Jakob Lorber: 'Das große Evangelium Johannes', Band 9


Kapitelinhalt 192. Kapitel: Erscheinung einer Luftspiegelung (Fata Morgana).

01] Es meinte nun darauf unser Markus, da die Sonne bereits unter den Horizont zu sinken begann, ob es nicht gewisserart angezeigt wäre, sich nun, da auch in der herbstlichen Jahreszeit die Abende oft kühler werden, hinab ins Haus zu begeben.

02] Ich aber sagte: »Freund, dazu ist es noch um wenigstens eine halbe Stunde zu früh. Sorge dich ja nicht, ob für uns ein Abendmahl bereitet wird oder nicht; denn so wir ins Haus zurückkommen werden, da wird schon alles in Ordnung sein!

03] Hier auf dem Berge aber wird sich noch etwas zutragen, daß ihr euch darob höchlich verwundern werdet, und es wird das auf euer Herz und eure Seele eine beste Wirkung machen; darum aber heißt es hier noch eine gute halbe Stunde verweilen.

04] So die Sonne vollends untergegangen sein wird, so werdet ihr Mich loben und preisen, daß Ich euch solches offenbart habe. Von nun an aber verhaltet euch bis dahin in völliger Ruhe!«

05] Darauf wurde alles still und ruhig. Auch den Geistern in der Luft, in der Erde und in den Gewässern wurde von Mir im stillen geboten, sich völlig ruhig zu verhalten. Und so wurde es in der ganzen sichtbaren Natur derart völlig ruhig, daß sich nicht ein noch so leises Lüftchen irgend rührte, kein Vöglein irgend fliegend zu erschauen war und das Wasser des Sees so vollkommen ruhig war, daß man die den großen See umlagernden hohen Berge aus dem Spiegel des Meeres ebenso klar und ungetrübt zu Gesichte bekam wie von der Natur, was alle Anwesenden im hohen Grade entzückte, weil sie solch eine vollkommenste Ruhe des Sees zuvor wohl kaum je gesehen hatten.

06] Es hätten Mich gern einige gefragt, was solch eine noch nie erlebte vollkommenste Ruhe in der Natur wohl zu bedeuten habe. Aber weil Ich allen Anwesenden ohne Ausnahme die vollste Ruhe geboten hatte, so getraute sich niemand, seinen Mund zu öffnen. Auch im Hause unten, wie auch in der großen Badeanstalt war alles völlig ruhig geworden, obschon da niemand wußte, was ihn zu solch völlig tatloser Ruhe bewogen hatte. Auch unser Raphael, der sich in Meiner Nähe befand, verhielt sich derart ruhig wie eine Bildsäule.

07] Als es vollends dämmerlich zu werden begann und die Sterne nach und nach sichtbar wurden, da fingen in der ganz reinen und vollkommen ruhigen Luft an sich eine Menge bekannter, aber noch mehr unbekannter Gegenden, besonders am westlichen Himmel, zu zeigen. Man ersah, soweit das Auge reichte, die Küste des Mittelmeeres mit allen Ortschaften und Schiffen, und alle bemerkten, daß sich auch das große Mittelmeer in einer vollkommenen Ruhe befand. Ganz am westlichen Rande, wo die Sonne unterging, kam auch das getreue Bild der Sonne in einer sehr geröteten Färbung zum Vorschein, worüber sich alle Anwesenden bei sich höchlichst zu verwundern anfingen. Diese Erscheinungen wurden von Minute zu Minute lebhafter.

08] Als sich die Anwesenden schon sattsam diese Erscheinungen besehen hatten, da sagte Ich zu den Jüngern: »Nun urteilt ihr über diese Erscheinung, die zu gewissen Zeiten besonders in Ägypten und im wüsten Arabien sehr häufig zum Vorschein kommt, oft auch am hellen Tage, und die Menschen zu allerlei Aberglauben verleitet!«

09] Auf diese Meine Aufforderung sagten die Jünger: »Herr, es sind uns ähnliche Erscheinungen eben nicht völlig fremd; aber was sie so ganz eigentlich der vollen Wahrheit nach sind, und wie und warum sie entstehen, das hat, wie gar vieles andere, noch kein sterblicher Mensch ergründet.

