Jakob Lorber: 'Das große Evangelium Johannes', Band 9
135. Kapitel: Jesu Abreise von Kis nach Jesaira.
01] Als das alles bald und leicht beendet war, war das Mittagsmahl auch bereitet. Wir nahmen es zu uns und schickten uns darauf gleich zur Abreise an. Kisjona, Maria, Joel und Philopold aber wollten Mich begleiten bis an den Ort, den Ich zunächst zu besuchen willens wäre.
02] Und Ich sagte: »So wollen wir zu Schiff nach Jesaira hinsteuern! Was dort zu geschehen hat, das werden wir aus dem freien Willen der dortigen Menschen ersehen. Und nun machen wir uns auf die Abreise!«
03] Darauf gingen wir, begleitet von allen Hausleuten Kisjonas, ans Ufer, bestiegen zwei Schiffe und fuhren mit gutem Wind, der den Schiffern das ermüdende Rudern sehr erleichterte, nach Jesaira hin, welchen Ort wir nach ein paar Stunden erreichten.
04] Als wir uns Ufer gestiegen waren, da sagte Kisjona zu Mir: »O Herr und Meister, wie es mir vorkommt, so hast Du bei dieser Gelegenheit doch den einen, noch immer sehr weltlich gesinnten Jünger Judas Ischariot verloren! Denn als er fortging, fragte er Dich, wie lange Du bei mir verweilen werdest, auf daß er rechtzeitig wieder zurückkäme; aber er kam nicht, weil er vielleicht irgendein vorteilhaftes Geldgeschäft Dir vorzog?«
05] Sagte Ich: »Letzteres ist wohl der Fall, aber er wird uns bald nachkommen. Denn er kam nahezu um eine Stunde später nach Kis, als wir abgefahren sind, und erfuhr, wohin wir gezogen sind, mietete sogleich ein Schiff und wird uns, ehe eine Stunde verrinnen wird, hier einholen. So er aber kommen wird, da macht nicht viel Aufhebens mit ihm, obschon er euch eine Menge wird erzählen wollen. Sagt ihm: 'Erspare dir ein unnötiges Reden; denn der Herr weiß um alles!' Und er wird dann bald verstummen.«
06] Als Ich solches dem Kisjona angesagt hatte, da wurden alle Meine Jünger beinahe unwillig und sagten: »Aber so können wir den lästigen Menschen doch nimmer loswerden!«
07] Sagte Ich: »Was Ich ertrage, das ertragt auch ihr! In dieser Welt geht es einmal nicht anders! Der Leib ist der Seele auch eine große und sie oft sehr drückende Bürde; aber sie muß ihn doch ertragen, wenn er, besonders im höheren Alter, noch so gebrechlich wird.
08] Seht an einen noch so sorgfältig gepflegten Weizenacker, ob ihr unter dem Weizen durchaus kein Unkraut finden werdet. Mußte Ich den ersten Versucher in der Wüste ertragen - und erst, als er von Mir völlig wich, traten Engel zu Mir und stärkten Meinen Leib -, also müssen wir nun am Ende Meiner Erdenzeit den zweiten Versucher ertragen.
09] Ich habe es euch ja schon einmal bei einer Gelegenheit klar gesagt, wie einer von euch ein Teufel ist, und ihr habt es in euch wohl begriffen, welchen Ich gemeint habe. Aber deshalb sagte Ich zu ihm doch niemals, daß er gehen solle; denn auch der Teufel hat seinen freien Willen, der ihm nicht genommen wird. Will er mit uns ziehen, so ziehe er mit uns; will er aber wegbleiben, so bleibe er auch weg. Wir aber wollen ihn, ob er geht oder bleibt, nicht mit scheelen Augen ansehen.«
10] Die Jünger alle beherzigten diese Meine Worte, und wir begaben uns in das Dorf, und zwar zu jenem Wirte, bei dem Ich schon einmal eingekehrt war.
11] Als wir uns dem Hause nahten, ersahen und erkannten uns alsbald der Wirt, sein Weib und seine Kinder, und eilten uns entgegen mit großer Freude.
12] Als der Wirt vollends zu Mir kam, verneigte er sich tief vor Mir und sagte: »O Du lieber Herr und Meister, wie oft doch habe ich schon nach Dir gefragt und geseufzt und wie oft den sehnlichsten Wunsch gehabt, Dich in meinem Leben als das größte Heil aller biederen Menschen nur noch einmal zu sehen, zu sprechen und in Meinem Hause zu beherbergen; aber es wollte mir solch eine höchste Gnade von Dir nicht zuteil werden. Wie groß nun meine Freude ist darob, daß Du Mich dieser Gnade doch endlich einmal gewürdigt hast, das kann ich mit Worten nicht dartun! Aber da Du, o liebster Herr und Meister, zu mir gekommen, so wirst Du doch auch etliche Tage bei mir verweilen wollen? Ich will ja gerne alles aufbieten, um Dir und allen Deinen sicher überseligen Freunden den Aufenthalt so angenehm wie möglich zu machen!«
13] Sagte Ich: »Freund, wo Ich Herzen finde wie bei dir, da verweile Ich gern, - dessen kannst du völlig versichert sein; kann Ich aber schon nicht mit Meinem Leibe stets an einem Orte verweilen, so bleibe Ich aber dennoch mit Meinem Geiste stets bei solchen Menschen, die Mich also lieben, wie du Mich liebst! Aber heute und morgen werde Ich dennoch auch mit dem Leibe bei dir bleiben. Aber übermorgen früh muß Ich dennoch weiterziehen; denn es gibt noch viele, die auf Mich harren, daß Ich ihnen helfe. Aber nun lasse für uns alle ein ganz mäßiges Nachtmahl richten, - wozu es aber noch keine Eile hat, da die Sonne noch ziemlich hoch über dem Horizonte steht!«
14] Auf diese Meine Worte sagte der Wirt sogleich dem Weibe, was sie zu tun habe.
