Jakob Lorber: 'Das große Evangelium Johannes', Band 9


Kapitelinhalt 104. Kapitel: Wanderer vor der Herberge.

01] Sagte Ich: »Freund, es ist die dritte Stunde der Nacht zu Ende gekommen, und es ist hier die Seele und auch der Leib gesättigt worden; aber draußen auf der Straße haben sich zwei arme Wanderer gelagert, weil sie kein Geld haben, um in dieser Herberge eine Unterkunft suchen an können. Laß sie hereinbringen, und gib ihnen Brot und Wein und dann ein Nachtlager, nachdem Ich mit ihnen euretwegen werde einige Worte gewechselt haben!«

02] Als der Wirt solches von Mir vernahm, da eilte er mit dem Oberknechte sogleich hinaus, fand aber bei den zwei Männern auch ein Weib und ein Kind und sandte den Knecht zu Mir mit der Frage, ob er auch das Weib mit dem Kinde aufnehmen solle.

03] Und Ich sagte: »Ein Mann und ein Weib sind ein Leib! Der zweite Mann aber ist des Weibes Bruder; daher soll der Wirt alle aufnehmen!«

04] Da ging der Knecht und hinterbrachte das dem Wirte, und dieser führte sie alle ins Zimmer und gab ihnen Brot und Wein.

05] Als sich die vier Personen gestärkt hatten, da fragte Ich den Mann, der das Weib und ein Kind, ein Mägdlein von zwölf Jahren, hatte, sagend: »Höre, Freund, du bist deiner Abstammung nach auch ein Jude, bist aber zur Zeit der Babylonischen Gefangenschaft, natürlich in deinen Ureltern, ganz in das ferne Indien mit noch zweihundert Männern, Weibern und Kindern geflohen.

06] Über fünfzig Tage lang waren deine Ureltern auf der Reise und fanden endlich in den weit ausgedehnten hohen Bergreihen ein einsames Tal, das reich war an üppigen Wiesen, allerlei ihnen unbekannten Fruchtbäumen und an Ziegen und Gazellenherden. Ebenso fehlte es in dem erwähnten Tale auch nicht an Quellen und Bächen, und ebenso auch nicht an edlen Fischen.

07] Eure Ureltern, die sich auf dieser weiten Reise mit allerlei Früchten und Wurzeln ernährt hatten, untersuchten das viele Stunden der Reisezeit lange Tal nach allen Richtungen und fanden alles zum Leben Nötige, nur keine Menschen, noch irgendeine Art Wohnhütte, aus der sie hätten entnehmen können, daß dieses Tal schon irgendwann einmal von Menschen wäre bewohnt worden.

08] Nach solcher Untersuchung des Tales sagte eben dein Urvater, der unter den zweihundert Entflohenen ein Ältester war: "Gott dem Herrn alles Lob und alle Ehre! Auch dieses Tal hat Er gebaut und hat seine Triften bepflanzt mit allerlei Gras, Kräutern und Wurzeln und Bäumen, die vielerlei Früchte tragen, von denen wir schon welche genossen und sie uns nicht geschadet haben. Ebenso ist dieses schöne Tal auch reich an allerlei sanften Tieren, welche keine Furcht vor uns haben, da sie sicher noch niemals weder von Raubtieren und noch weniger von beutesüchtigen Jägern verfolgt worden sind. Wir sind sicher die ersten Menschen, die in dieses Tal gekommen sind.

09] Hier wollen wir uns Wohnungen errichten und im vollen Frieden ohne irgendwelche Verfolgung beisammen leben, für den nötigen Lebensunterhalt gemeinschaftlich sorgen und allzeit Gott dem Herrn für die Gnade danken und Ihm allein die Ehre geben, daß Er uns auf eine so wundersame Weise ganz wohlbehalten in dieses schöne Tal geführt hat!

