Jakob Lorber: 'Das große Evangelium Johannes', Band 9


Kapitelinhalt 178. Kapitel: Raphael über die Notwendigkeit der Verschleierung der Rückerinnerung.

01] Sagte Raphael: »Höre, du mein Freund, so du auf das Beispiel vom Bau einer großen und festen Burg so recht viel innere Aufmerksamkeit verwendet hättest, so hättest du kaum nötig gehabt, mir mit dieser Frage zu kommen. Was gehen denn die noch nicht erbaute Burg die sicher vor ihr dagewesenen Materialien an? Laß erst die Burg vollends erbaut werden, dann werden die vorangegangenen Materialien für die ganze Burg schon zu einem wohl erkennbaren Zusammenhang gelangen!

02] Würdest du dir aller der Vorzustände bis zu deinem gegenwärtigen Zustande ganz klar bewußt werden, die du der Seele nach in sehr geteilter Weise auf dieser Erde schon durchgemacht hast, so würdest du dadurch in deinem Denken, Urteilen und Wollen derart zerteilt und zerrissen werden, daß es dir unmöglich wäre, jene sittliche Einheit, Kraft und Stärke aus dem Geiste der Liebe Gottes, die nun dein inneres und allein wahres Leben ist und bedingt, in deiner Seele derart aufzunehmen, daß sie eins würde in ihm und durch ihn.

03] Wird die Seele aber eins mit ihm, dann wird sie in der Beschauung ihrer selbst schon in jene an alles rückerinnerliche Klarheit gelangen, aus der sie die endlose Liebe und Weisheit jenes einen, großen Baumeisters im seligsten Dankgefühle allerhellst erkennen und ewig bewundern wird; dann wird ihr eine solche von dir schon jetzt verlangte Rückbeschauung zum ewigen Lebensnutzen dienlich sein, während sie dir jetzt gar gewaltig schaden würde.

04] Es verfallen die Menschen selbst bei dem vom Herrn verfügten stärksten Verdecktsein der Rückerinnerlichkeit ihrer seelischen Vorzustände nur noch zu leicht und vielfach in die in der Seele, wenn auch noch so verborgen haftenden tierischen Begierden und Leidenschaften, frönen ihren Gelüsten, fallen von Gott ab und tun den Tieren gleich; um wieviel mehr würden sie das werden, so der Herr nicht höchstweisermaßen derlei Rückerinnerlichkeiten soviel als nur immer möglich verdeckt hätte!

05] Wie fingen die Israeliten als das erwählte Volk Gottes zu murren und zu toben an, als sie in der Wüste ihre ägyptischen vollen Fleischtöpfe vermißten! Das Manna aus den Himmeln Gottes mundete den in Ägypten schon zu sehr zum Tierischen zurückgekehrten Kindern Abrahams nicht, da doch durch den Genuß des Brotes ihr Leib seelischer und die Seele geistiger hätte werden können und sollen.

06] Wenn das durch Moses von der harten Knechtschaft Ägyptens befreite Volk Israel dazu noch die volle Rückerinnerlichkeit an die Seelenwerdungs und -bildungszustände besessen hätte, ich sage es dir: solche Menschen würden ärger geworden sein in der wütendsten Gefräßigkeit als alle reißenden Tiere und ärger um vieles denn eure Schweine, die, so sie hungrig werden, ihre Jungen nicht verschonen!

07] Wäre aber bei solch einem Zustande der Menschen wohl eine geistige Bildung und nachfolgende Einung einer so zertragenen und zerklüfteten Seele aus ihrem Denken, Erkennen und Wollen mit dem göttlichen Geiste jemals denkbar?

08] Du wirst aus dem von mir dir nun der vollsten und handgreiflichsten Wahrheit nach Gezeigten wohl begreifen, daß es dem Menschen, solange er noch auf dieser Erde mit der Einigung mit dem göttlichen Geiste materiell nach dem ihm geoffenbarten Willen Gottes und auch nach der vollen Freiheit seines eigenen Willens und Erkennens zu tun hat, sehr schädlich wäre, so er sich an alle seine Vorzustände des Befindens seiner Seele völlig klar rückerinnern könnte.

09] Werde du daher nach dem dir nun wohlbekannten und erkannten Willen des Herrn erst eins mit dem göttlichen Geiste in dir, werde selbst ein vollkommener Baumeister deiner selbst nach dem Willen des Herrn, dann wird es dir auch alsbald zu einem ganz hellen Bewußtsein werden, warum der weise und wohlkundige Erbauer einer großen und festen Burg sein früher unzusammenhängendes Baumaterial verständlich so und so geordnet hat, vom Größten bis zum Kleinsten, und es nachher zusammengefügt und verbunden hat zu einem großen, herrlichen und für ewig dauernden Ganzen.

10] Aber solange du in der besagten Baukunst selbst nicht durch und durch erfahren und bestkundig bist, da nützt dir dein noch so scharfes Besichtigen und teilweises Bekritteln eines großen Bauwerkes nichts, sondern es macht dich am Ende in allem irre.«



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