Jakob Lorber: 'Das große Evangelium Johannes', Band 9


Kapitelinhalt 86. Kapitel: Jesus über wahre Gottesfurcht.

01] Sagte der Schriftgelehrte: »Es gemahnet mich leise im Herzen, als verstünde ich das wohl; aber in meinem Kopfe menget sich nun alles bunt durcheinander, und ich sehe es nun ein, daß derlei Dinge nur im Herzen der Seele, aber niemals mit dem Gehirnverstande begriffen werden können. Aber Moses hat befohlen, Gott zu fürchten und Ihn allein allzeit anzubeten! Soll ich Dich nun nicht mehr fürchten und Dich nach der vorgeschriebenen Weise anbeten?«

02] Sagte Ich: »Ja, ja, das hat Moses wohl anbefohlen, und es war denn auch wohl recht also; aber in dieser Zeit versteht auch nicht einer mehr, was »Gott fürchten« heißt, und ihr Priester habt den Menschen teils infolge eurer eigenen Blindheit und zum größten Teile aber aus eurer unersättlichen Gewinnsucht ganz falsche und gänzlich verkehrte Begriffe von der Gottesfurcht beigebracht, und so fürchten die noch ein wenig an einen Gott glaubenden schwachen Menschen Gott wie einen bösen, aller Liebe und Erbarmung baren und allerunerbittlichsten Tyrannen und schaudern bei dem Worte und Begriffe »Gott« zurück, weil sie in Ihm nahezu nichts denn einen ewigen Zorn und eine ewige Rache erblicken.

03] Es heißt aber auch, daß der Mensch Gott anbeten und über alles lieben soll. Wie kann man aber ein Gottwesen lieben und dadurch auch am wahrsten anbeten, vor dessen Namen man schon ärger erbebt als vor dem Tode?

04] Du wirst aus dem nun wohl einsehen, welch einen unwahren und im höchsten Grade verkehrten Begriff ihr und durch euch die andern Menschen von der Gottesfurcht habt.

05] Was heißt denn »Gott fürchten?« Gott fürchten heißt: Gott als die ewige, höchste und reinste Liebe über alles lieben und, weil Gott die höchste Wahrheit ist, in der göttlichen Wahrheit verharren und nicht der Lüge der Welt des materiellen Eigennutzes wegen huldigen.

06] Wer in allem wahrhaft ist, der hat die wahre Gottesfurcht im Herzen; und wer diese hat, der betet Gott auch allzeit und vollgültig an. Denn wie die Lüge eine größte Verunehrung Gottes ist, so ist die reine und lebendige Wahrheit auch eine allzeitige und höchste Verehrung und wahrste Anbetung Gottes. Verstehest du nun das?«

07] Sagte der Schriftgelehrte: »Ja, Herr und Meister, das verstehe ich nun für mich wohl und sehe es ein, daß sich diese Sache gar nie anders verhalten kann; aber es wird nun eben nicht so leicht sein, diese Wahrheit auch den andern Menschen begreiflich zu machen, weil sie sich schon zu sehr in allerlei Irrtümern begründet haben und die Lüge für eine Wahrheit halten. Zu dem kommt noch der Tempel mit seinen Vorschriften, was und wie wir vor dem Volke zu reden haben. Und so wird es wohl schwer werden, in der Folge einen rechten Volkslehrer abzugeben. Doch jedem Siege muß ein Kampf vorausgehen! Du als der Herr Selbst hast uns die Wahrheit enthüllt, und Du wirst uns auch behilflich sein im Kampfe gegen die Feinde der Wahrheit, darum wir Dich nun bitten und auch allzeit bitten werden; denn ohne Deine allzeitige Hilfe werden wir nichts vermögen.

08] Es fragt sich aber nun, wie wir Dich zu bitten haben, auf daß Du uns erhörest und uns hilfst. So wir Dich nun in Deiner Gegenwart um etwas Rechtes bitten, so erhörst Du denn auch bald und leicht unsere Bitte; aber wie dann, so Du persönlich nicht also gegenwärtig bist wie jetzt? Wie haben wir dann zu bitten?«

09] Sagte Ich: »Diese Deine Frage sieht wohl noch ganz pharisäisch aus! So du lebendig an Mich glaubest, so wird dir auch allzeit werden, was du den Vater in Mir in Meinem Namen bitten wirst, und dazu bedarf es Meiner persönlich sichtbaren Gegenwart nicht, da Ich im Geiste überall gegenwärtig bin und alles sehe und höre und um alles vom Größten bis zum Kleinsten auf das allergenaueste und klarste weiß.

10] So du denn im Geiste und in der vollen Wahrheit Mich um etwas bitten wirst, so werde Ich dich sicher auch hören und erhören; aber eine Bitte, wie sie mit den Lippen in rätselhaften Worten bei euch gang und gäbe ist, erhöre Ich nicht.

11] Weißt du als ein Schriftgelehrter ja doch auch, was Gott durch den Mund eines Propheten zu dem Volke geredet hat, als dieser der damaligen Bedrängnisse wegen sich dahin zu Ihm gewendet hatte, daß Er die Bitten desselben erhören möchte: »Ich kenne dich und das Volk, das Mich mit den Lippen ehrt und bittet, sein Herz aber ist ferne von Mir!« Sieh, also wird auch von nun an kein pures Lippengebet, und am allerwenigsten ein bezahltes, je erhört werden!

12] Wer aber voll lebendigen Glaubens im Herzen Mich um etwas Rechtes bitten wird, dem wird auch werden, um was er gebeten hat.

13] Wer aber in Meinem Namen nach Meiner Lehre lebt und handelt, der betet wahrhaft ohne Unterlaß, und es wird ihm darum auch allzeit gegeben werden, wessen er bedarf.«

14] Sagte der Schriftgelehrte: »O Herr und Meister, ich danke Dir im Herzen für diese Deine trostvolle Belehrung, und ich glaube nun, daß dem recht nach Deinem nun laut ausgesprochenen Willen Bittenden auch das zuteil wird, um was er bittet.«



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