Jakob Lorber: 'Das große Evangelium Johannes', Band 8


Kapitelinhalt 031. Kapitel: Römer Agrippa erzählt sein Erlebnis mit einem besessenen Illyrier.

01] Sagte hierauf Agrippa: »Herr und Meister, weil Du in dieser Nacht mit dem Lichtgeben schon einmal so freigebig bist, so möchte ich von Dir bei dieser Gelegenheit über eine sonderbare Lebenserscheinung unter den Menschen eine rechte Aufhellung haben!

02] Siehe, ich bin gleich dem Freunde Agrikola ein um recht vieles wissender und auch in manchen seltenen Dingen wohlerfahrener Mensch und kann darum auch über so manches reden, was gerade nicht jedem Menschen möglich wäre. Ich kam vor mehreren Jahren in hohen Amtsgeschäften nach Illyrien in Europa. Dieses Illyrien ist ein sehr gebirgiges und zum großen Teil auch ein ödes und hartes Land, und seine Bewohner sind darum auch wenig gebildet und haben mit dem von ihnen bewohnten Lande viele Ähnlichkeit. Sie sind hart, im Geiste wenig fruchtbar, aber dafür in allerlei Sagen und besonders in allerlei Aberglauben stark und wie ihr Land an allerlei Unkraut sehr fruchtbar.

03] Nun, in einem Flecken, wo wir Römer schon seit langer Zeit eine feste Burg haben, fand ich eine Gruppe Menschen, worunter sich auch ein paar Priester befanden. Diese hatten mit einem Menschen von etwa dreißig Jahren Alter zu tun, von dem sie mir angaben, daß er schon jahrelang von einem Kakodämon (bösen Geist) besessen sei und sie nun Versuche machten, ihn von diesem zu befreien. Der Mensch sei der Sohn einer in diesem Orte angesehenen Familie, und es leide das ganze Haus, ja zuzeiten sogar der ganze Ort von diesem Menschen eine rechte Höllenqual, und doch könne der Mensch nichts dafür, da er selbst dabei der am meisten Geplagte sei.

04] Ich hielt das anfangs für eine Narrheit dieser Menschen und daneben aber auch für einen feinen Kniff der Priester, die sich irgendein dazu präpariertes Menschenindividuum ausgesucht hätten, um durch dessen vielleicht nur eingelernte Raserei das wundersüchtige Volk sich anheischiger und an sie gläubiger zu machen. Aber als ich mich bald darauf mit allen meinen Sinnen überzeugte, daß des Menschen Raserei durchaus keine natürliche sein konnte, weil seine Kraftäußerungen sich zu einer solchen Höhe steigerten, gegen die die sogenannten Herkulischen Arbeiten purste Kinderspielereien wären, so fing ich selbst an, das Vorhandensein eines Kakodämons in dem Menschen aus völliger Überzeugung zu glauben.

05] Die zwei Priester, die sich bei dem unglücklichen Menschen nach vorausgegangenen Symptomen wohl recht gut auskannten, sagten zu den andern, lauter starken Männern: "Die Zeit des Tobens und Rasens wird bald erscheinen; darum bindet und knebelt ihn nun sogleich mit den stärksten Stricken und Ketten!" Denn nur dann werde den Menschen der Kakodämon verlassen, so er dessen etwa geweihte Stricke und Ketten nicht zu zerreißen imstande sein werde.

06] Darauf wurde der Mensch mit Stricken und Ketten derart zusammengeknebelt, daß nach einer solchen Knebelung hundert Herkulesse sich nimmer hätten rühren können. Darauf entfernten sich die Priester und auch die andern Menschen auf wenigstens hundert Schritte von dem Geknebelten und baten auch mich, das Gleiche zu tun. Ich tat auch, was sie mir rieten.

07] Es dauerte aber keine zwanzig Augenblicke, nachdem wir uns in der vorbesagten Ferne befanden, da erhob sich unter gräßlichem Gejauchze der Mensch pfeilschnell, zerriß in einem Augenblick Stricke und Ketten in viele Stücke, sprang darauf gleichfort gräßlich jauchzend unglaublich hoch vom Boden in die Luft, faßte dabei aber auch noch mehrere hundert Pfund schwere Steine und schleuderte sie gleich leichten Bohnen um sich herum. Als dieses Toben und Rasen bei einer Stunde lang angedauert hatte, da sank der Mensch ganz ohnmächtig auf den Boden, und wir durften uns ihm wieder nahen.

