Jakob Lorber: 'Himmelsgaben', Band 3, Seite 161
Des Baumes letztes Blättchen
- 1.
- 01] An eines Waldes dicht umstrüpptem Saum
- erblickst du einen seltnen dürren Baum,
- ein Blättchen nur ganz fahl denselben ziert.
- Doch nicht am Zweig hängt mehr dies letzte Blatt,
- an einer Spinne Faden nur ganz matt
- so lang, bis es ein West der Haft entführt.
- 2.
- 02] Sieh an die Welt, wie sehr dem Blatt sie gleicht,
- auch sie da hängt ganz dürr und leicht
- am gleichen Faden an des Lebens Baum.
- O sieh, schon regt sich dort ein rauher West,
- er führt für diese Zierd' das End, den Rest,
- schon schwirrt er um des Waldes dorn'gen Saum.
- 3.
- 03] O Baum, o Baum, du toter Rest am Wald!
- Du brüstest dich mit deiner Scheingewalt -
- warum, du Tor?! Ist nicht der Tod dein Los? -
- Ja tot, ganz tot bist du, o Baum, schon lang!
- Darum wird's dir vor Meiner Näh' nicht bang,
- nicht angst in deines Grabes finstrem Schoß.
- 4.
- 04] Das letzte Blatt, ganz los von deiner Haft,
- ziert dich nur noch durch eines Fadens Kraft,
- den da gesponnen hat ein schnödes Tier -
- und du willst prunken noch damit vor Mir
- auf diesem alten Todesjagdrevier?! -
- O sieh, der West ist da mit großer Gier!
- 5.
- 05] Du trillerst schon, du einsam fehles Ding?!
- Tust wohl daran; von Mir nur einen Wink -
- geschehen ist's, o Baum, um deine Pracht!
- Magst ahnen nicht, wer hier bei dir nun steht?
- Ja, ja, der West um deine Äst' schon weht,
- nicht merken läßt er dich die große Macht!