Jakob Lorber: ''Das große Evangelium Johannes', Band 2, Kapitel 196


Zweck unterschiedlicher Gaben. Erziehungsmethoden der Engel.

01] Sage Ich zu Josoe: »Aber Mein lieber Josoe, woher weißt du es denn, daß die Liebe Meiner Jarah sich in einer so großen Weisheit befindet und in Dingen Kenntnisse besitzt, die außer Mir niemandem bekannt sind?«

02] Sagt Josoe: »Herr, wie sollte ich das denn nicht wissen, und wie fragst Du mich darum, wo doch Du es bist, der mir solches in mein Herz und aus diesem auf meine Zunge gelegt hat, was ich erkennen solle und was reden?!«

03] Sage Ich: »Ganz gut, Mein lieber Josoe: weil du das weißt, so gib uns denn auch darüber einen genügenden Aufschluß, warum eigentlich - da Mir ja ohnehin die Gedanken deines Herzens selbst in ihrer tiefsten Tiefe schon lange eher bekannt sind und sein müssen, als du sie gedacht hast - Ich dich gefragt habe!«

04] Hier stutzt Josoe und sucht in sich eine rechte Antwort; aber es will sich keine finden lassen. Nach einer Weile sagt er etwas kleinlaut: »Herr, dafür läßt sich in der noch übergroßen Beschränktheit meines Erkennens durchaus keine vernünftige Antwort finden, wenigstens von mir nicht; Du müßtest mich nur also pro forma (zum Schein) gefragt haben, als wie da fragt ein Rabbi seinen Jünger um etwas, was er als Rabbi sicher schon lange eher gewußt hat denn sein Jünger. Aber dabei ist dennoch ein endlos großer Unterschied zwischen Dir und einem seinen Jünger prüfenden Rabbi! Dieser weiß wohl, was er selbst weiß, aber das weiß er ohne Prüfung dennoch nicht, ob auch sein Jünger das weiß. Du weißt aber nur zu klar und hell nicht nur alles, was zunächst ich weiß, sondern Du weißt auch um die geheimsten Gedanken aller Menschen und Engel - und fragst mich!? Sieh, eben darin liegt der für mich unentwirrbare Knoten Gordius'! Da ich aber noch lange kein Alexander bin, so vermag ich ihn nicht zu lösen!«

05] Sage Ich: »Sage Mir, warum fragt denn dich der dann und wann aus Sichar zu dir kommende Jüngling um etwas also, als wüßte er durchaus nicht darum, da er doch sicher darum nur zu gut weiß!? Ja, er läßt sich sogar von dir belehren und tut, als wäre er dein Jünger!«

06] Sagt Josoe: »Herr, das ist ja eben meine stete Klage über ihn, daß er bei seiner sicher ungeheuren Weisheit stets nur von mir lernen will; und frage ich ihn um etwas, so sagt er stets: >Ja sieh, darum habe ich dich eben fragen wollen!< Ich aber frage eben und habe Dich schon heute am Morgen gefragt, was das für eine Unterrichtsweise ist. Es hatte wohl früher der Vater der Jarah eine recht weise Ansicht von solch einer Unterrichtsmethode entwickelt, die ich wohl auch bei Deiner an mich gestellten Frage in Anwendung bringen könnte; aber ich bin mit seiner Ansicht dennoch nicht völlig einverstanden und kann sie darum zur erläuternden Antwort auf Deine ganz gordisch geformte Frage nicht in die vollgültige Anwendung bringen.

07] Bei schon in allerlei Kenntnissen wohlbewanderten Jüngern ist solche Lehrweise wohl die beste von der Welt, weil dadurch der noch immerhin beschränkte Jünger überaus tätig zum Selbstdenken, -fühlen und -finden geleitet wird; aber wenden wir solch eine Lehrweise bei einem Jünger an, der noch aller Elemente zur Wissenschaft total bar ist, so möchte ich da doch sehen, wann und wie bei solch einer Unterrichtsweise der Jünger das Alphabet und endlich das Lesen einer Schrift sich zu eigen machen wird auf einem natürlichen Wege ohne Wundertat!

