Jakob Lorber: 'Das große Evangelium Johannes', Band 9


Kapitelinhalt 108. Kapitel: Jesus über die Kraft des Geistes.

01] Und so denn fragte Mich zuerst das Mägdlein, sagend: »O Herr und Meister und höchster König voll göttlicher Macht und Kraft, wie war es Dir doch möglich, diesen wahren Himmelswein rein aus nichts in den Bechern zu erschaffen, und das so plötzlich, daß man sich nicht versehen konnte, wie er in die Becher kam? Ich weiß wohl, daß der göttlichen Kraft nichts unmöglich ist, und daß Gott alles, was da ist, erschaffen hat und noch gleichfort erschafft; aber bei dem Erschaffen beachtet Gott stets also eine gewisse Ordnung, daß da, um ein vollendetes Ding ins Dasein zu setzen, immer eins dem andern vorangeht und die Hauptsache dann auch immer als eine Folge der oft recht vielen Vorangänge erscheint und auch aller Wahrheit nach ist.

02] Ja, der Wein, den die Rebe gibt, ist nicht minder ein Wunder! Aber bei dem Werden des Weines von der Rebe her gibt es gar viele Vorgänge bis zur vollreifen Traube; hier bei der wahren Erschaffung des allerbesten Weines in den Bechern aber gab es keinen Vorgang, sondern Du wolltest, und die Becher waren schon voll Weines! Wie ist das doch wohl möglich?«

03] Sagte Ich: »Höre, du Mein liebes Töchterlein, du bist zwar erst volle zwölf Jahre alt; aber dein Verstand reicht über vierzig Jahre wohlgebildeten Alters! Mit solch einer Frage ist Mir noch kaum jemand zum Vorschein gekommen. Ja, du Mein liebes Töchterlein, die Frage, die du hier gestellt hast, ist wohl recht klar und verständlich, - aber die darauf zu gebende Antwort wird euch offenbar nicht ebenso klar und verständlich vorkommen; aber weil du schon gefragt hast, so sollst du von Mir auch eine Antwort bekommen.

04] Siehe, der Wein, der durch die Rebe nach und nach bereitet wird, ist eben ein solches Wunder wie dieser, den Ich für euch hier plötzlich erschaffen habe! Ich könnte gleichfort den Wein und auch alles andere also erschaffen, gleichwie erschaffen wird in der Luft die Wolke und der Regen, und wie Ich nun auch für euch den stärkenden Wein erschaffen habe aus der Luft, in der schon alle Bestandteile, die zum Weine gehören, vorhanden sind gleichwie auch alles, was zur Hervorbringung aller anderen Kreaturen erforderlich ist; aber der Mensch kann das mit seinen Fleischesaugen nicht sehen, sondern der Geist nur kann das sehen, sondern und vereinen, und so denn entweder plötzlich oder - wegen der Probung des menschlichen Verstandes, der Liebe und der Geduld und wegen der Erweckung der Tätigkeit und Hintanhaltung der Trägheit der Menschen - nach und nach auf die euch als natürlich bekannte Weise bewerkstelligen. Immer aber ist es ein und derselbe Geist, der ganz allein nur alles so oder so zu bewirken imstande ist, weil er uranfänglich der Grund von allem ist und auch ewig sein wird; denn alles, was da ist, ist im Grunde des Grundes nur des Geistes Macht, Kraft, Liebe, Weisheit und Wille.

05] Auch ein jeder Mensch ist im Besitze solch eines Geistes, der aber erst dann im Menschen wirkend auftritt, wenn er völlig nach dem erkannten Willen Gottes tätig wird und sein Geist auf dem Wege der reinen Liebe zu Gott und daraus zum Nächsten mit der Seele im Menschen sich vereinigt und sie dadurch selbst zur puren Liebe und Willen Gottes wird. Ist das im Menschen vor sich gegangen, dann ist er auch Gott ähnlich und kann auch Dinge bewirken, von deren Grunde kein pur äußerer Menschenverstand sich einen Begriff machen kann.

