Jakob Lorber: 'Kindheit und Jugend Jesu'


73. Kapitel: Des Cyrenius Erlaß: Ausfall der militärischen Übungen. Der Aufbruch nach der Stadt und des Jesuskindleins Bedingung zugunsten der drei Todesopfer. (20.11.1843)

01] Als aber also die ganze Gesellschaft bei der Villa angelangt war, da sandte Cyrenius sogleich seinen Adjutanten in die Stadt an den Obersten der Stadt und ließ ihm bedeuten daß an diesem wie am künftigen Tage keine Paraden und keine Ausrückungen stattfinden sollten.

02] Denn solches war bei den Römern bei außerordentlichen Gelegenheiten gebräuchlich, daß da bei gewissen Erscheinungen - wie etwa eine Mond- oder Sonnenfinsternis ein starkes Ungewitter,

03] feurige Meteore, Kometen, das plötzliche Auftreten eines Irrsinnigen, das Befallenwerden von der so genannten Epilepsie (Fallsucht),

04] desgleichen auch außerordentliche Scharfgerichtstage - die Sitten den Römern nicht gestatteten, zugleich andere Staatsgeschäfte zu unternehmen.

05] Denn alle derlei Tage galten den sonst vielseitig biederen Römern als Unglückstage oder als besondere Tage der Götter, welche die Menschen sofort zu heiligen und nicht zu ihrem eigenen Geschäfte zu verwenden hätten.

06] Obschon aber Cyrenius bei sich eben nicht viel auf diese leeren Sitten hielt, so mußte er solches aber dennoch des Volkes wegen tun, welches noch fest an solchen Torheiten hing.

07] Als der Adjutant aber abgegangen war, da sprach Cyrenius zu Joseph: »Edelster Bruder und Freund! Laß du nun ein Morgenmahl richten! Nach dem Morgenmahle aber wollen wir alle samt und sämtlich in die Stadt gehen und wollen dort die Verheerungen des Sturmes in Augenschein nehmen!

08] Wir werden bei dieser Gelegenheit sicher viele arme und verunglückte Bürger dieses Ortes antreffen und werden ihnen auch helfen auf jede mögliche Weise.

09] Sodann werden wir den Hafen besichtigen und sehen, wie es mit den Schiffen aussieht, ob und wie sie beschädigt worden sind.

10] Es wird sich da sicher so manche Arbeit für deine Söhne ergeben, die ich sogleich zu Oberaufsehern ernennen will, indem es ohnehin gerade in dieser Stadt an Baukundigen überaus mangelt.

11] Denn Ägypten ist nun in architektonischer Hinsicht bei weitem nicht mehr das, was es einst vor tausend Jahren war zu den Zeiten der alten Pharaonen.«

12] Joseph befolgte sogleich das Verlangen des Cyrenius, ließ ein frugales (mäßiges, einfaches) Morgenmahl bereiten, bestehend aus Brot, Honig und Milch und einigen Früchten.

13] Nach dem Male aber erhob sich Cyrenius und die ganze Tischgenossenschaft und wollte sogleich seinem Vorhaben nach in die Stadt ziehen;

14] aber das Kindlein berief den Cyrenius zu Sich und sprach zu ihm: »Mein Cyrenius, du ziehst in die Stadt, der notleidenden Bürgerschaft irgend zu helfen, und dein größter Wunsch ist, daß Ich bei dir sein möchte!

15] Ja, Ich will auch mit dir ziehen, aber du mußt Mich hören und Meinen Rat befolgen!

16] Siehe, die an der größten Not Leidenden sind wohl jene drei von dir zur vierundzwanzigstündigen Todesangst Verurteilten!

17] Siehe aber hinzu, Ich habe keine Freude am zu großen Schmerze der Elenden: daher ziehen wir zuerst dahin und helfen diesen Allerunglücklichsten! Danach wollen wir erst die weniger Unglücklichen in der Stadt und den Meereshafen besuchen!

18] Tust du das, so werde Ich mit dir ziehen; tust du aber das nicht, so bleibe Ich daheim! Denn siehe, Ich bin auch ein Herr in Meiner Art und kann tun, was Ich will, ohne Mich an dich zu halten! Befolgst du aber Meinen Rat, da will Ich Mich dann wohl an dich halten!«



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