Jakob Lorber: 'Die geistige Sonne' (Band 1)


Kapitelinhalt 40. Kapitel: Wo sind drüben die Heiden?

(Am 20. Januar 1843 von 4 1/2 bis 6 1/2 Uhr Abends.)

Originaltext 1. Auflage 1870 durch Project True-blue Jakob Lorber

Text nach 6. Auflage 1975 Lorber-Verlag

01] Daß es in der euch jetzt schon überaus gut bekannten abendlichen Nachtgegend noch eine Menge, ja eine zahllose Menge von ähnlichen Scenen giebt, die wir bis jetzt her haben kennen gelernt, braucht kaum noch einmal erwähnt zu werden.

02] - So da Jemand fragen möchte: Wo sind denn die Ankömmlinge aus dem Heidenthume? so sage ich euch, daß dieselben zwar auch in dieser Gegend zu allermeist anlangen; dessen ungeachtet aber sind hier solche Anlandungsplätze von einander schroff unterschieden, und kann in diesem Zustande sich ein Heide nicht nahen demjenigen Theile, in welchem von was immer für einer Sekte Christgläubige anlangen.

03] Solche Unterscheidungen finden sogar in der Hölle statt, und es ist nirgends, wie ihr glaubet, Alles wie Kraut und Rüben unter einander geworfen; denn solche Unterscheidungen sind im höchsten Grade nöthig. Würden solche Geister zusammen gelassen werden, so würden sie sich zufolge ihrer innersten Bosheit also sehr verderben, daß ihnen da auf keinem Wege, außer auf dem der gänzlichen Vernichtung beizukommen wäre.

03] Denn ihr müßt euch die Sache völlig so vorstellen, wie es da giebt auf der Erde verschiedene Elemente, die fortwährend sich zerstörend feindlich gegen einander verhalten. Also giebt es auch in der geistigen Sphäre ebenfalls solche Grundelemente, die sich nicht berühren dürfen; denn würden sie miteinander in Berührung kommen, so würden in der geistigen Sphäre ähnliche Effecte zum Vorschein kommen, als wenn ihr auf der Welt Feuer und dürres Stroh zusammen thätet, oder Feuer und euer Schießpulver, oder wenn ihr möchtet Wasser kommen lassen über ein aus Thon aufgeführtcs Gebäude. Darum also sind in der Geisterwelt, da keinem Geiste mehr ein Hinterhalt möglich, solche Unterschiede allerstrengst nothwendig.

05] So aber Jemand fragen möchte: wie sieht es denn dessen ungeachtet auf dem Auslandungsplatze heidnischer Geister aus? - so sei ihm darauf gesagt, daß es nicht geheuer ist für einen christlichen Geist, solche Plätze zu brauchen mit was immer für einem Geiste.

06] Es müßte nur der Herr Jemanden unmittelbar Selbst führen und leiten; sonst aber würde es für Jeden mehr gefährlich als ersprießlich sein, solche Plätze zu besuchen.

07] Wir aber wollen uns dafür, bevor wir uns noch in den Mittag begeben, noch zu unserem geretteten Manne begeben, und sehen, was er da thut und wie es mit seiner gegenwärtigen Anstellung aussieht. - Und sehet, unsere Wand steht schon wieder offen, und so wollen wir alsogleich diese Gelegenheit benutzen und uns durch die Spalte alsogleich an die äußerste Grenze des Kinderreiches verfügen. - Sehet, hier sind wir schon; die Wand hat sich hinter uns wieder geschlossen, und wir wollen uns alsogleich jetzt in das sehr enge Thal, das da neben der Wand gegen Mittag steht, verfügen. - Also geht nur recht hurtig mit mir!

08] Seht dort im tiefen Hintergrunde einen moorigen und feuchten Winkel, und ganz im Hintergrunde dieses Winkels eine ganz gemeine Art hölzerner Hütte, um welche es in diesem von hohen Felsen eingeschlossenen Winkel ziemlich dunkel ist. Dahin wollen wir uns verfügen; denn dort ist unser Mann placirt.

