Jakob Lorber: 'Das große Evangelium Johannes', Band 9


Kapitelinhalt 34. Kapitel: Streit um die Persönlichkeit Jesu.

01] Nach dieser ganz gediegen wahren Rede des Griechen sagte ein Jude dieses Ortes, der ein Rabbi war und einer Synagoge vorstand: »Du, als ein Heide in unserer Schrift sicher wenig bewandert, urteilst wohl recht gut, und man kann dir in vielen Stücken nicht unrecht geben; aber wenn du in unserer Schrift mir gleich bewandert wärest, so würdest du sicher auch ein wenig anders urteilen! Siehe, sooft Gott Sich eines frommen Menschen eben der Menschen wegen bedient hat, da konnte ein solcher Mensch nicht anders handeln und reden, als wie er von dem Geiste Gottes getrieben ward! Einer unserer ersten der vier Großpropheten redete zum Volke nahe stets also, als wäre er Gott Selbst gewesen, was ihm die Juden auch oft zum Vorwurfe machten; aber er konnte eben nicht anders reden und handeln, als wie er vom Geiste Gottes angetrieben worden war.

02] Ein Beispiel seiner Rede wird dir die Sache heller machen. So sagt der besagte Prophet, der Jesajas hieß, unter anderem gleich im Anfange seines 42. Kapitels, wo er wahrscheinlich auf diesen vom Geiste Gottes erfüllten Mann eine Vorandeutung machte: "Siehe, das ist Mein Knecht, - Ich erhalte Ihn; und Er ist Mein Auserwählter, und Meine Seele hat an Ihm Wohlgefallen. Ich habe Ihm Meinen Geist gegeben, - Er wird das Recht unter die Heiden bringen. Er wird nicht schreien und rufen; auf den Gassen wird man nicht hören Seine Stimme. Das zerstoßene Rohr wird Er nicht zerbrechen und den glimmenden Docht nicht auslöschen. Er wird das Recht wahrhaftig halten lehren. Er wird nicht mürrisch und greulich sein, auf daß Er das Recht auf Erden aufrichte.

03] Also spreche Ich, Gott der Herr, der die Himmel schafft und ausbreitet, der die Erde macht und ihr Gewächs, der dem Volke, das darauf ist, den Odem gibt und den Geist denen, die darauf halten. Ich, der Herr, habe Dich gerufen mit Gerechtigkeit. Ich habe Dich bei der Hand gefaßt und habe Dich behütet und habe Dich zum Bund unter das Volk gegeben und zum Licht der Heiden. Du sollst öffnen den Blinden die Augen und die Gefangenen aus den Gefängnissen führen und die da sitzen in der Finsternis und in den Kerkern. Ich, der Herr, das ist Mein Name, will Meine Ehre keinem andern geben, noch Meinen Ruhm irgendeinem Menschengötzen. Siehe, was da kommen soll, verkündige Ich nun zuvor und verkünde Neues; ehe denn es aufgeht, lasse Ich es euch hören."

04] Siehe nun, du mein sonst recht weiser Grieche, also sprach einst Gott durch den Mund eines Menschen, daß man meinen möchte, der Mensch Jesajas sei im Ernste der Herr Selbst! Dem aber war dennoch nicht also. Und wie es damals war, also ist es auch heutzutage. Dieser wundertätige Mann ist demnach nichts anderes als jener durch den Propheten angezeigte Knecht Gottes, Sein Auserwählter zum Heile auch der Heiden, wie er es euch ehedem auch tatsächlich bewiesen hat.

05] Gott wird ihn darum auch mit dem höchsten Ruhme krönen und ihn machen zum Könige aller Völker der Erde, indem Er ihm eine so große Macht gegeben hat, wie sie zuvor noch nie einem Menschen eigen war. Doch deshalb ist und bleibt er dennoch nur ein Mensch und ist aus sich heraus kein Gott und noch weniger irgendein Menschengötze, wie ihr Heiden deren eine Menge aufzuweisen habt. Er ist ein Knecht Gottes, begabt mit aller erdenklichen Macht, ein besonders Auserwählter, und darum sichtlich ein erster Liebling Gottes.