15] Und das Weib dankte Mir für diesen Auftrag, bat Mich aber, ob sie Maria, die das Weib schon lange wohl kannte, sogleich mit ins Haus führen dürfe, weil sie sich gerne über verschiedenes mit ihr besprechen möchte, indem sie schon lange nicht mehr das Glück gehabt habe, die würdigste der Mütter zu sehen und zu sprechen.
16] Und Ich sagte: »Liebes Weib, auch die Mutter hat ihren freien Willen, und Ich kann zu ihr nicht sagen: 'Tue das, oder tue jenes!' - So sie will, kann sie dir schon die Freude machen; denn was sie tut, ist stets wohlgetan, und Ich habe stets eine größte Freude an dem, was sie will, und was sie tut.«
17] Darauf trat das Weib zu Maria und bat sie, ihr diese Freude zu machen, und Maria ging alsbald mit dem Weibe ins Haus und half ihr sorgen für die Bereitung eines besten Nachtmahles.
18] Wir aber lagerten uns noch nahe dem Ufer im Grase und sahen einigen Fischern zu, wie sie sich abmühten, Fische zu fangen, aber beinahe keine in ihr Netz bekamen.
19] Kisjona bemerkte das auch und sagte zu Mir: »O Herr und Meister, geradeso mag es vorvorgestern, oder eigentlich am Vorsabbat, und gestern als am Nachsabbat unsern Fischern ergangen sein, bis endlich Deine Gnade zu ihnen kam und ihre Netze mit Fischen füllte!«
20] Sagte der Wirt: »Ich habe deinen Fischern, lieber, alter Freund, zugesehen und sie auch recht von Herzen bedauert. Aber es kamen endlich drei wunderliebe Jünglinge ans Ufer, und zwar gerade an der Stelle, und verlangten in ein Schiff zu steigen. Da fuhr ein dem Ufer nächststehendes Schiff ans Ufer, nahm die Jünglinge auf und fuhr wieder zu den andern Schiffen. Da aber hießen die drei Jünglinge die Fischer ihre Netze noch einmal ins Wasser senken, und der Erfolg davon war vollends wunderbar. Nun wären für diese Fischer wieder derlei sonderbare Jünglinge eine wünschenswerte Erscheinung! Aber ob die Jünglinge mit deinen Fischern, Freund Kisjona, nach Kis gefahren sind, oder ob sie wie ein Traum verschwunden sind, das weiß ich dir nicht zu sagen. Ich wenigstens habe nach dem Fischfange keinen auf einem oder dem andern Schiffe mehr gesehen. Wer etwa doch die drei Jungen mögen gewesen sein?«
21] Sagte Kisjona: »Mein Freund, wo der Herr persönlich gegenwärtig ist, da sind auch Seine himmlischen, mit aller Macht ausgerüsteten Diener nicht ferne! Die drei Jungen waren auch gestern von frühmorgens bis zum Untergange der Sonne bei mir im Hause und haben die Jünger des Herrn und auch andere Menschen, die zu mir gekommen sind und eines guten Willens waren, in allerlei Dingen belehrt. Als sie am Abend sich aber plötzlich bei uns entfernten, da hast du sie sicher auch schon im selben Augenblick hier gesehen, wie sie meinen Fischern zu dem reichen Fange behilflich waren. Und das alles wollte der Herr also! Denn ohne Seinen Willen kann dir kein Haar gekrümmt werden und kein Sperling vom Dache sich erheben und hinwegfliegen.«
22] Sagte der Wirt: »Du hast mir nun aus der Seele geredet! Als Ich gestern daheim von den drei Jungen meinen Leuten erzählte, da sagten beinahe alle einstimmig: 'Wenn hie und da seltene Dinge sich zu ereignen und zuzutragen anfangen, dann steht uns eine baldige Heimsuchung des Herrn bevor. Gebe Er uns die Gnade, daß Er uns Seiner Heimsuchung auch für würdig erachten möchte!' Und ich sagte am Ende: 'Amen, des Herrn Wille geschehe! Er komme, Er komme bald und erlöse uns von allem Übel!' Und siehe, da ist Er nun unter uns!«
23] Hier fing der Wirt vor Freude an zu weinen und konnte eine Weile nicht reden. Ich aber stärkte ihn, worauf er wieder zu der natürlichen Gemütsruhe kam und wieder reden konnte.
Home | Index Band 9 | Werke Lorbers