09] Ihr fraget zwar: Warum denn in solch' einer gar einsichtigen Einöde, und dazu noch in einem so moorigen und feuchten Winkel? - Meine lieben Freunde, mit solchen mühevoll aus der Hölle geretteten Geistern kann es Anfangs unmöglich besser gehalten werden, weil solche Menschen in der Hölle doch stets mehr oder weniger eben von der Hölle Etwas in sich aufgenommen haben, welches da gleichlautend ist dem Feuer der Hölle, und spricht sich stets mehr oder weniger aus in einer nothgedrungenen selbstsüchtigen Begierlichkeit; denn Solches hat ja bekanntlich jede Noth in sich eigenthümlich, daß sie selbst mehr oder weniger die Selbstsucht zur steten Begleiterin hat. - Wer in der Gefahr ist, der vergißt gewöhnlich auf Alles, und ist nur für seine eigene Rettung bedacht. Der Arme bettelt nur für sich, und der Kranke sucht für sich ein heilendes Mittel. Wer in's Wasser fällt, der sucht sich zu retten; und über dessen Haupte die Flammen schon zusammenschlagen, der ergreift gewöhnlich nur sich selbst, und sucht dem verheerenden Elemente zu entfliehen: Erst wenn er selbst in Sicherheit ist, gedenkt er Anderer, die mit ihm ein gleiches Loos hotten.

10] Also ist dieser Ort ja ganz zweckmäßig für unseren Mann; der feuchte Boden wird dazu taugen, um sein selbstsüchtiges Feuer zu dämpfen, und die ziemlich große Dunkelheit wird seinen an die dichteste Finsterniß gewöhnten Augen eben auch sehr heilsam sein; denn ein plötzliches starkes Licht würde eben so verderblich auf ihn einwirken, als wenn man die Augen eines jüngst gebornen Kindes alsbald den grellen Sonnenstrahlen aussetzen würde. Ueberdieß aber geht diese seine Habseligkeit auch genau mit der Zinsrechnung zusammen, und zwar von dem Kapitale, welches er als Christ aus Glauben und Liebe zum Herrn den eigentlichen Armen hat zukommen lassen. - Ihr müßt darunter nicht etwa die euch schon bekannten Legate verstehen, welche er bei seinem Uebertritte aus der Welt in's Geistige angeordnet hatte, sondern diejenigen Spenden nur, welche er ganz geheim für sich aus eigenem Mitleidsgefühle und als gläubiger Christ an die Armen verabfolgt hat. Solches Capital aber dürfte sich in summa summarum kaum auf etwas über zweihundert Gulden Silbermünzc belaufen haben. Wenn ihr dieses Capital, welches er eigentlich aus Liebe zum Herrn den Armen gegeben hatte, vergleichet mit dem großen Kapitale, welches er den Seinigen hinterließ, so werdet ihr auch den mathematisch richtigen Vergleich finden zwischen seiner Eigenliebe und der Liebe zum Herrn.

11] Auch solche verpflegliche Sorge für die Kinder ist Eigenliebe; denn wer den Herrn mehr lieben würde, als sich selbst in seinen Kindern, der würde auch gleichen Maßes den Herrn mehr bedacht haben, als sich selbst in seinen Kindern. - Ihr fraget: Warum denn? - Weil ihm der Herr dadurch die innere Erkenntniß verleihen würde, der zufolge er sonnenklar eingesehen hätte, daß der Herr für seine Kinder um's Unendlichfache besser sorgen kann, und sie auch besser versorgen würde, als er sich in seinen Kindern eigenliebig selbst und seine Kinder versorgt hat; denn der Herr hat nicht gesagt: Was ihr euren Leibeskindern thun werdet, das habt ihr Mir gethan, - sondern Er hat da der Armen, Nackten, Hungrigen, Durstigen und Gefangenen nur gedacht, und sagte dann: was ihr Diesen gethan habt, das habt ihr Mir gethan.


12] Er hat auch nicht gesagt: Wenn ihr eure eigenen Kinder in Meinem Namen aufnehmet, so habt ihr Mich aufgenommen, - sondern Er hat Solches nur bei einer Gelegenheit gesagt, da viele Arme ihre noch ärmeren Kinder zu Ihm gebracht haben: „Wahrlich, wer ein solches armes Kind in Meinem Namen aufgenommen hat, der hat Mich aufgenommen."

13] Und noch ferner spricht der Herr: „Wer da seinen Vater, seine Mutter, sein Weib, seinen Bruder, seine Kinder mehr liebt denn Mich, der ist Meiner nicht werth."