06] Siehe, so urteilen wir in der Schrift wohlbewanderten Juden; ihr aber, die ihr gewohnt seid, aus jeder außerordentlichen Erscheinung einen Gott zu machen, haltet solch einen vom Geiste Gottes erfüllten Menschen um so eher gleich für den wahren Gott, weil er vor euren Augen Zeichen gewirkt hat, die ganz sicher nur Gott allein möglich sind. Aber er wirkt derlei unerhörte Wunderdinge doch nicht aus seiner eigenen Menschenkraft, sondern nur durch die ihm auf eine Zeitlang verliehene Willensmacht Gottes. So stehen diese Sachen, und ich bin überzeugt, daß er sich selbst kein anderes Zeugnis geben wird.«

07] Sagte darauf der Grieche: »Du hast auch nun wohl geredet und dürftest in manchem auch wohl so für den Weltverstand der Menschen recht haben. Aber es hat der von dir angezogene Prophet in seinen vielen Kapiteln auch noch anders gesprochen, was mir, trotzdem ich ein Heide bin, nicht unbekannt ist, und das dürfte sich wohl mehr zu meines Urteils Gunsten gestalten denn zu des deinen!«

08] Sagte der Rabbi: »So lasse hören, was du weißt!«

09] Sagte der Grieche: »Gut, wie ist denn hernach die Stelle zu verstehen, wo der Prophet also spricht: "Uns ist ein Knabe geboren, ein Sohn ist uns gegeben, dessen Herrschaft Er trägt auf der eigenen Schulter! Sein Name ist: Wunderbar, Rat, Kraft, Held, Gott, Ewigkeit, Vater, Friedensfürst." - Wie erklärst du mir dies Zeugnis des Propheten?«

10] Darauf wußte der Rabbi nichts zu antworten, sagte bloß so hingeworfen: »Nun ja, das steht wohl auch im Jesajas; doch es ist dieser Prophet in gar vielen seiner Weissagungen sehr dunkel und unverständlich, und man kann da nicht sicher feststellen, was er darunter gemeint hat.«

11] Sagte der Grieche: »Sonderbar, daß du als schriftkundiger Jude hier also urteilen magst, und das geborene Kind und der gegebene Sohn, dessen großen Namen der Prophet offen ausgesprochen hat, steht doch unverkennbar in der Person, in Wort und Tat vor uns! Er ist als nun ein uns sichtbarer Mensch auch ein Knecht, an dem Gott Sein höchstes Wohlgefallen hat aus dem Grunde, weil Er sicher in aller Fülle in Ihm wohnt. Sein Leib ist nur der Knecht; aber Seine Seele ist Gott von Ewigkeit. Dieser Leib ist doch sicher ein allerhöchst Auserwählter Gottes, an dem Er Sein innigstes Wohlgefallen hat! Ich als ein Heide werde hier nach meinem natürlichen Sinne schier der Wahrheit näherstehen, als du mit aller deiner dir nach deinem eigenen Zeugnisse unklaren und unverständlichen Schriftkundigkeit!«

12] Hierauf sagte der Rabbi gar nichts mehr, ward ärgerlich und ging davon.

13] Ich aber sagte zu Meinen Jüngern, die sich über den blinden Rabbi im geheimen auch ärgerten: »Da habt ihr abermals ein Beispiel, wie das Licht den Juden genommen und den Heiden gegeben wird. Diese Griechen waren vor ein paar kleinen Stunden noch feste Götzendiener, und nun stehen sie im wahren Lichte schon um gar vieles höher denn die sich auf ihre Schriftkundigkeit so viel einbildenden Juden! Seid denn froh, daß es nun einmal also gekommen ist! Wahrlich, Davids Thron wird nicht mehr unter den Juden, sondern unter den Heiden aufgerichtet werden!«

14] Hier erst fiel Mir die Witwe mit ihrem Sohne recht zu Füßen und sagte: »O Herr, Herr! Jetzt erst gehen mir die Augen auf! Du bist der uns verheißene Messias! Oh, vergib es unserer Blindheit, daß wir Dich nicht alsogleich erkennen mochten!«

15] Ich aber sagte zu ihr: »Hebe dich vom Boden, gehe mit deinem Sohne nach Hause und bereite uns ein Abendmahl; denn heute bleiben wir in deiner Herberge! Ich habe dir das zwar schon ehedem gesagt, aber nun tue alsbald, was Ich dir geboten habe!«

16] Hierauf erhob sich das Weib alsogleich vom Boden und eilte gar selig mit ihrem Sohne nach Hause und machte sich sogleich an die Bereitung eines guten Abendmahles, dessen wir schon bedürftig waren.



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