Jakob Lorber: ''Das große Evangelium Johannes', Band 2, Kapitel 197


Beschränktheit des irdischen Wissens.

01] (Ich, Mich zu Josoe wendend:) »Was sagst du nun zu der treffenden und gelungensten Antwort der lieblichsten Jarah?«

02] Sagt Josoe: »O Herr alles Lebens, dies holdeste Mägdlein ist sicher schon lange kein irdisch Mädchen mehr; sie, die herrlichste Jarah, ist ein personifiziertes Himmelslicht erster Größe, dagegen ich kaum ein kleinstes Sternlein bin! Wohl habe auch ich durch Deine Gnade Erfahrungen gemacht wie bisher wenig Sterbliche, - denn es ist kein Scherz, nahezu zwei Jahre meinem Gefühle nach in der Welt der Geister und mit dem verwesten Leibe in der Gruft zugebracht zu haben und endlich mit vollstem Bewußtsein durch Deine Gnade und durch Dein wunderbarstes Erbarmen auf diese Erde zurückgekehrt zu sein; aber dennoch gestehe ich nun laut, daß ich mich kaum für würdig fühle, diesem Mädchen ein schwacher und talentloser Schüler zu sein. Wenn sie mir die Liebe erweisen will, mich in so manchem etwas wenig nur zu belehren, so werde ich solches alles mit dem größten Danke von der Welt allerbereitwilligst annehmen.«

03] Sagt die Jarah: »Ja, mein liebster Josoe, du bist ein Königssohn und ich die Tochter eines Juden, der nur ein Gastwirt in Genezareth ist - also irgend irdisch genommen, wäre es wohl sehr anmaßend und keck, mich dir zu nahen; willst du dich aber von deiner Höhe zu mir Armen herablassen, so sollst du ein Paar ausgebreitete Arme und ein offenes Tor in meiner bescheidenen, ärmlichen Hütte finden!« - Auf diese vielsagende Anrede macht Josoe große Augen und weiß kaum, was er dem Mädchen erwidern soll.

04] Cyrenius aber sagt zu Josoe: »Siehe, mein Josoe, das will soviel gesagt haben als: du sollst dich zur Jarah hinübersetzen und mit ihr reden. Gehe und tue das; denn ich wäre selbst sehr begierig zu hören, was ihr alles miteinander verhandeln werdet!«

05] Sagt Josoe: »Ah, von dem, daß ich mich zu ihr setzen soll, hat die gute und liebste Jarah in ihrer Sprache nichts merken lassen, wohl aber von dem, daß ich mit ihr reden soll, so ich mich so tief herablassen könnte als ein Königssohn! Freilich scheint es die Jarah mir denn doch nicht völlig anzukennen, daß ich fürs erste durchaus kein Königssohn bin, und fürs zweite, daß der gewisse Geburtshochmut meiner Natur noch bei weitem ferner steht als der Himmel von dieser Erde. Ich bin allein für die Wahrheit! Was unter ihr ist, verachte ich tiefst; was aber über ihr steht als Geheimnisse Gottes in sich, das bete ich an und verlange nicht nach der Klarheit dessen, was sich nicht ziemt für die Würmer und für den Staub dieser Erde!

06] In Gott ist die Fülle der unendlichsten Weisheit; in uns aber wohnt davon kaum ein Sonnenstäubchen groß! Alles, was wir wissen, ist ein loses Stückwerk, und wir finden den Weg vom Alpha bis Beta nimmer, geschweige bis zum Omega (Alpha = a, Betha = b, Omega = o, d.i. der letzte Buchstabe des griechischen Alphabets). Am Himmel leuchten Myriaden von Lichtern; wer kennt sie? Wir kennen die zwei großen nicht, geschweige die zahllos vielen kleinen; Gottes Weisheit aber ist da allenthalben also zu Hause wie das Augenlicht im Auge!

07] Was Gott uns offenbaren will, das wissen und kennen wir; darüber hinaus aber waltet für des Menschen Seele eine zwar heilige, doch immerhin unendliche Nacht. Und der Mensch soll es nie wagen, dieser endlosen Nacht heiliges Dunkel lichten zu wollen; denn diese Nacht würde ihn verschlingen wie das Meer ein Steinchen, das irgendein mutwilliger Junge in dasselbe schleuderte.

08] Wir Menschen sind Gefäße, denen vorderhand nur ein bestimmtes Maß gegeben ist. Ist dieses voll, so kann man dasselbe nicht noch voller machen; wird dem Menschen aber dereinst ein größeres Maß gegeben, da wird er noch gar vieles in dasselbe hineintun können, und es wird dennoch nicht übergehen so leicht, wie es nun der Fall ist.

09] Es haben zwar wohl die Menschen auf dieser Erde schon ein verschieden großes Maß; das meine gehört aber offenbar zu den kleinsten. Die lieblichste Jarah ist offenbar reichlicher damit versehen worden als ich, und ich kann darum mit ihr nicht als ebenmäßig auftreten; wenn sie mir aber von ihrem großen Überflusse will etwas zukommen lassen, so werde ich solches allzeit dankbarst annehmen. Aber hinab zu ihr kann ich mich dennoch nicht setzen; denn einmal ist sie weiser denn ich, und fürs andere Mal würde es sich für mich wohl gar nicht schicken!?«


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