Jakob Lorber: 'Das große Evangelium Johannes', Band 10


Kapitelinhalt 20. Kapitel: Jesus über die Hauptgründe der Mannigfaltigkeit der Schöpfung auf Erden.

01] Sagte Ich: »Mein Freund, in der natürlichen Weltansicht hast du freilich wohl ganz recht, und es ließe sich dir da wenig einwenden; aber in der rein seelischen und geistigen Beziehung, die dir bis jetzt noch völlig fremd ist, würdest du von Mir etwas verlangen, was ganz wider alle Ordnung auf dieser Erde ginge.

02] Siehe, auf einem Weltkörper, auf dem die Menschen die Bestimmung haben, vollendete Gotteskinder zu werden ihrer Seele und ihrem Geiste nach, muß alles also eingerichtet sein, wie es eben auf dieser Erde eingerichtet ist!

03] Dein Auge sieht und dein Verstand erkennt freilich nichts anderes als Gericht, Verfolgung, Raub, Mord, Tod, Verwesung und die Vergänglichkeit; aber dem ist nicht also, sondern ganz anders, als was du dir in dieser Sphäre einbildest.

04] Erstens ist die Trägheit als ein unvermeidbares Gerichtsanhängsel der Leibesmaterie für die stets wacher und tätiger werden sollende Seele, wodurch sie allein zur vollen Gleichwerdung des Geistes Gottes in ihr und dadurch zur Gottähnlichkeit gelangen kann, ihr größter Feind, und in je wärmeren Ländern die Menschen ihre Wohnungen aufgerichtet haben, desto mehr sind sie von diesem ersten Seelenfeinde bedroht.

05] Wären in solchen Ländern nicht allerlei dem Menschen lästige Tiere, und brauchte er nicht um die Nahrung seines Leibes zu sorgen, so würde er sich auch nicht um die Ausbildung der Seelenkräfte sorgen. Er würde bald einem Meerespolypen oder der Wurzel eines Baumes gleichen, die sonst nichts zu tun haben, als durch ihre organomechanische Einrichtung den ihnen entsprechenden Nährstoff aus dem Wasser, aus dem Erdreich und aus der Luft an sich zu saugen.

06] Siehe, das ist der erste Grund, warum dem Menschen auf dieser Welt allerlei Wecker zur verschiedenartigen Tätigkeit, zuerst des Leibes und daraus dann auch der Seele - was die Hauptsache ist - geschaffen worden sind!

07] Was aber den zweiten Grund betrifft, so kann diesen ein jeder Denker leicht von selbst finden. Stelle dir die Erde als eine ganz einförmige, große Weltkugel vor! Auf ihrem weitgedehnten Boden kämen nur ganz gleiche Bäche, Seen und Meere vor, keine Berge, außer dem Schafe kein anderes Tier, außer der Henne kein Vogel, und außer nur einer überall ganz gleichen Fischgattung kein anderes Wassertier, imgleichen entwachse dem Boden der Erde nur eine Grasart zur Nahrung des Schafes, ebenso nur eine Fruchtgattung zur Nahrung des Menschen und der Henne, dann auch eine Obstbaumart und eine Baumart zum Bau einer dürftigen Wohnhütte, und also bestehe auch nur eine überall gleiche Steinart, und ebenso auch nur eine Metallart, aus der sich die Menschen ein allernotdürftigstes Werkzeug für ihren Haushalt anfertigen könnten.

08] Sage es dir selbst, wieweit es auf solch einer Welt die Menschen mit der Erweiterung ihrer Begriffe, Ideen und Phantasien bringen würden und könnten!

09] Wie höchst mager es dabei mit der höheren und reiner werden sollenden Vernunft und dem Verstande aussehen würde, das brauche Ich dir nicht näher darzutun. Ich mache dich aber auf den sehr geringen seelisch-geistigen Bildungsstand jener auf dieser Erde lebenden Menschen aufmerksam, die solche Gegenden der Erde bewohnen, wo es weit und breit keine Berge gibt, nur hie und da ein einförmiges Gras aus dem Boden wächst nebst anderen mageren und verkümmerten Gesträuchen an den Ufern einiger unansehnlichen Bäche und pfützenartigen Seen.

10] Dir sind derlei Gegenden nicht unbekannt. Wie sieht es aber bei deren Bewohnern mit der Kultur des Geistes aus? Siehe, sie sind zum größten Teile ganz verwildert! Warum denn? Weil sie ob Mangels an der zur höheren Bildung der Seele nötigen, möglichst großen Mannigfaltigkeit der sie umgebenden Nebendinge und Geschöpfe zu keiner Erweiterung ihrer Begriffe, Ideen und für die Bildung der Vernunft und des Verstandes fruchtbaren Phantasie gelangen können.

11] Sieh dir aber dagegen Menschen an, deren Wohnland mit aller denkbaren Mannigfaltigkeit überreich ausgestattet ist, und du wirst sie auch gebildet finden, wennschon nicht in der Sphäre des innersten Seelen- und Geistlebens, so doch in der Sphäre des äußeren Verstandes, der Vernunft und der Phantasie, was bei einem Menschen doch da sein muß, so er zur höheren Bildung des inneren Seelen- und Geistlebens übergehen will! Denn willst du der herrlichen Aussicht wegen einen Berg besteigen, so muß fürs erste einmal ein Berg da sein, und ist er da, so mußt du beim Ersteigen des Berges dich nicht mit der halben Höhe begnügen - obschon sie dir auch schon eine sehr ausgedehnte Aussicht bietet -, sondern dir darüber hinaus die Mühe nehmen, auch die höchste Spitze zu ersteigen, um von ihr aus auch die vollste Aussicht zu genießen.

12] So sollen auch die Menschen, deren Vernunft, Verstand und Phantasie einmal eine reichliche Bildung innehaben, sich nicht mit dieser halben Lebenshöhe begnügen, sondern derselben volle Höhe zu erreichen sich bemühen.

13] Was Ich dir damit sagen will, wirst du wohl verstehen. Und da hast du den zweiten Grund, aus dem Gott diese Erde mit einer derartig großen Mannigfaltigkeit an Dingen, Geschöpfen und Erscheinungen ausgestattet hat, von der du bei aller deiner alexandrinischen Bildung bis jetzt kaum die erste Linie des kleinen Alpha kennst.«



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