06] Nun aber seid ihr an der Quelle, Gottes Willen zu hören und für euer Leben zu erkennen; wenn ihr danach tätig geworden sein werdet - was von eurem völlig freien Willen abhängt -, so werdet ihr dadurch den allmächtigen Willen Gottes zu dem eurigen machen und durch ihn alles vermögen.

07] In dem Willen Gottes aber lebt auch die höchste Weisheit, daher er auch nichts bewirken kann und will, was da wider die Weisheit Gottes wäre. Wer demnach den Willen Gottes sich durch die Taten danach zu eigen gemacht hat, der hat sich auch die Weisheit Gottes zu eigen gemacht, ohne die der Wille nichts zu bewirken imstande wäre; und so ist denn ein Mensch, der dem Willen Gottes gemäß handelt, voll des wahren Lebenslichtes und voll der durch die Liebe zu Gott und zum Nächsten lebendigen Weisheit. Und siehe nun, du Mein allerliebstes Töchterlein, da hast du nun eine vollgültigst wahre und alles besagende Wahrheit auf deine Mir gegebene Frage; und nun sage Mir, ob du sie auch verstanden hast!«

08] Sagte das gar wohl erzogene und gut gebildete Töchterlein: »O Du über alles großer und mächtiger König, Herr und Meister, es kommt mir wohl vor, als hätte ich den rechten Sinn Deiner Worte begriffen; aber in die klare Tiefe dieser nur einem reinsten Geiste wohl begreiflichen Weisheit werde ich erst sicher nur dann zu dringen imstande sein, wenn auch ich es dahin werde gebracht haben, wo meine Seele mit dem Geiste nach Deinem Worte eins sein wird. Dank Dir, o Herr und Meister, für Deine allerweiseste Belehrung!«

09] Sagte Ich: »Du hast nun ganz wohl geredet, und Ich sage es dir, daß du eher noch, als du denkst, in den Zustand, den Ich dir als den vollkommenen und Gott ähnlichen gezeigt habe, gelangen wirst; denn du hast schon die rechte Liebe zu Mir und so auch eine rechte Liebe zum Nächsten. Diese Liebe ist das einzige und sicherst wirkende Vereinigungsmittel des Geistes mit der Seele, weil solche Liebe in der Seele schon der eigentliche Geist Gottes ist; laß ihn durch gute Taten stark werden, und du wirst dich dann bald von seiner wunderbaren Macht und Kraft in dir und auch außer dir gar wohl überzeugen.

10] Wer Gott mit seinem Verstande zu suchen und zu ergründen strebt, der hat eine mühevolle Arbeit und kommt schwer auch nur um einen Schritt weiter; wer aber Gott sucht mit der Liebe im Herzen, der findet Ihn bald und erreicht leicht das wahre Lebensziel. - Verstehst du das?«

11] Sagte das Mägdlein: »O Du großer Herr und Meister, das habe ich nun wohl verstanden; denn es ist in mir nun auf einmal helle geworden und ich begreife nun auch schon Deine mir gegebene Antwort auf meine Frage um vieles heller denn ehedem. Also begreife ich nun meinen Traum und sehe es ein, daß solchen nur Dein Geist in meiner Seele geschaffen hat, ansonst sie aus sich sicher nicht imstande gewesen wäre, in die ewig nie ermeßbaren Tiefen Deiner Schöpfungen einen so hellen Blick zu tun!«

12] Sagte Ich nun zu den Eltern des Mägdleins: »Dieses Kind wird euch noch zu einer Leuchte werden! Aber so sie euch aus Meinem Geiste in ihr so manches kundtun wird, da macht es nicht ebenso, wie vor drei Tagen in der Nähe von Damaskus! Nun aber sollen eure Becher noch einmal gefüllt sein, und ihr sollt sie auch zum zweiten Male leeren!«!