14] Es möchte hier wohl so Mancher sagen: Solches Alles hat ja nur einen tiefen geistigen Sinn; - o ja, sage ich, sicher den allertiefsten, weil es ein allerreinstes und unmittelbares Wort Gottes ist. - Ich frage aber dabei: Warum sucht ihr das Gold nicht auf der Oberfläche der Erde, sondern grabet tiefe Schachten und weitlaufende Stollen? - Ihr saget: Wie ist Solches zu verstehen? - Ich sage euch: Nichts leichter, als das; wer zum Golde gelangen will, muß die äußere Erde nicht unbeachtet lassen, sondern muß dieselbe durchbrechen, und erst durch eben diese äußere Erdkruste zu der innern Goldlagerung gelangen. Also muß auch des göttlichen Wortes Buchstabensinn zuvor vollkommen beachtet werden, bevor man den geistigen überkommen kann, freilich wohl im rechten und zweckmäßigen Verstande.

15] Wenn ihr aber nun unsern Mann betrachtet, so werdet ihr finden, daß er nahe über eine Million Eigenliebe, und nur um etwas über zweihundert Gulden Liebe zum Herrn mitgebracht hat. Dieß ist wohl ein klägliches Verhältniß; - nun aber hat er um die Zinsen dieses Capitals genau ausgemessen, wie ihr sehet, seine Behausung hier. - Es wird sich demnach zeigen, wie er dieses Capital verwenden wird; es wird nicht fehlen, daß ihn von der entgegengesetzten Seite gar armselige Wesen besuchen und um Unterstützung anflehen werden. Wird er nach seinen Kräften Alles aufbieten, um solche arme Brüder so viel, als es ihm nur immer möglich ist, nothdürftigst zu versorgen, so wird sein kleines Capital sich bald um's Zehnfache, ja um's Hundertfache vergrößern, und er wird dadurch auf bessere Orte gestellt werden, aber nicht eher leichtlich auf dem geordneten Wege zum Herrn gelangen, als bis sein hier erworbenes Capital um's Zehnfache größer wird, als das er seinen Kindern oder seiner Eigenliebe hinterlassen hat. Dessen ungeachtet aber sind auch hier außerordentliche Fälle möglich; diese müssen also geartet sein, wie ihr gleich Anfangs ein Beispiel gesehen habt, - d. h. wenn einer Alles hergiebt, was er hat, und dabei noch mit all' seiner Kraft sorgt für die Unterstützung seiner Brüder, so ist bei einer solchen Gelegenheit auch eine sehr baldige und gänzliche Erlösung aus diesem Orte möglich. Denn in diesem Falle gleicht dann ein solcher Menschengeist demjenigen Weibe, welches in dem Tempel opferte, während auch Andere opferten. Das Wejb gab zwar das geringste Opfer im Vergleich mit den Andern; der Herr aber fragte, wer da unter all' den Opfernden am meisten geopfert habe? - Und man sagte: Siehe, Dieser und Jener; Er aber entgegnete : Dieses Weib hat das größte Opfer dargebracht; denn sie gab Alles, was sie hatte.

16] Sehet, also ist hier eine vollkommen gerechte und von der großen Liebe und Erbarmung des Herrn abgeleitete Läuterungsschule zum ewigen Leben.

17] Da wir nun solches Alles haben kennen gelernt, welches von Jedermann wohl zu beachten ist, so können wir nun füglicher Maßen diese Gegend verlassen, und uns gegen Mittag begeben. - Ihr fraget zwar um den Weg; ich aber sage euch: Sorget euch dessen nicht; wir wollen bei diesem Uebergange nicht so viel Säumens machen, als wir Solches hierher gethan haben, sondern wir werden uns wahrhaft geistigen Weges machen, und daher auch auf Eins dort sein, wo wir sein wollen. Es wären zwar wohl auf dem Wege dahin noch so manche Abstufungen zu berücksichtigen; da sie aber denen völlig gleichen, die wir schon passirt sind, so dürft ihr euch nur alles Dessen, was ihr bisher geschaut habt, recht wohl erinnern, so werdet ihr alle diese Uebergänge, die von dieser Gegend in den Mittag führen, leicht beschaulich errathen können.

18] Das große Gewässer bildet eine Hauptzwischenlinie, welche auf gewöhnlichem Wege nicht überschritten werden kann; denn dieses große Gewässer bezeichnet den großen Grad der Weisheit, welche dazu erforderlich ist, um in den Mittag zu gelangen. Daher müssen die in den Mittag Uebergehenden in dem Feuer der Liebe überaus stark werden, damit ihnen ein ähnlicher Grad der Weisheit wird, wie Solches das große Gewässer bezeichnet. - Da wir nun auch Dieses wissen, so wollen wir uns für's nächste Mal, wie schon gesagt, ohne weiteren Rückblick auf Eins in den glänzenden Mittag begeben; - und somit gut für heute!

