Jakob Lorber: ''Das große Evangelium Johannes', Band 2, Kapitel 50


Verteidigung der Zustände im Judentum durch Synagogen-Ältesten.

01] Sagen die Ältesten, ganz grimmig erstaunt über den Redner: »Gottesleugner! Gotteslästerer! Weißt du, daß du genau nach Moses nun durch diese deine übergotteslästerliche Rede verdient hast, gleich in der Synagoge gesteinigt zu werden? Wie kannst du es wagen, andere Menschen in ihrem festesten Glauben zu erschüttern, an Gott und Moses zweifeln zu machen, weil du keinen Glauben hast?

02] Hast denn du wirklich so blutwenig Verstand, daß du darob nicht einsehen kannst, daß da keines Menschen Alter hinreicht, daß man in sich, selbst durch mehrtausendjährige Erfahrung, klug würde und nur das glaubte, was man selbst erlebt hat? Gott hat darum aus Seinem Geiste die Menschen Schriftzeichen kennen gelehrt, durch die sie das, was sie erlebt haben, und was ihre Nachkommen kaum je wieder erleben dürften, für eben diese Nachkommen aufzeichnen sollen, auf daß auch diese eine heilsame Kenntnis davon bekämen, was sie selbst in ihrer Zeit kaum erleben können, weil eine jede Zeit etwas anderes hervorbringt. Dies lehrt uns handgreiflich schon die Erfahrung unserer wenigen Tage, die wir auf der Erde zu durchleben haben, da kein Jahr, kein Monat, keine Woche und sogar kein Tag dem andern völlig gleicht in dem, was da geschieht! Forsche nach der Chronik zurück, und wir geben dir alles, was wir haben, so du uns eine Zeit nachzuweisen imstande bist, in der sich gerade das ereignet hätte, was sich vor unsern Augen und Ohren zuträgt!

03] Wenn aber unleugbar die Sachen auf der Erde sich also und nicht anders verhalten, was willst du sonach mit deinen losen und groben Verdächtigungen der Schrift, die ein heiliges Vermächtnis unserer Urväter an uns, ihre Nachkommen, ist und uns in klaren Zügen lehrt, was sie als fromme, gottergebene Menschen alles erlebt haben, und welche Anstalten getroffen wurden, durch die ihre Nachkommen leichter und geordneter ein Gott wohlgefälliges Leben führen könnten, als es wahrscheinlich bei ihnen der Fall war?!

04] Glaubst du denn, daß wir gar so dumm sind, daß es uns unmöglich wäre, das zu beurteilen, was nun vor unsern Augen geschieht? Oh, da irrest du dich groß! Aber wir benützen die Weisheit unserer Väter, die alles früher viele Jahre einer gewaltigen Prüfung unterzogen haben, bis sie es als das, als was es sich gezeigt hat, angenommen haben!

05] Wären unsere Ahnen so leichtgläubig gewesen wie du, so hätten sie die Propheten nicht gesteinigt! Wenn sie aber sahen, daß ein echter Prophet auch unter dem tötenden Steinregen von dem, was er aussagte, auch nicht um ein Haarbreit wich, dann bekam seine Aussage freilich ein anderes Gesicht, und die Väter nahmen sie als von Gott ausgehend an!

06] Wenn aber unsere Väter also kritisch bei der Annahme einer von einem Propheten aufgestellten neuen Verkündigung des Willens Gottes an die Menschen verfuhren, ist es dann nur einigermaßen vernünftig, anzunehmen, als sei unsere Gotteslehre nichts als ein Pamphlet (Schmähschrift) irgend vorzeitlicher, gutmütig leichtsinniger junger Burschen, denen es ein Vergnügen machte, alle späteren Generationen für einen Narren zu halten?!

07] Du hast uns als Narren und Dummköpfe deklariert; aber es ist da eine große Frage, ob du unter uns nicht der allergrößte bist!? Denn so lieblos gegen seine Brüder zu urteilen wie du, ziemt einem Manne aus dem Stamme Levi nicht!

08] Hast du uns aber durch deine schlechte Rede bloß prüfen wollen, ob wir bei den außerordentlichen Begebnissen dieser Zeit wohl noch das seien, was wir als echte Juden sein sollen, so hast du dazu eine schlechte Art gewählt und hast dich vor uns nur so ganz eigentlich selbst enthüllt, wie du in deinem Herzen beschaffen bist.

09] Denn ein jeder Mensch verrät sich in seinem blinden Eifer am meisten und zeugt über sich, wie er in seinem Gemüte beschaffen ist; denn da läßt er seinen Lieblingsideen, Gesinnungen und Leidenschaften den vollen, freien Lauf.

10] Aber der nüchterne Zuhörer denkt sich sein Teil und hat dabei den Vorteil, seinen Freund aus dem Fundamente kennenzulernen.