13] Sagte hierauf das Weib: »O Herr, laß das; denn wir sind nun gesättigt und gestärkt zur Übergenüge!«

14] Sagte Ich: »Weib, was geht das dich an, was Ich euch tue! In dem Weine ja, den die Rebe euch bringt, ruht auch ein betäubender und den Menschen verunreinigender Geist, der die Seele nicht erleuchtet, wohl aber verfinstert. Aber in dem Weine, den Ich hier euch aus den Himmeln gebe, liegt der Geist der wahren und lebendigen Liebe und Weisheit; denn er ist eigentlich Mein Wort und Mein Wille. Darum sollt ihr ihn denn auch trinken ohne Furcht und Scheu, auf daß ihr kräftig werdet, in eurem Lande den andern Menschen in Meinem Namen kundzumachen Mein Wort und Meinen Willen!«

15] Als Ich dieses gesagt hatte, da baten Mich alle vier, daß Ich die Becher doch noch einmal mit dem Wunderweine füllen möchte. Und Ich besah die Becher, gleichwie ehedem, und sie wurden alsbald voll des besten und reinsten Weines. Darauf behieß Ich die vier, daß sie die Becher leeren sollten; und sie taten das mit aller Lust und Freude.

16] Als sie auch diesmal den Wein ausgetrunken hatten, da fingen sie im Herzen an, stets heller und offener zu werden, und der Verheiratete fing an, ganz weise zu reden, so daß sich auch Meine Jünger darob hoch zu wundern anfingen und auch einige (Jünger) unter sich die Bemerkung machten, sagend: »Siehe, diese Indier machte Er mit einem paarmaligen Trunke vom Wunderweine weise und in die ganze Lehre eingeweiht; warum tut Er das nicht auch den andern Menschen?«

17] Sagte Ich: »Was kümmert euch das, so Ich tue, was Ich will? Weiß Ich doch für jede Pflanze die geeignete Kost zu verschaffen und jedem Tier die ihm zusagende Nahrung zu geben, so werde Ich wohl auch verstehen, wie Ich einem und dem andern Menschen die geistige Nahrung zu verschaffen und darzureichen habe. Ihr seid stets um Mich und hört und seht alles; merkt es euch aber auch, wie Ich die Menschen behandle, und wie Ich sie je nach der Art ihrer Seele belehre, und tut desgleichen, und ihr werdet gute Wirkung machen! Diese vier aber sind nur bis morgen mittag bei Mir, und sie sollen Mir dennoch zu einem Rüstzeuge werden; darum befähige Ich sie, weil ihre Seelen also tauglich sind, denn auch schneller für solch ein Amt, wie Ich auch die zweiundsiebzig Jünger in Emmaus dazu befähigt habe. - So ihr das nun versteht, da gebt euch zufrieden!«

18] Auf das wurden alle Jünger wieder ruhig. Ich aber belehrte die vier noch weiter vom Reiche Gottes.

19] Nachdem Ich die vier vom Reiche Gottes im Menschen auf dieser Erde wohl belehrt und ihnen auch die Wirkungen desselben gezeigt hatte, wie auch, daß Mein Königtum und Reich nicht von dieser Welt ist, dann sagte Ich dem Wirte, daß er den vieren eine Ruhestätte anweisen solle, da es bereits eine Stunde über die Mitte der Nacht geworden war. Der Wirt tat das sogleich, und die vier begaben sich zur Ruhe. Wir aber blieben, wie zu öfteren Malen, an unserem Tische und ruhten allda bis zum Aufgange der Sonne; auch der Wirt ruhte neben uns an einem kleinen Tische.

20] Am Morgen war der Wirt nach seiner Gewohnheit schon um eine Stunde vor dem Aufgange (Sonnenaufgang) auf den Beinen und besorgte alles in seiner Wirtschaft vor dem Aufgange der Sonne; denn es war der Sabbat, an dem mit dem Aufgange der Sonne alle knechtliche Arbeit bis zum Untergange ein Ende hatte. Also ließ er auch das Morgenmahl vor dem Aufgange bereiten, damit es auch vor demselben verzehrt werden solle; denn in dieser Hinsicht war er ein strenger Jude.



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