Jakob Lorber: ''Das große Evangelium Johannes', Band 2, Kapitel 51


Wie durch eine neue Bundeslade die Effekte der ursprünglichen nachgeahmt wurden und Heiden gegen Geld ins Heiligtum gelangten. Verletzung des Verschwiegenheitseides dem Tempel gegenüber.

01] Sagt der Redner, der unter dieser im Ernste ganz triftigen Belehrung seine wahrhaft stoische Fassung nicht einen Augenblick verloren hatte: »Liebe Freunde und Brüder! Das was ihr mir nun vorgepredigt habt, weiß ich so gut wie ihr; aber dennoch freut es mich nun zum ersten Male in meinem Leben unter euch, daß mir bei dieser Gelegenheit das große Glück zuteil ward, zu erfahren, daß ihr ebenso wie ich nicht auf den Kopf gefallen seid! Was ihr geredet habt, ist wahr; aber meine Frage ist darum dennoch nicht beantwortet.

02] Es ist so, wie ihr geredet habt, was ich bei mir recht klar einsehe, obschon ich euch mit scheinbaren Widergründen nur einen Rippenstoß habe versetzen wollen, durch den euer stets verschlossener Mund geöffnet werden sollte. Und seht, es ist mir gelungen, daß ihr das erste Mal während unseres zwanzigjährigen Beisammenseins und Wirkens ganz offen mit mir geredet habt!

03] Aber weder meine noch eure klare Einsicht vermindert das Übel, in dem wir uns augenscheinlichst befinden. Es ist und bleibt die große, wichtige Frage, was wir nun beginnen sollen.

04] Ich, der Sohn eines Oberpriesters aus Jerusalem, im Tempel aufgewachsen und erzogen, weiß nur zu genau, wie es mit der Arche des Bundes steht. Holz, Silber und Gold ist noch das alte; aber der immergrüne Aaronsstab ist zum Pulverisieren trocken, die Gesetzestafeln sind zerbrochen, das Manna besteht bloß noch in der Idee! Und die Feuersäule, wo etwa die ist?! Man weiß es aus den Annalen (Jahrbüchern) der Schrift, daß jeder Unberufene das Leben verlor, so er mit ungeweihten Händen die Lade anrührte; nun kann man auf der Lade herumsteigen und sie anrühren, wie man will, und es führt kein tötend Feuer aus ihr.

05] Wenn fremde Reisende um vieles Geld und heiligst beschworener Verschwiegenheit das alte Wunder besichtigen wollen, so wird ihnen das ohne allen Anstand bewilligt, aber erst am nächsten Tage nach der erteilten Bewilligung. Da wird dann die Feuersäule wieder künstlich dargestellt, aber wohlgemerkt, nicht über der wirklichen, alten, sondern über einer aus Metall künstlich nachgemachten Lade! Diese Lade hat zuoberst, in der Mitte eingerichtet, einen schwarzen Becher, aber so, daß man dieses Bechers, der im Oberdeckel befestigt und bis auf dessen Fläche in ihn eingesenkt ist, in der für sich ganz dunklen heiligsten Kammer der hervorquellenden hellen und sehr dichten Flamme wegen nicht leichtlich ansichtig werden kann. In diesen Becher wird feinstes, ätherisches Naphthaöl, mit andern wohlriechenden feinsten Ölen vermengt, gegeben und etwa eine Stunde vorher angezündet; also brennt es dann bei sechs Spannen hoch empor und stellt also die Feuersäule vor.

06] Wenn die Schaulustigen diese recht schöne Feuersäule mit großem Behagen angegafft haben und das Innere der Lade zu sehen wünschen, so wird mit stets formeller Zeremonie und leeren Gebeten der Oberdeckel samt gleichfort hoch auflodernder Feuersäule ganz behutsam auf ein vergoldetes Gestell herabgehoben, und den Beschauern werden natürlich die neuen Mosaischen Tafeln als echte gezeigt, so das Manna, das aber auch ganz frisch, ein grünender Aaronsstab und dergleichen mehr, was die Lade enthält.