01] Daß es in der euch jetzt schon überaus gut bekannten abendlichen Nachtgegend noch eine Menge, ja eine zahllose Menge von Szenen gibt, ähnlich denen, die wir bis jetzt haben kennen gelernt, braucht kaum noch einmal erwähnt zu werden.

02] So da jemand fragen möchte: Wo sind denn die Ankömmlinge aus dem Heidentume? so sage ich euch, daß diese zwar auch in dieser Gegend zuallermeist anlangen; dessen ungeachtet aber sind hier solche Anlandungsplätze voneinander schroff geschieden, und es kann in diesem Zustande sich ein Heide nicht demjenigen Teile nahen, in welchem von was immer für einer Sekte Christgläubige anlangen.

03] Solche Unterscheidungen finden sogar in der Hölle statt, und es ist nirgends, wie ihr glaubt, alles wie Kraut und Rüben untereinandergeworfen; denn solche Unterscheidungen sind im höchsten Grade nötig. Würden solche Geister zusammengelassen werden, so würden sie sich zufolge ihrer innersten Bosheit so sehr verderben, daß ihnen auf keinem Wege, außer auf dem der gänzlichen Vernichtung, beizukommen wäre.

04] Ihr müßt euch die Sache so vorstellen, wie es auf der Erde verschiedenartige Elemente gibt, die sich fortwährend zerstörend feindlich gegeneinander verhalten, so gibt es auch in der geistigen Sphäre ebenfalls solche Grundelemente, die sich nicht berühren dürfen. Würden sie miteinander in Berührung kommen, so würden in der geistigen Sphäre ähnliche Effekte zum Vorschein kommen, als wenn ihr auf der Welt Feuer und dürres Stroh zusammentätet oder Feuer und euer Schießpulver, oder wenn ihr möchtet Wasser kommen lassen über ein aus Ton aufgeführtes Gebäude. Darum sind in der Geisterwelt, wo keinem Geiste mehr ein Hinterhalt möglich ist, solche Unterschiede allerstrengst notwendig.

05] So aber jemand fragen möchte: Wie sieht es dessen ungeachtet auf dem Anlandungsplatze heidnischer Geister aus? so sei ihm darauf gesagt, daß es für einen christlichen Geist nicht geheuer ist, solche Plätze zu besuchen mit was immer für einem Geiste.

06] Es müßte nur der Herr jemanden unmittelbar Selbst führen und leiten; sonst aber würde es für jeden mehr gefährlich als ersprießlich sein, solche Plätze zu besuchen.

07] Wir aber wollen uns dafür, bevor wir uns in den Mittag begeben, noch zu unserem geretteten Manne begeben und sehen, was er da tut und wie es mit seiner gegenwärtigen Anstellung aussieht. Und seht, unsere Wand steht schon wieder offen, und so wollen wir sogleich diese Gelegenheit benutzen und uns durch die Spalte an die äußerste Grenze des Kinderreiches verfügen. - Seht, hier sind wir schon; die Wand hat sich hinter uns wieder geschlossen, und wir wollen uns jetzt in das sehr enge Tal, das neben der Wand gegen Mittag geht, verfügen. - Also geht nur recht hurtig mit mir!

08] Seht dort im tiefen Hintergrunde einen moorigen und feuchten Winkel und ganz im Hintergrunde dieses Winkels eine gemeine Art hölzerner Hütte, um welche es in diesem, von hohen Felsen eingeschlossenen Winkel ziemlich dunkel ist. Dahin wollen wir uns verfügen; denn dort ist nun unser Mann plaziert.