11] Glaubst du denn, daß wir es nicht wissen, wie sich in unsere Gotteslehre, besonders in ihrem auszuübenden Teil, gar große Mißbräuche eingenistet haben, die leider den Moses und die Propheten nicht selten noch ärger bedecken als die dicksten Gewitterwolken die Sonne? Aber die reine, unverfälschte Schrift kann nicht mit derlei Wolken bedeckt werden, und ein echter Schriftgelehrter wird dennoch stets wissen, wie er mit der reinen Wahrheit daran ist.

12] Wir alle sehen es so gut wie du, daß diese Mißbräuche am Ende die reine Gotteslehre, wie die bösen Holzwürmer einen frischen Baum, bei den Menschen töten werden, aber auch nur bei dir ähnlichen Menschen; aber die Lehre in sich selbst wird darum dennoch rein verbleiben und wird zu allen Zeiten ihre reinen und festen Bekenner haben.

13] Hast denn du noch nie einen Baum gesehen, auf dessen Ästen zum Verderben des Baumes für die Menschen eine Menge böser Afterpflanzen sich eingewurzelt haben und ihre Nahrung aus demselben Baume nehmen? Höret aber darum der eigentliche Grundbaum auf, das zu sein, was er im Grunde des Grundes ist?

14] Wir Menschen mit unsern blöden Sinnen können den Grund von dergleichen Ausartungen freilich wohl nicht einsehen; aber das sehen wir doch ein, daß sie unmöglich entstehen könnten, wenn es der allmächtige und allweiseste Gott nicht wollte. Warum muß es denn Wölfe geben, die bloß da sind, die friedlichen und unschädlichsten Lämmerherden zu zerstören und sich zu sättigen an ihrem Blute und Fleische? Warum müssen der Löwe, der Bär, der Tiger, die Hyäne und andere reißende Raubtiere da sein, warum neben der sanften Taube der mächtige, gefräßige Aar? Siehe, das sind unergründliche Geheimnisse für uns kurzsichtige Menschen, und wir können sie nicht aufhellen!

15] Ein Landmann bebaut sein Feld; es steht alles im vollsten Segen da; er erweitert schon seine Vorratskammern, auf daß sie aufnähmen den neuen Segen. Aber da kommt an einem Tage auf einmal ganz unerwartet eine Sturmstunde, - und der ganze Segen ist vernichtet! Könnte man da nicht füglich die Frage stellen und sagen: "Gott, so Du gewollt hast, daß dies Feld dem Landmanne keine Früchte tragen solle, weil er vielleicht ein Sünder ist, so hättest Du ja Macht genug gehabt, des Feldes Segen im Keime zu zerstören, wodurch dem Landmanne Kosten und Mühe erspart worden wären!" Aber siehe, solches geschieht gar oft vor unsern Augen, und niemand ist imstande, davon nur irgendeinen vernünftigen Grund anzugeben.

16] Ebenso sehen wir praktische Abweichungen sowohl in der reinen Lehre Mosis im Tempel als wie bei allen Bekennern desselben, hie und da mehr oder weniger; wir sehen die Wandler auf Irrwegen; wir sehen auf dem alten Baume des Lebens eine große Masse Schmarotzerpflanzen. Was aber können wir darum und dafür? Wir haben das alles nicht gemacht und gewollt, daß es also ist, sondern wir haben es schon also gefunden und müssen es erdulden, wenn es uns auch noch so bitter im Munde vorkommt!

17] Aber deshalb ist unserem Geiste dennoch keine Schranke gezogen, daß wir darum die Schmarotzerpflanzen an dem Lebensbaume als ein und dasselbe mit in den Kauf nehmen sollten. Uns bleibt dennoch der Baum in seiner ursprünglichen Echtheit, und seine Aftergewächse werden als das betrachtet, was sie sind; und gegen diese Lebensweisheit kann kein Gott irgendeine Einwendung machen. Da wohl wäre Gott ein alberner Gott, so Er zu jedem einzelnen von uns sagen möchte: "Gehe hin und breche den Tempel, der voll Unflates geworden ist, ab; denn Ich, Gott, habe ein großes Mißfallen an dessen Greueln!" Könnte da der einzelne schwache Mensch seinem Gott nicht erwidern und sagen: "Herr, siehe, was Unsinniges verlangst Du von mir, Deinem armseligen, schwachen Geschöpf? So Dich mein Dasein geniert, so kostet es Dich bloß einen Gedanken, und ich bin nicht mehr; aber von mir Unmögliches verlangen, heißt einer Mücke gebieten, daß sie mit ihrer unvermehrten natürlichen Kraft einen Elefanten auf ihren Rücken nähme und davontrüge!"

18] Wir meinen aber, daß Gott viel zu weise ist, als daß Er nicht einsähe, daß kein Mensch gegen einen reißenden Strom schwimmen kann!

19] Sage uns nun, ob du die volle Wahrheit unserer Rede eingesehen hast, und wir wollen dir alles nachsehen, was du blinder- und törichterweise uns angeworfen hast!«


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