08] Die beiden Priester richteten Fragen an ihn, daß er ihnen sage, wie es ihm ergangen sei. Er aber wußte nichts von seiner Raserei, sondern erzählte nur ein Traumgesicht, nach dem er sich in einer sehr schönen Gegend befunden habe. Bei dieser kurz dauernden Erzählung war der Ton seiner Stimme ein ganz sanfter, wie der einer geduldig leidenden Mutter; aber bald änderten sich Ton und Sprache. Es ward ihm der Mund weit, wie durch eine magische Gewalt aufgesperrt und eine ganz fremde, donnerähnlich kräftige Stimme in griechischer Zunge drang aus dem weit aufgesperrten Munde an unsere Ohren mit ungefähr diesen Ausdrücken:

09] "O ihr elenden Mücken unter Menschenlarven wollt mich da aus diesem gemieteten Hause vertreiben!? Alle römischen Heere sind das nicht imstande! Ehe noch ein Stein zur Erbauung Roms in Bereitschaft lag, ja gar lange eher war ich der berühmte König Cyaxares, der erste dieses Namens, habe die Skythen geschlagen, mit Lydien Krieg geführt, Meine zweite Tochter Mandane wurde des Königs der Perser Weib und Mutter des berühmten großen Cyrus, dessen Vater Kambyses hieß. Mehr brauchet ihr nicht zu erfahren!

10] Dieses Fleischhaus aber, das ich nun beliebig bewohne und mich daraus nicht vertreiben lasse, stammt von meinem Blut, und ich besitze es darum mit Recht! Darum ist alle eure Mühe, mich daraus zu vertreiben, eine vergebliche; ich kann in diesem meinem Hause mich unterhalten, wie es mir gefällig ist!"

11] Auf dieses sonderbare Gespräch stieß er noch einige gräßliche Verwünschungen und Drohungen über die beiden Priester aus, riß den Menschen einige Male, worauf dieser wieder zu sich kam, sich äußerst schwach fühlte und etwas zu essen verlangte. Er wurde, als er nach zu sich genommener Speise etwas kräftiger ward, wieder befragt, ob er darum wisse, was er zuvor geredet habe. Er verneinte das mit seiner natürlichen, weichen Stimme, wohl aber erinnere er sich, daß er geschlafen habe und sich im Traume unter weißgekleideten Jünglingen befand.

12] Ich besprach mich dann sonderlich mit den Priestern und auch mit des Menschen noch lebenden Eltern und riet ihnen, daß man solch einem Menschen auf eine gute Art das Leben nehmen sollte, so werde der Kakodämon dann sein Haus wohl verlassen müssen. Aber da versicherten mir alle, daß dies so gut wie rein unmöglich wäre und der, welcher so etwas unternähme, sich selbst in die größte Lebensgefahr begeben würde. Es habe das schon einer versucht, sei aber sehr böse zugerichtet davongekommen. Ich bin bald darauf von dem unseligen Orte abgezogen und habe mir dieses treu erlebte Faktum wohl notiert, habe es auch oft schon weisen Menschen erzählt, auch hier den Juden schon, aber von einer nur einigermaßen genügenden Erklärung darüber war da noch nie eine Rede.

13] Man erzählte mir wohl auch manches von Menschen, die von Teufeln oder bösen Geistern besessen seien, und daß es sehr schwer sei, solche Leidende zu heilen; aber niemand wußte mir zu sagen, wer eigentlich solche Teufel oder böse Geister seien, und wie sie in einem armen und schwachen Menschen sich einbürgern und dessen Natur gänzlich beherrschen mögen und dürfen. Oft fände man schon Kinder, die von den bösen Geistern jämmerlich geplagt werden.

14] Herr und Meister, was ist da wohl dahinter? Betrug von seiten eines solchen unglücklichen Menschen ist da wohl sicher keiner möglich; denn das, was ich an dem Illyrier erlebt habe, war sicher so ferne von einem Betruge wie von einem Ende der Welt bis zum andern.«



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