Jakob Lorber: 'Das große Evangelium Johannes', Band 10


Kapitelinhalt 89. Kapitel: Der Dank der Priester.

01] Als der Wein ihnen die Zungen regsamer gemacht hatte, da fingen sie untereinander an, über allerlei ihnen bekannte Weise aus der Vorzeit zu reden und zu urteilen, und waren bald dieser und bald wieder einer andern Meinung. Am Ende kamen sie denn auch auf die jüdischen Weisen und Propheten, und der erste Priester wußte vieles von Moses und Jesajas, die er für die zwei größten Weisen der Juden hielt; nur gefiel ihm die oft zu verhüllte Sprache nicht, und er meinte, daß das überhaupt ein Fehler der meisten alten Weisen wäre, daß sie selten ganz klar und offen vor dem Volke geredet und geschrieben hätten, und daß gar viele Irrtümer eben dadurch ins Volk übergegangen seien, was bei einer klaren und unverhüllten Redeweise niemals hätte stattfinden können.

02] Als sie noch also untereinander redeten, gab Ich dem Jakobus M. (Major = Älteren) einen Wink, daß er den irrig Urteilenden eine rechte Aufhellung geben solle; denn dieser Jünger war in dem Fache schon ganz wohl bewandert und verstand die Entsprechungen zwischen den geistigen und natürlichen Dingen wohl.

03] Er ging darum zu den Priestern der Heiden hin, grüßte sie und fing an, ihnen die Gründe kundzugeben, warum Moses und also auch die andern Weisen und Propheten nur so wie sie gerade geredet und geschrieben haben und nicht anders haben reden und schreiben können.

04] Die Priester und auch die Bürger hatten das bald aufgefaßt und recht wohl begriffen und lobten daher sehr den Jünger und gaben Mir die Ehre und einen rechten Dank, daß Ich auch einem Menschen eine so tiefe Einsicht in die rein göttlichen Dinge gegeben habe.

05] Darauf ging der Jünger wieder an seinen Platz, und die Heidenpriester und die bei ihnen seienden Bürger urteilten nun ganz anders über die Rede- und Schreibweise der alten Weisen und brachten viele gute Dinge zum Vorschein, über die sich auch unser Hauptmann recht sehr verwunderte, sich auch zu ihnen begab und mit ihnen zu reden begann und ihnen auch so manches, was er von Mir wußte, ganz offen kundgab, worüber die Heidenpriester und anwesenden Bürger eine größte Freude an den Tag legten.

06] Es ward ihnen vom Hauptmanne auch die wahre Gestalt der Erde, die Art ihrer Bewegung und ihre Größe, sowie auch der Mond, die Sonne, die, Planeten und die andern Gestirne in Kürze so faßlich als möglich dargestellt, und die Unterrichteten hatten darüber eine große Freude.

07] Und einer sagte: »Wenn sicher also und nicht anders, in wie vielen Irrtümern sind da eine Unzahl von Menschen noch tiefst begraben, und wann wird es bei ihnen auch darin licht und helle werden?«

08] Und der Hauptmann sagte: »Freunde, das überlassen wir allein dem Herrn; denn Er allein weiß es am allerbesten, in welcher Zeit Er einem Volke in allen Dingen ein größeres Licht zu geben hat! Von nun an aber wird das rechte und hellste Licht nach Seinem Willen schon in der Eile unter die Menschen, die eines guten Willens sind, verbreitet werden, und wir selbst werden bei diesem Geschäft unsere Hände nicht in den Schoß der Trägheit legen!«

09] Sagten alle: »Wahrlich, das werden wir nimmer; denn nun wissen wir es in aller Wahrheit, was wir zu tun haben, und für wen und warum!

10] O der langen Geistesnacht, die schon unsere Urväter und nun auch uns mit ehernen Banden gefangenhielt! Dem Herrn und allein wahren Gott ohne Anfang und Ende, in dem alle Mächte und Kräfte vereint sind, alle Ehre, alles Lob und allen Dank, daß Er Sich so tief herabgewürdigt hat, Selbst Fleisch und Blut anzuziehen, um uns aus der alten Nacht des Todes zu erlösen! Denn ein Mensch, der in allen Dingen und Erscheinungen, die ihn umgeben, in der größten Irre und vollsten Geistesblindheit sich befindet, ist am Ende, beim rechten Lichte betrachtet, ja um vieles ärger daran als jedes Tier und ist so gut wie tot anzusehen.

11] Aber wenn er im Geiste erweckt wird, dann erst wird er lebendig und steht mit seiner reinen Gotteserkenntnis und -liebe hoch erhaben über aller andern materiellen Kreatur.

12] Bis jetzt war unser Leben nur ein eitler Traum, in dem der Träumende wohl auch ein verworrenes Dasein fühlt, sich aber von nichts eine wahre Rechenschaft geben kann, daher auch nichts einsieht und der Wahrheit nach begreift.

13] Aber unser Traumzustand hat nun durch die Gnade des Herrn ein Ende genommen, wir sind wach geworden und leben nun in der Wirklichkeit. Und welch eine Seligkeit ist da das Leben, in dem man zum vollen Bewußtsein gelangt, daß man wirklich und wahrhaft lebt und das Leben auch nicht mehr verlieren kann, so man in Dem verbleibt in der rechten Liebe, der ewig das Urleben alles Lebens Selbst ist ohne Anfang und Ende. Oh, wie glücklich fühlen wir uns schon jetzt in der vollen Gegenwart Gottes, des ewigen Herrn über alle Dinge, obschon uns noch des Leibes Schwere und Gericht drückt; wie endlos glücklich aber werden wir uns erst dann fühlen, so uns der Herr bald auch von dieser Bürde erlösen wird!

14] Doch zuvor sollen noch möglichst viele unserer armen Mitbrüder durch uns auch zum Leben des Geistes aus ihrem Todesschlaf und eitlen Traum erweckt werden; denn was uns nun gar so selig gemacht hat, das soll in der Folge gar viele tausendmal Tausende von Menschen durch unsere Mühe ebenso selig machen!«

15] Auf diese gute Rede wurde der Redner selbst ganz gerührt und konnte vor Tränen nicht mehr weiterreden.



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