08] Dafür taugt also die sonst gute Ansicht des Ebahl nicht, und so kann ich sie hier auch nicht benützen. Ich sage es Dir, o Herr, darum ganz glatt heraus, daß ich Dir auf Deine gordische Frage keine Antwort zu geben imstande bin. Du wirst darum schon uns allen die Gnade erweisen wollen, Deine Frage Selbst zu beantworten!«

09] Sage Ich: »Wie wäre es denn, wenn uns solch eine Frage unsere liebste Jarah erläutern möchte?«

10] Sagt Josoe etwas betroffen: »Das kann sie immerhin, wenn sie's vermag! Freilich, wenn Du, o Herr, ihr die Antwort ins Herz geben wirst, dann wird sie wohl leicht zu antworten haben!«

11] Sage Ich: »Das werde Ich eben diesmal nicht tun, und sie wird die Antwort selbst bringen müssen!«

12] Sagt Josoe: »Nun, da möchte es ihr vielleicht eben nicht um sehr vieles besser ergehen als mir!«

13] Sage Ich mit freundlichster Miene: »Nun, wir wollen sehen! Sage uns demnach, du liebste Jarah, warum sogestaltig Ich den lieben Josoe um etwas gefragt habe, um das Ich sicher schon lange vorher gewußt habe!«

14] Sagt die Jarah, ein wenig verlegen: »Herr, so ich reden darf und gewisserart muß, so scheinst Du dem lieben Josoe diese gordische Frage, wie er sie benannt hat, bloß aus einer, seine stark aufsprühende Seele ein wenig demütigenden Ursache gegeben zu haben. Denn er meinte zuvor, daß er mit mir darum nichts zu reden brauche, weil er alles das wisse, um was ich weiß, und wir beide könnten sonach miteinander nichts reden; ein solches Besprechen hieße einen vollen Becher in einen zweiten vollen Becher überschütten. Aber der liebe Josoe vergaß dabei, daß Du die Gaben des Geistes sogar unter Deine Engel verschieden ausgeteilt hast, und daß dadurch selbst ein vollkommenster Geist von einem andern vollkommensten Geiste noch gar vieles lernen kann!

15] Ich aber meine: Wenn Du, o Herr, also fragst, so fragst Du aus keinem andern Grunde, als um irgendeinen ein wenig Aufbrausenden zu einer demütigenden Selbsterkenntnis zu führen! Und soviel ich mit meiner beschränkten Erkenntnis in meinem Herzen erschaue, so hast Du dem lieben Josoe aus eben diesem Grunde solch gordische Frage gegeben.

16] Er hatte zwar ehedem, sich etwas widersprechend, dem Markus gegenüber wohl die Bemerkung gemacht, daß ich durch Deine Gnade Erfahrungen gemacht habe wie bisher kein Mensch auf der ganzen weiten Erde; und doch hält er sich für einen ebenso voll gefüllten Becher! Wenn er mir aber solch außerordentliche Erfahrungen zugesteht, so begreife ich im Ernste nicht, warum er mit mir sich in kein Gespräch einlassen wollte. Ich meinesteils aber bin dennoch der Meinung, daß ich trotz meiner sicher unerhörten Erfahrungen von ihm dennoch etwas lernen kann und halte meinen Becher für durchaus noch nicht so voll, daß in ihm von seinem vollen Becher nichts mehr Raum fände.

17] Und, wie ich's nun bemerkt habe (hier schmunzelte die Jarah ein wenig), so scheint denn sein Becher auch noch nicht gar so enorm voll zu sein, daß dann von meinem Weine in seinem übervoll sein sollenden Becher kein Tropfen mehr Raum fände!

18] Ich will aber übrigens damit durchaus keine irgend nur im geringsten gehässige Bemerkung über Josoes ein wenig zu hoch sprudelndes Selbstgefühl gemacht haben, sondern weil ich aufgefordert ward, so redete ich, wie es mir ums Herz war; ich glaube darum eben keine gar zu große Sünde begangen zu haben! Beging ich sie aber, so will ich sie auch nach Kräften wieder gutmachen!«

19] Sage Ich: »Nein, nein, durchaus nein! Dein treuestes Herz liegt ja zu offen vor Mir, und du hast Meinem lieben Josoe sogar einen großen Dienst erwiesen; denn er war in dem von dir ganz kindlich weise berührten Punkte auch wirklich etwas schwach, und diese Schwäche hätte ihn mit der Zeit wirklich auf irgend kleine Abwege zu bringen vermocht. Jetzt aber ist er geheilt auch in dieser Sphäre, und er wird nun wohl sich mit dir sehr gerne in ein erheiterndes Gespräch einlassen; denn er hat eine gute Art sich auszudrücken.«


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