Jakob Lorber: 'Himmelsgaben', Band 3, Seite 098


Kapitelinhalt Eine Parabel

(3. April 1841, von 6 bis 10 Uhr abends)

00] Schreibende: Marie H., Wilhelmine H., Pauline H. u. A. H.
Themen (gewählt von den drei Schwestern): Was ist die Wespe für ein Sinnbild? - Was bedeutet der Abendstern? - Was ist die Unschuld?

Der Herr antwortete allergnädigst hierauf durch Seinen Knecht:

01] Es war einmal ein Vater, welcher drei Kinder hatte; alle drei Kinder waren weiblichen Geschlechts. Der Vater selbst aber war ein großer Weltweiser und war wohlerfahren in allen Erdwissenschaften wie auch in der Rechenkunst und konnte daher wohl berechnen die Bewegungen der Gestirne. Und da er auch in der innern entsprechenden Erfahrungswissenschaft wohlbewandert war, so wußte er auch allerlei Deutungen aus den verschiedenen Bewegungen und Stellungen der Planeten und anderer Gestirne zu entziffern. Diese zuletzt erwähnte Wissenschaft war eben auch diejenige, die sozusagen sein Steckenpferd war.

02] Damit ihr aber dieses Gleichnis desto leichter fasst, so denkt euch diesen weltweisen Vater um dreitausend Jahre früher, als die Zahl eurer gegenwärtigen Zeit lautet, und denkt euch noch dazu, daß dieser Mann ein Heide war, der von Mir nicht viel mehr wußte denn ein neugeborenes Kind.

03] Es ereignete sich aber einmal, daß er mit seinen schon ziemlich erwachsenen drei Töchtern in tiefster Nachtzeit aus seiner unansehnlichen Hütte trat, um an den Konstellationen im Beisein seiner drei Töchter neue Entdeckungen im erwähnten Deutungsgebiete zu machen. Als er auf diese Art den lichtpunktierten Himmel zu seiner Genüge durchgafft hatte und für ihn nun nichts Neues mehr von dem gestirnten Himmel zu gewinnen war, da wollte er umkehren und mit seiner mageren Beute beladen in seine Hütte zurückkehren.

04] Allein solcher Gesinnung waren seine drei Töchter nicht. Denn da nach desselbigen Landes Sitte nach dem Sonnenuntergange nie ein Mädchen aus der Hütte treten durfte, so war dieser erste Anblick des gestirnten Himmels mit einem zu großen Reize für ein sehr empfängliches jugendliches Mädchenherz überzogen, als daß sich dasselbe so schnell von dem so prachtvoll erleuchteten Himmel hätte trennen können. Daher auch baten die drei Töchter den Vater, nur diesmal bis zum Sonnenaufgange in der glänzenden Halle zu verbleiben.

05] Es bedurfte des Bittens eben nicht gar zuviel, und der Vater gewährte seinen geliebten Töchtern, danach sie verlangten. Wie es aber schon zu gehen pflegt, daß die Kinder, wenn ihnen ein Finger gereicht wird, sogleich nach der ganzen Hand greifen, so war es eben hier auch der Fall. Die Töchter begnügten sich nicht nur mit der stummen Anschauung allein, sondern eine jede fing da alsobald an zu fragen, wie ihr die Zunge gewachsen war und wie ihr der Sinn in aller Wißbegierde eingab.



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