10] Als Er einst unsere Väter aus Ägypten durch die Wüste nach Kanaan führte, da kamen gar viele, die Ägypten verlassen hatten, nicht ins Gelobte Land, und die da hineinkamen, hatten zuvor gar viele Kämpfe und Drangsale zu bestehen; wir aber entkamen mit Seiner Hilfe ganz glücklich der gottlosesten Tyrannei des Nebukadnezar und gelangten allesamt gar wohl behalten in das ferne Tal, das nach allen Richtungen hin von unübersteiglich hohen Bergen umfangen ist. Wir selbst kamen nur durch eine sehr schmale und kaum ersteigbare Kluft hierher, die wir leicht so verlegen können, daß auch durch sie kein Mensch mehr zu uns gelangen kann. Dann haben wir keine stolzen und lieblosen Könige der Erde mehr zu fürchten.

11] Wir selbst aber wollen und werden vollends die uns wohlbekannten Gebote Gottes unter uns allzeit streng und ohne jemaligen Nachlaß beachten und uns an jedem Tage unseres Lebens dankbarst daran erinnern, daß uns Gott dieses Tal hat auffinden lassen. Wir werden auch die Tage zählen und den siebenten Tag als den Sabbat bestimmen und an demselben Gott alle Ehre geben. Die Arche des Bundes, um deren Aufenthalt wir alle nicht wissen, werden wir wohl in diesem Tale nimmerdar zu Gesichte bekommen; dafür aber wollen wir in unseren Herzen Gott eine neue Lade erbauen durch die Befolgung Seiner heiligen Gebote und werden Ihm in unseren Herzen durch die Liebe zu Ihm ein Opfer darbringen, das Ihm wohlgefälliger sein wird als die Brandopfer jener Priester, die die Propheten steinigten und sich von den Zehnten und reichen Opfern mästeten!"

12] Als dein Urvater solche gute Ansprache an die andern beendet hatte, da fielen alle auf ihr Angesicht zur Erde und lobten Gott bei einer vollen Stunde lang und baten Ihn um Seine fernere Hilfe, Liebe und Gnade.

13] Gott aber fand ein rechtes Wohlgefallen an diesen Flüchtigen und gab deinem Urvater die Weisheit, und er erfand dann in diesem Tale viele Dinge, die zum besseren Fortkommen nötig waren. Einige notwendige Werkzeuge und Gerätschaften hatten sie ohnehin mit sich gebracht auf den Rücken ihrer mitgenommenen etlichen Lasttiere, mittels deren sie sich im Anfange zur Notdurft ihre Hütten und Vorratskammern erbauen konnten; alles weitere hatte ihnen der Geist Gottes gezeigt und mit ihrer geringen Mitmühe verschafft.

14] In einer kurzen Zeit von etlichen Jahren waren sie schon mit allem ganz wohl versehen, hatten große Herden von den edelsten Gebirgsziegen mit feinster Wolle und Gazellen und Lamas und eine Menge seltsames und zahmes Geflügel und Rehe und Hirsche, die sie alle zu zähmen und zu ihrem Nutzen zu gebrauchen verstanden.

15] Und nun seid ihr zu einem Volke angewachsen und seid irdisch wohlhabend geworden; aber ihr habt angefangen, zu sehr auf den irdischen Gewinn zu sehen und habt dadurch schon vieles von eurer inneren Weisheit verloren!

16] Ihr werdet aus dem, was Ich euch nun der vollen Wahrheit nach gesagt habe, wohl erkannt haben, daß Mir alle eure Lebensverhältnisse wohlbekannt sind, und Ich könnte euch noch gar viele andere Dinge von dem Lande und von euren Lebensverhältnissen sagen; aber nun kommt die Reihe an euch, davon zu reden, aus welchem Grunde ihr hierher aus dem fernen Morgenlande gekommen seid. Redet aber rückhaltlos die reine Wahrheit; denn Meinen Worten werdet ihr entnommen haben, daß man bei Mir mit einer Lüge oder verdeckten Rede nicht auskommen kann!«



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