09] Ihr fragt zwar: Warum denn in solch einer einschichtigen Einöde und dazu noch in einem so moorigen und feuchten Winkel? - Meine lieben Freunde, mit solchen mühevoll aus der Hölle geretteten Geistern kann es anfangs unmöglich besser gehalten werden, weil solche Menschen in der Hölle doch stets mehr oder weniger eben von der Hölle etwas in sich aufgenommen haben, welches da gleichlautend ist dem Feuer der Hölle. Es spricht sich stets mehr oder weniger aus in einer notgedrungenen selbstsüchtigen Begierlichkeit, denn solches hat ja bekanntlich jede Not in sich eigentümlich, daß sie mehr oder weniger die Selbstsucht zur steten Begleiterin hat. Wer in der Gefahr ist, der vergißt gewöhnlich alles und ist nur auf seine eigene Rettung bedacht. Der Arme bettelt nur für sich, und der Kranke sucht nur für sich ein heilendes Mittel. Wer ins Wasser fällt, der sucht sich zu retten; und über dessen Haupte die Flammen schon zusammenschlagen, der ergreift gewöhnlich nur sich selbst und sucht dem verheerenden Elemente zu entfliehen. Erst wenn er selbst in Sicherheit ist, gedenkt er anderer, die mit ihm ein gleiches Los hatten.

10] So ist dieser Ort ja ganz zweckmäßig für unseren Mann. Der feuchte Boden wird dazu taugen, um sein selbstsüchtiges Feuer zu dämpfen, und die ziemlich große Dunkelheit wird seinen an die dichteste Finsternis gewöhnten Augen eben auch sehr heilsam sein. Ein plötzliches starkes Licht würde ebenso verderblich auf ihn einwirken, als wenn man die Augen eines jüngst geborenen Kindes alsbald den grellen Sonnenstrahlen aussetzen würde. Überdies aber geht diese seine Habseligkeit auch genau mit der Zinsrechnung zusammen, und zwar von dem Kapitale, welches er als Christ aus Glauben und Liebe zum Herrn den eigentlichen Armen hat zukommen lassen. - Ihr müßt darunter nicht etwa die euch schon bekannten Legate verstehen, welche er bei seinem Übertritte aus der Welt ins Geistige angeordnet hat, sondern diejenigen Spenden nur, welche er ganz geheim für sich aus eigenem Mitleidsgefühle und als gläubiger Christ an die Armen verabfolgt hat. Solches Kapital aber dürfte sich in summa summarum kaum auf etwas über zweihundert Gulden Silbermünze belaufen haben. Wenn ihr dieses Kapital, welches er eigentlich aus Liebe zum Herrn den Armen gegeben hatte, vergleicht mit dem großen Kapitale, welches er den Seinigen hinterließ, so werdet ihr auch den mathematisch richtigen Vergleich finden zwischen seiner Eigenliebe und der Liebe zum Herrn.

11] Auch solche verpflegliche Sorge für die Kinder ist Eigenliebe; denn wer den Herrn mehr lieben würde, als sich selbst in seinen Kindern, der würde auch gleichen Maßes den Herrn mehr bedacht haben als sich selbst in seinen Kindern.
Ihr fragt: Warum denn? - Weil ihm der Herr dadurch die innere Erkenntnis verleihen würde, derzufolge er sonnenklar eingesehen hätte, daß der Herr für seine Kinder ums Unendlichfache besser sorgen kann und sie auch besser versorgen würde, als er sich in seinen Kindern eigenliebig selbst und seine Kinder versorgt hat. Denn der Herr hat nicht gesagt: Was ihr euren Leibeskindern tun werdet, das habt ihr Mir getan, sondern Er hat da der Armen, Nackten, Hungrigen, Durstigen und Gefangenen nur gedacht und sagte dann: »Was ihr diesen getan habt, das habt ihr Mir getan.«

12] Er hat auch nicht gesagt: Wenn ihr eure eigenen Kinder in Meinem Namen aufnehmt, so habt ihr Mich aufgenommen, sondern Er hat bei einer Gelegenheit solches nur gesagt, da viele Arme ihre noch ärmeren Kinder zu Ihm gebracht haben: »Wahrlich, wer ein solches armes Kind in Meinem Namen aufgenommen hat, der hat Mich aufgenommen.«

13] Und noch ferner spricht der Herr: »Wer da seinen Vater, seine Mutter, sein Weib, seinen Bruder, seine Kinder mehr liebt denn Mich, der ist Meiner nicht wert.«

14] Es möchte hier wohl so mancher sagen: Solches alles hat ja nur einen tiefen, geistigen Sinn; - o ja, sage ich, den allertiefsten, weil es ein allerreinstes und unmittelbares Wort Gottes ist. Ich frage aber dabei: Warum sucht ihr das Gold nicht auf der Oberfläche der Erde, sondern grabt tiefe Schächte und weitlaufende Stollen? - Ihr sagt: Wie ist solches zu verstehen? Ich sage euch: Nichts leichter als das; wer zum Golde gelangen will, muß die äußere Erde nicht unbeachtet lassen, sondern muß dieselbe durchbrechen, und erst durch diese äußere Erdkruste zu der innern Goldlagerung gelangen. Also muß auch des göttlichen Wortes Buchstabensinn zuvor vollkommen beachtet werden, bevor man den geistigen überkommen kann, freilich wohl im rechten und zweckmäßigen Verstande.

