenen Arme kann ich dir nicht neu wieder erschaffen!«
16] Das sah der Armlose wohl ein, sagte aber doch zum Obersten: »So nur aber jener große Herr und Meister schon so viel Macht erteilt hat, solche Krüppel, wie wir zuvor waren, durch dein Wort und durch die Auflegung deiner Hände wunderbar plötzlich zu heilen, was denn doch auch einem völligen Neuerschaffen gleichkommt, so wäre es aber sicher doch auch möglich, mir die verlorenen Hände wiederzugeben, was dir und jenem Meister nicht minder möglich sein dürfte als die urplötzliche Heilung unserer lahmen und gänzlich verkrüppelten Glieder, Sinne und der kranken Eingeweide! Denn siehe, ich fühle meine beiden verlorenen Hände noch gleichfort also, als hätte ich sie noch, und dann und wann fühle ich sogar noch wie einen brennenden Schmerz eben in den beiden verlorenen Händen, und ich meine da, daß meine Seele darum die Hände nicht verloren hat, wenn sie auch mein Leib verloren hat.
17] Ferner bin ich der Meinung, daß auch einem Menschen ein verlorenes Fleischglied eben also von der Macht eines wahren und allmächtigen Gottes wiedergegeben werden könnte wie dem Elefanten seine abgeworfenen Zähne, dem Hirsch seine Geweihe, dem Krebse seine Scheren und selbst uns Menschen die abgeschorenen Haare und die abgeschnittenen Nägel. Es käme dabei ja nur auf den Willen Gottes und auf den rechten Glauben eines wahren Gottesjüngers und auf den des Leidenden an!«
18] Auf diese sehr bedeutungsvollen Worte des Händelosen, der ein ausgewanderter Jude war, wußte der Oberste nicht, was er im Augenblick tun solle. Solle er dem Händelosen wohl noch einmal die Hände festestgläubig auflegen, oder solle er sich vorher mit Mir darüber besprechen, ob und wie möglich dem Verlangen des Händelosen gewillfahrt werden könnte? Er zog das zweite vor und kam in dieser Angelegenheit zu Mir.
19] Ich aber sagte zu ihm: »Siehe, wie gut es war, daß du vor Mir ein erstes Werk vollführtest und dabei auf einen kleinen Mangel im Glauben und Vertrauen an die Liebe, Weisheit und Kraft Gottes gestoßen bist! Hättest du ungezweifelt auch die Ergänzung der verlorenen Hände des ägyptischen Juden in deinen Glauben gezogen, so hätte er seine Hände schon; aber du hast dich davor entsetzt und hieltest die Sache für unmöglich, und so gewann der Mensch denn auch seine verlorenen Hände nicht. Nun aber gehe hin und glaube fest, daß bei Mir alle Dinge möglich sind; lege ihm noch einmal deine Hände auf, und er wird auch seine Hände wieder neu erhalten!«
20] Auf diese Meine Worte ging der Oberste, namens Roklus, denn auch voll des festesten Glaubens abermals zum Händelosen hin und sagte: »Da du selbst glaubst und als ein Jude die Allmacht des allein wahren Gottes kennst, so geschehe dir im Namen jenes großen Herrn und Meisters, in dem die Fülle des Geistes Gottes wohnt körperhaft, nach deinem Wunsche und Glauben!«
21] Als der Oberste solches über den Händelosen ausgesprochen hatte, da bekam dieser auch alsobald seine verlorenen Hände wieder.
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