Jakob Lorber: 'Das große Evangelium Johannes', Band 9


Kapitelinhalt 76. Kapitel: Ein jüngerer Pharisäer erkennt nach und nach Jesus.

01] Als die Pharisäer das von Mir vernommen hatten, da sagte der eine, der unter ihnen noch der Bessere war, zu dem Schriftgelehrten: »Du, der Galiläer hat an und für sich wahrlich nicht unrecht. Seine Worte stechen zwar wie scharfe Pfeile; aber er spricht die Wahrheit! Warum hat der Blitz denn gerade unsere Synagoge treffen müssen? Der Galiläer kennt unsere Wirtschaft und kann ihr wahrlich kein Lob erteilen und weiß es denn auch recht wohl, daß Gott unsere Bitte unerhört lassen wird. Wir sollten uns ihm nun freundlicher nähern, und er könnte uns vielleicht doch wunderbar erretten. Wer von uns kann es denn nur mit einiger Gewißheit behaupten, daß er nicht eben Der ist, der uns verheißen worden ist?«

02] Sagte der Schriftgelehrte: »Fängst auch du an, wider uns zu zeugen? steht es denn nicht geschrieben: "Aus Galiläa steht kein Prophet auf!"?«

03] Sagte der bessere Pharisäer: »Ja, ja, das steht wohl also geschrieben; aber das steht auch nirgends geschrieben, daß der Messias nicht in Galiläa erstehen könnte. So er aber Der wäre, da ist er dann aber auch kein Prophet, sondern der Herr Selbst, und es hätte dann das, was in der Schrift steht, auf ihn keinen Bezug!«

04] Sagte der Schriftgelehrte: »Ja, wenn es so wäre, dann freilich nicht; aber wer kann das erweisen, und wer getraute sich das?«

05] Sagte der Pharisäer: »Er selbst und nun schon vielleicht viele Hunderttausende von Zeugen! Für unsern Unglauben aber kann er nicht. Hier aber ist nun eine Gelegenheit, uns zu zeigen, daß er mehr denn ein Prophet ist, und wir wollen und werden dann auch an ihn glauben!«

06] Hierauf sagte der Schriftgelehrte nichts mehr, ging aber hinaus, um nachzusehen, welchen Schaden etwa das stets wachsende Feuer schon angerichtet habe. Da aber der Sturmwind gleichfort so heftig wehte, daß sich ein Mensch kaum aufrecht stehend halten konnte, und die Blitze auch beinahe unausgesetzt die Luft und das dichte Gewölk mit starkem Gedonner durchkreuzten, so blieb der Schriftgelehrte mit noch einem ihn begleitenden Pharisäer nicht lange draußen als ein Beobachter stehen, sondern kehrte bald wieder in den Saal zurück und zeigte es den andern an, daß nun von der Synagoge nicht viel mehr zu retten sein werde, indem das Feuer schon zu mächtig geworden sei und man im Orte zu wenig Wasser und zu wenig mutige Menschen zum Löschen besitze.

07] Der bessere Pharisäer aber trat wieder zu Mir und sagte: »Meister, Du hast es vernommen, was ich über Dich zu unserem Schriftgelehrten geredet habe, und er konnte mir darauf nichts irgend Haltbares erwidern, schwieg daher lieber, ging aber doch hinaus, um nachzusehen, ob es sich etwa noch der Mühe lohnte, die Synagoge zu löschen und so auch noch einige Kostbarkeiten zu retten. Damit hatte er andeuten wollen, daß er auch an Dich zu glauben anfinge, so Du durch Deine Wundermacht den Brand der Synagoge löschen und so denn auch einige wenige Schätze retten würdest. Da aber das böse Feuer nun schon bald alles verzehrt und zerstört haben wird, so wird er sich nun denken: "Da ist weder mit natürlichen noch mit wunderbaren Mitteln mehr etwas zu retten, und so bleibe ich bei meinem Unglauben."