07] Manche Beschauer werden dadurch ganz ergriffen; manche, besonders Griechen, aber gehen wieder heimlich schmunzelnd aus dem Allerheiligsten und sagen am Ende: >Das ist wirklich eine ganz artige Komposition!< Nur bedauern die meisten, daß der übrige Tempel gar so schmutzig gehalten werde. Ich sage euch, ich möchte sogar eine große Wette machen, daß in der Zeit die alte Bundeslade für alle Zeiten aus dem Wege geräumt ist, und daß nunmehr für beständig die neue aus Erz ihre Stelle und ihr Amt vertritt.

08] Wollt ihr mir aber darin keinen Glauben schenken, so verkleiden wir uns zum Beispiel als Römer, ziehen hin nach Jerusalem, betreten den Tempel und tun wie Fremde darin; sogleich wird sich ein dienstbarer Geist einfinden, der uns haarklein ausfragen wird, woher wir sind, was wir in Jerusalem suchen, wie lange wir in der 'Stadt Gottes' verweilen werden, wohin wir uns dann begeben, und ob wir mit großem Gelde reisen, ob wir kein Gold oder Silber zu verkaufen hätten, und ob wir nicht etwa gegen Entrichtung einer ganz unbedeutenden Taxe das Allerheiligste sehen wollten. Dann fragen wir bloß um den Preis, und man wird uns von einhundert Pfunden Silbers was sagen. Wir aber sagen dann, das ist zuviel, und wir stehen überhaupt nicht darauf an, solche Dinge zu sehen; wenn's uns zehn Pfunde möglich ist, dann lassen wir uns herbei. Und wir kommen alle um zehn schlechte Pfunde ins Allerheiligste, so wir dem betreffenden Oberhüter zuvor ein feierliches Gelöbnis geben, davon um alles in der Welt ja nie, weder im Judenlande noch in einem weit entlegenen fremden Lande, etwas davon zu verraten, wie auch niemandem zu sagen, im Allerheiligsten gewesen zu sein. Solches geloben wir ganz leicht, und wir kommen so als Pseudo-Römer ins Allerheiligste, und ihr könnt euch dann selbst überzeugen, ob eine Silbe von all dem erlogen ist, was ich euch ehedem über die Lade des Bundes mitgeteilt habe!

09] Und, liebe Freunde und Brüder, wenn man als Mensch von einem etwas helleren Verstande solche Sachen im Allerheiligsten, wo man selbst bei solchen Gelegenheiten als ein pfiffig brauchbarer Handlanger gedient hat, mit höchst eigenen Augen gesehen hat, da wird es einem ehrlichen Menschen dann wohl für immer eine bittere Sache, einen schmählich bezahlten Betrüger und Lügner des Volkes zu machen! Wie oft dachte ich dann bei mir selbst nach und sagte zu mir: "Wenn das lebendigst sein sollende Allerheiligste, auf das die ganze Gotteslehre und alle die Gesetze basiert (gründet) sind, eine pure, geheim gehaltene Lumperei ist, was soll man dann von der ganzen Lehre und von den Gesetzen halten?" - Ich habe nun geredet, jetzt redet wieder ihr; ich bin geneigt, euch zu hören.«

Verletzung des Verschwiegenheitseides dem Tempel gegenüber

10] Sagt ein Ältester: »Ward es dir denn erlaubt, solches Geheimnis zu verraten? Hast du nicht einen Eid der ewigen Verschwiegenheit leisten müssen, bevor man dich als Eingeweihten aus dem Tempel entließ?«

11] Sagt der Redner: »Allerdings; aber ich bin nun so frei, diesen dummen Eid, der für mich gar keinen Wert hat und haben kann, nicht mehr zu halten, sondern der ganzen Welt laut zu verkünden, wie sie betrogen ist! Und hier in Nazareth nehmen wir es mit derlei Sachen ja ohnehin nicht gar zu genau, und so kann man es ja wagen, einen solchen Betrugseid zu brechen, ohne sich daraus ein Gewissen zu machen.«


Home  |    Inhaltsverzeichnis Band 2   |   Werke Lorbers