Jakob Lorber: ''Das große Evangelium Johannes', Band 2, Kapitel 155


Zorn als Eifer der Liebe.

01] Sagt der Hauptmann: »Herr, das sehe ich nun recht gut ein, aber dennoch weiß ich aus meinem Leben um einen besonderen Fall, wo alle Liebe nichts auszurichten vermochte; und der Fall war folgender: Es diente unter den vielen Soldaten, die unter mir stehen, ein junger, riesenhaft kräftiger Illyrier. Sein Schwert wog fünfzig Pfunde, und er dirigierte es dennoch mit einer Leichtigkeit, als hätte er eine Feder in der Hand. Dieser bezahlte Krieger, einen Panzer und einen Schild tragend, leistete in einer Schlacht mehr denn hundert andere Krieger. Im Kriege war er demnach gut zu gebrauchen, - aber nicht also im Frieden; da war er ränkesüchtig, und es verging keine Woche, in der er nicht irgendeinen neuen ärgerlichen Spektakel zum Vorschein gebracht hätte. Ich behandelte ihn stets liebevoll, stellte ihm das Böse und Schändliche seiner begangenen Spektakel so anschaulich als möglich vor und verwies ihm solche seine mutwillige Spektakelmacherei. Da gelobte er mir allzeit völlige Besserung und hielt sich darauf auch einige Tage ganz nüchtern und bescheiden; aber es währte so etwas nie über zehn Tage, so kamen schon wieder Klagen von allen Seiten, und wir mußten darauf natürlich Schadenersätze leisten. Fragte man ihn, warum er denn doch um aller Welt willen so etwas tue, so gab er allzeit dieselbe Antwort und sprach: >Ich übe mich in der Kriegskunst, und da verschone ich außer den Menschen nichts, und mein Schwert muß an verschiedenen Gegenständen versucht werden!<

02] Solche seine Kriegsübungen aber bestimmten ihn nicht selten, irgendeiner Herde Ochsen, Stiere, Kühe und Kälber einen Besuch zu machen und ihnen die Köpfe auf einen Hieb abzuhauen. Einmal hatte er einer Herde von komplett einhundert Ochsen die Köpfe abgeschlagen und brüstete sich hernach mit solcher seiner Heldentat, die uns eintausend schwere Silbergroschen Schadenersatz kostete! Da wurde ich denn auf den Menschen doch so voll Zorn, daß ich ihn gleich selbst vor Wut hätte in Stücke zerreißen mögen.

03] Ich aber ließ ihn mit schweren Ketten an einen Baum knebeln, seine Hände und Füße noch extra mit starken Stricken binden und ihn dann stäupen eine ganze Stunde hindurch, daß er darob in eine große Schwäche verfiel. Da ließ ich ihn dann in eine Pflege bringen, in der er in zwanzig Tagen wieder völlig hergestellt ward. Und sieh, das hat diesen Menschen, mit dem früher alle Liebe nichts ausrichtete, total umgeändert; er ward darauf der gelassenste und bescheidenste Mensch, den ich nach einem Jahre zum Unterführer machte, und er dankt mir nun für jene exemplarische Züchtigung noch heute, ohne die er nie ein Unterführer geworden wäre. Aber zu solcher Züchtigung hätte mich nimmer die Liebe zu bewegen vermocht, sondern allein der gerechte Zorn über den Menschen; und so meine ich, daß ein gerechter Zorn oft den Menschen gegenüber heilsamer ist denn zu viel noch so reiner Liebe!«

04] Sage Ich: »O ja, aber das ist dann nicht Zorn im eigentlichsten Sinne, sondern nur ein besonderer Eifer der Liebe im Herzen, der eine heilsame Kraft innehat. Mit dem wirke auch Ich, wenn es irgend not tut. Hätte die Liebe solchen Eifer nicht, so wäre die Unendlichkeit noch bis jetzt völlig wesenleer; nur dem großen Eifer der Liebe Gottes verdankt alle Kreatur ihr Dasein.

05] Und so war das, was dein Herz zur gerechten Züchtigung jenes mutwilligen Söldlings bestimmte, nicht Zorn und aus ihm hervorgehender Rachedurst, sondern ein besonderer Eifer deiner Liebe zu jenem Söldling, der dir ob seiner Tauglichkeit sehr am Herzen lag. Denn hättest du einen rechten Zorn über jenen Menschen bekommen, so hättest du ihn töten lassen; aber der Liebe Eifer zählte die nötigen Rutenhiebe, und du ließest ihn nur so lange stäupen, als du es berechnen mochtest, daß er solche Stäupung ertragen werde.

06] Also magst du mit jenen Gemeinden nötigenfalls wohl auch vorgehen; aber der erste Versuch geschehe dennoch durch die reine Liebe und durch eine rechte Belehrung. Denn so die Menschen die Einsicht überkommen, daß man ihnen nur ihres Heiles willen scharfe Gesetze gibt und ein unerbittliches Richteramt dazustellt, so werden sie sich solches alles gefallen lassen; erscheinen aber die scharfen Gesetze nur als eine tyrannische Willkür des Machthabers, so bessern sie niemanden und machen am Ende noch die Engel der Gemeinde zu Teufeln, die nichts suchen werden, als wie sie sich rächen könnten an dem, der sie allzeit für nichts und wieder nichts plagt ohne Ende und ohne irgendeinen ersichtlichen Grund. - Verstehest du solches?«

07] Sagt der Hauptmann: »Ja, Herr, das ist mir nun schon wieder sonnenhelle, und ich werde noch heute einen Boten mit einer Order an den dortigen Unterführer abgehen lassen, und morgen haben es jene Gemeinden schon zur Danachachtung vorgelegt. Ich werde mich darum denn nun auch auf einige Augenblicke zu meinen Leuten begeben und werde solches sogleich ausfertigen lassen.«


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