08] Ich für mich und meinen Teil aber denke und urteile da nun ganz anders; denn mir genügen die zwei Zeichen, die Du hier gewirkt hast, nämlich erstens die Reinigung der zehn Aussätzigen und zweitens die Heilung des Oberknechtes, und ich glaube, daß Du unwiderlegbar der Gesalbte Gottes bist und Dir darum auch nichts unmöglich ist. Und so glaube ich denn auch, daß Du den Sturm stillen und unsere Synagoge noch löschen und uns das Notwendigste zum Leben retten könntest, so Du das wolltest! Herr und Meister, vergib es mir, so ich mich ehedem irgend an Dir versündigt habe, und lasse wenigstens mich sehen, daß Du auch ein Herr der Elemente und der großen Natur bist!«

09] Sagte Ich: »Selig bist du, da du glaubest, und Ich will dir auch tun nach deinem Glauben! Gehe denn nun mit Mir hinaus ins Freie, und wir wollen sehen, was ein rechter Glaube vermag!«

10] Darauf ging Ich mit dem besseren Pharisäer hinaus ins Freie und besah mit ihm den starken Brand, der bereits im ganzen großen Gebäude wütete, und sagte zu ihm, der ohne Furcht und Angst mit Mir war: »Meinst und glaubst du noch, daß es Mir möglich wäre, mit einem Worte den gewaltigen Sturm zu stillen und den Brand zu löschen und dadurch zum wenigsten deine Habe zu retten?«

11] Sagte der Pharisäer ganz zutraulich: »Ja, Herr und Meister, jetzt erst glaube ich das ganz ohne etwelchen Zweifel! Sprich Du nur ein Wort, und es wird unfehlbar geschehen, was Du willst!«

12] Sagte Ich: »Nun, so geschehe denn, wie du es glaubest!«

13] Als Ich das ausgesprochen hatte, da legte sich urplötzlich der Sturm, und der Brand der Synagoge verlosch auch derart, daß im ganzen großen Gebäude auch nicht ein glühendes Fünklein aufzufinden war.

14] Hierauf fiel der Pharisäer vor Mir auf seine Knie nieder und pries laut die Kraft und Macht Gottes in Mir.

15] Ich aber hieß ihn aufstehen; denn es fingen nun auch alle, die die Furcht und Angst in den großen Saal getrieben hatte, an, sich ins Freie zu begeben, da sie es wohl merkten, daß der Sturm gänzlich nachgelassen hatte und durch die Fenster vom Brande der Synagoge auch nichts mehr zu entdecken war.

16] Als der Schriftgelehrte mit den anderen Pharisäern das merkte und auch den Himmel ganz wolkenlos erblickte, da sagte er: »Hört, das ist mehr, als was sich ein noch so weiser Mensch je hätte können träumen lassen! Was können wir aber nun tun? Glauben wir an den Galiläer, so wird uns bald der ganze Tempel mit glühenden Scheiten am Genicke sitzen, - und glauben wir ihm nun noch nicht, so haben wir das Volk der ganzen Umgegend wider uns. Da wird es nun schwer werden, die goldene Mittelstraße zu finden und auf ihr fortzuwandeln. Doch davon wollen wir erst morgen weiterreden. Nun aber schafft uns Lichter, auf daß wir uns alsbald überzeugen mögen, welch einen Schaden wir durch den Brand erlitten haben!«

17] Da brachte der Wirt Lichter, aus Wachs angefertigt, und alles begab sich nach der Synagoge, um nachzusehen, was da alles durch das Feuer zerstört worden sei. Die Pharisäer fanden bald, daß das Feuer in ihren Wohnungen eine große Verheerung angerichtet hatte, und fingen darob sehr zu jammern an; als sie aber in die Wohnung des besseren und gläubigen Pharisäers kamen, in der Ich Mich mit ihm befand, da ergriff alle ein großes Staunen, als sie da alles unversehrt und in der besten Ordnung antrafen.



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