10] Hier hast offenbar Du sie entstehen lassen, um uns auch über derlei Dinge die rechte Auskunft zu erteilen, auf daß wir bei derlei Vorkommnissen nicht in der Irre sein sollten; doch wie sie sonst in ähnlicher Weise entstehen, das weißt nur Du und Raphael.

11] Die Juden halten sie für prophetische Vorzeichen und für eine bedeutungsvolle und inhaltsschwere Zeichenschrift Jehovas, ähnlich der, die wir vor einiger Zeit auf dem Ölberge in der Nacht zu sehen bekamen.

12] Für was sie aber die Heiden halten, davon haben wir noch wenig vernommen, da wir uns mit ihrer Götterlehre nie befaßt haben. Da wir aber nun mehrere völlig bekehrte Heiden unter uns haben, so wollen diese nun auch ihre Ansicht und ihren Glauben über derlei Erscheinungen zum besten geben.«

13] Hier traten die am Morgen zuerst den allein wahren Gott suchenden und geheilten zwei Griechen vor Mich hin und sagten: »Herr und Meister! Die Fabel von der großen Hexe Morgana ist zu dumm, als daß wir es wagen könnten, sie hier wiederzugeben; denn wir selbst haben sie schon als Knaben verlacht, und so muß sie uns nun um so dümmer und lächerlichst erscheinen.

14] Aber wir hatten auf unseren weiten Reisen nicht nur oftmals die Gelegenheit, solche Erscheinungen - wenn auch nicht immer in dieser Ausdehnung - zu beobachten, sondern auch mit ganz tüchtigen Naturforschern und Weltkundigen darüber zu sprechen, und darunter war einer, der nach unserer Meinung den Nagel so ziemlich auf den Kopf getroffen zu haben scheint.

15] Dieser meinte, daß derlei Erscheinungen, so wie tausend andere, einen völlig natürlichen Grund haben und als sichere Vorboten von andern auf sie folgenden Erscheinungen zu betrachten und zu beachten sind, besonders für die Schiffer auf dem Meere und für die Karawanen durch große Sandwüsten. Da sie stets nur bei einer möglich größten Ruhe der auf der Erde lagernden Luft zum Vorschein kommen, so scheine es, als ob die ganze ruhige Luft in der Höhe der Wolkenregion gleich einer vollkommen ruhigen Wasserfläche abspiegelungsfähig würde, und wir bekämen dann von der hochstehenden und ruhigen Luftspiegelfläche von oft weiter Ferne sich da abspiegelnde Gegenden, Orte, Berge, Ströme, und eine Menge uns unbekannter Dinge zu Gesichte. Würde aber die Luft - was auf derlei Erscheinungen unausbleiblich zu geschehen pflegt - unruhig, und fingen Winde zu wehen an, dann vergingen auch alsbald derlei Erscheinungen, weil durch die stets heftiger werdende Luftströmung die Luft ihre Ruhe und mit ihr auch die Abspiegelungsfähigkeit gänzlich verlöre.

16] Ob nun diese Ansicht unseres Naturkundigen eine vollkommen wahre und richtige ist, das wissen wir nicht der vollen Wahrheit nach zu beurteilen; aber daß sie für den forschenden, helleren Menschenverstand noch als die allerwahrscheinlichste und begreifbarste erscheint, dessen sind wir völlig dadurch überzeugt, weil auf derlei Erscheinungen die Folgen stets sicher eintreffen.

17] Zugleich haben wir bei solchen Erscheinungen auch oft das bemerkt, daß die Abbilder auf dem seienden Luftspiegel umgekehrt zu sehen sind, und das bestätigt die Ansicht unseres Naturkundigen noch mehr; denn die Abbilder auf einer vollständig ruhigen Wasserfläche sind ja auch allzeit in einer verkehrten Richtung zu sehen, warum nicht auch auf einem Luftspiegel?

18] Das wäre nun denn auch unsere Ansicht über derlei Erscheinungen. Wer da von uns Jüngern eine bessere besitzt, der wolle sie vor uns aussprechen!«



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