15] Wenn ihr aber nun unsern Mann betrachtet, so werdet ihr finden, daß er nahe über eine Million Eigenliebe und nur um etwas über zweihundert Gulden Liebe zum Herrn mitgebracht hat. Dies ist wohl ein sehr klägliches Verhältnis. Nun aber hat er um die Zinsen dieses Kapitals genau ausgemessen, wie ihr seht, seine Behausung hier. Es wird sich demnach zeigen, wie er dieses Kapital verwenden wird; es wird nicht fehlen, daß ihn von der entgegengesetzten Seite gar armselige Wesen besuchen und um Unterstützung anflehen werden. Wird er nach seinen Kräften alles aufbieten, um solche arme Brüder soviel, als es ihm nur immer möglich ist, notdürftigst zu versorgen, so wird sein kleines Kapital sich bald ums Zehnfache, ja ums Hundertfache vergrößern, und er wird dadurch auf bessere Orte gestellt werden. Aber er wird nicht eher auf dem geordneten Wege zum Herrn gelangen, als bis sein hier erworbenes Kapital ums Zehnfache größer wird, als das er seinen Kindern oder seiner Eigenliebe hinterlassen hat. Dessen ungeachtet sind auch hier außerordentliche Fälle möglich; diese müssen aber also geartet sein, wie ihr gleich anfangs ein Beispiel gesehen habt; d. h. wenn einer alles hergibt, was er hat, und dabei noch mit all seiner Kraft sorgt für die Unterstützung seiner Brüder, so ist bei einer solchen Gelegenheit auch eine sehr baldige und gänzliche Erlösung aus diesem Orte möglich. Denn in diesem Falle gleicht dann ein solcher Menschengeist demjenigen Weibe, welches in dem Tempel opferte, während auch andere opferten. Das Weib gab zwar das geringste Opfer im Vergleich mit den andern; der Herr aber fragte, wer da unter all den Opfernden am meisten geopfert habe? Und man sagte: Siehe, dieser und jener. Er aber entgegnete: Dieses Weib hat das größte Opfer dargebracht; denn es gab alles, was es hatte.

16] Seht, also ist hier eine vollkommen gerechte und von der großen Liebe und Erbarmung des Herrn abgeleitete Läuterungsschule zum ewigen Leben.

17] Da wir nun solches alles haben kennengelernt, was von jedermann wohl zu beachten ist, so können wir nun füglichermaßen diese Gegend verlassen und uns gegen den Mittag begeben. - Ihr fragt zwar um den Weg; ich aber sage euch: Sorgt euch dessen nicht; wir wollen bei diesem Übergange nicht so viel Säumens machen, als wir solches hieher getan haben, sondern wir werden uns wahrhaft geistigen Weges aufmachen und daher auch auf eins dort sein, wo wir sein wollen. Es wären zwar wohl auf dem Wege dahin noch so manche Abstufungen zu berücksichtigen; da sie aber denen völlig gleichen, die wir schon passiert haben, so dürft ihr euch nur alles dessen, was ihr bisher geschaut habt, recht wohl erinnern, so werdet ihr alle diese Übergänge, die von dieser Gegend in den Mittag führen, leicht beschaulich erraten können.

18] Das große Gewässer bildet eine Hauptzwischenlinie, welche auf gewöhnlichem Wege nicht überschritten werden kann; denn dieses große Gewässer bezeichnet den großen Grad der Weisheit, welche dazu erforderlich ist, um in den Mittag zu gelangen. Daher müssen die in den Mittag übergehenden in dem Feuer der Liebe überaus stark werden, damit ihnen ein ähnlicher Grad der Weisheit wird, wie solches das große Gewässer bezeichnet. - Da wir nun auch dieses wissen, so wollen wir uns fürs nächste Mal, wie schon gesagt, ohne weiteren Rückblick auf eins in den glänzenden Mittag begeben. - Und somit gut für heute!

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