Jakob Lorber: 'Die Haushaltung Gottes', Band 2


Kapitelinhalt 126. Kapitel: Abedams Weckruf an den gleichgültigen Enos. Vom Zweck des menschlichen Daseins.

01] Nach dieser Dank- und Preisrede Henochs aber berief der hohe Abedam den Enos zu Sich und sagte zu ihm: »Enos, so du Meines lieben Henoch Preisworte vernommen hast, die da vollkommen gut und wahr sind von der ersten Silbe bis zur letzten, sage Mir: haben diese in dir denn kein höheres Lebensbedürfnis geweckt denn nur das, daß du schweigst in einem fort wie ein Gebirgsscheitelstein im ruhigen Lichte des Mondes?!

02] Siehe, da gibt es beinahe keinen, der da in seines Lebens Sphäre also unbekümmerlich fortlebte gleich dir und fände in dieser Meiner sichtbaren Gegenwart nichts, darüber ihm ein höheres Licht nötig wäre!

03] Ich sage dir aber nun: Siehe, jetzt gründe Ich Mir eine Wohnung auf der Erde; aus Steinen und Mörtel soll sie errichtet sein auf der Höhe für alle Zeiten der Zeiten.

04] Wer da jetzt empfängt ein Amt dem wird es bleiben fürder hier und dort; wer aber nun so ganz unbekümmert daneben einhergeht, wo das Leben weht, vor dem auch wird das Leben vorüberwehen, und dann wird's matt um seine Lebensgeister stehen!

    05] Darum erhebe dich jetzt und frage

    Aus dieser deiner lauen Lage,

    Damit auch dir die Antwort werde,

    Die not dir tut auf dieser Erde!

    Doch nimm dies Wort nicht also auf,

    Als zwäng' es dich zum Lebenslauf

    In deinem Herzen mußt du es finden

    Und Mir es alsdann frei verkünden!

    Willst aber lieber stumm du bleiben,

    Dir mit dem Schlaf die Zeit vertreiben,

    So tue, wie's dir mag behagen

    Und brauchst um nichts Mich dann befragen!«

06] Auf diese etwas sonderbare Aufforderung fing der Enos an, gewaltig zu stutzen, und wußte nicht, was er sobald darauf sagen sollte.

07] Er trat zwar wohl alsbald dem Abedam näher, aber je mehr er sich abmühte, desto mehr auch wurde er in sich verwirrter und konnte darum keinen Gegenstand finden, darüber er eine würdige Frage hätte aufstellen können.

08] Da er aber eine Weile also stumm dastand und nichts über seine Lippen zu bringen vermochte, da erhob Sich alsbald der hohe Abedam wieder, ging zum Enos hin und fragte ihn:

09] »Enos, siehst denn du wirklich den Wald vor lauter Bäumen nicht?! Soll Ich dir denn eine Frage in das Herz und endlich sogar in den Mund schieben?!

10] Höre, Ich will es tun - und sage dir: Frage Mich, warum du nun da bist, - und Ich will dir gehörig antworten! Amen.«

11] Hier erst faßte sich der Enos und fragte, im vollen Ernste dann sagend: »O Du Allerhöchster, welch eine bessere Frage hätte ich armseliger Mensch auch je finden sollen und können, als gerade diese da ist, welche Du mir soeben kundgabst: und so frage ich Dich denn auch Deinem Willen gemäß, nämlich: Warum bin ich denn da?

12] O Du Allerhöchster, Du heiliger Vater, wenn es Dein allerheiligster Wille wäre, könntest Du mir solches ja wohl kundgeben!«

13] Und der Abedam sagte darauf zu ihm: »Ja, wahrlich wahr, eine wichtigere Frage hättest du nimmerdar ausfindig machen können! Denn also, wie du jetzt gefragt hast, werden einst Millionen blindester Menschen fragen; aber da wird's mit der Antwort eine große Not haben, die da die deinige bei der Auffindung einer passenden Frage ums Himmelhohe übertreffen wird!

14] Denn sie alle werden fragen kreuz und quer: ,Warum sind wir denn da? Was soll aus uns werden? Wohin sollen wir gehen, was machen, warum? Wer und was sind wir denn?' und dergleichen mehr.

15] Aber es wird ihnen sodann keine Antwort werden wie dir jetzt! Die Antwort aber, die du jetzt empfängst von Mir, wird alsbald auf eine gar lange Zeit verlorengehen.

16] Erst zum Ende der argen Herrschaft der Welt will Ich sie wieder kundgeben der Armut und Dürftigkeit, der Einfalt und der Unmündigkeit der harmlosen Kinder!

17] Also aber lautet ganz kurz die Antwort: Der Mensch ist da des Lebens wegen, nicht aber etwa das Leben seinetwegen.

18] Also ist der Mensch auch von Mir erschaffen worden, auf daß er aufnehme das Leben, - aber nicht, auf daß ihn das Leben aufnehmen solle!

19] Er ist nicht erschaffen worden in der Fülle des Lebens, sondern fähig nur, um diese nach und nach in sich aufzunehmen.

20] Darum kann auch kein Mensch eher vollkommen wissen, was das Leben ist, als bis er dasselbe erst ganz vollkommen in sich aufgenommen hat.

21] Niemand kann daher dem andern das Leben durch alle Redekünste erweisen; wer aber das Leben hat, bei dem erweist es sich von selbst in aller Fülle, darum er dann ewig keines anderen Beweises bedarf, dieweil er in sich trägt die Fülle des Lebens selbst, welche da ist fürs Leben der allein faßliche und gültige Beweis.

22] So aber da jemand das Leben nicht hat, womit soll er dann fassen das Leben?!

23] Also kann das Leben nur das Leben fassen, nicht aber auch der Tote! Dieser kann wohl durch seine notbelebte Seele nach und nach ins Leben übergehen, so er will mit seiner Seele; fassen aber wird er das Leben doch nicht eher, als bis er es in der Fülle aufgenommen hat in sich.

24] Siehe nun, darum auch bist du da! Nimm in dir auf das Leben, dessentwegen du da bist, so wirst du das Leben begreifen, wie es nun begreift der Henoch und ist darum erfüllt sein ganzes Wesen mit großer Freudigkeit!

25] Gehe aber nun hin, öffne dein Herz, damit du des Lebens gewärtig wirst; dann aber komme wieder, um zu erfassen die Fülle des Lebens aus Mir! Amen.«



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