Jakob Lorber: 'Das große Evangelium Johannes', Band 3, Kapitel 50


Der zwölfe Zweifel über die Person des Heilandes.

01] Aber Jarah wandelte auf Mein Geheiß nun mit dem Raphael und mit dem Josoe und besprach sich mit beiden über die so plötzlich aufgetauchte Weisheit Mathaels, und es waren somit die zwölf doppelt in der Ungewißheit, welcher aus den das Mägdlein umgebenden beiden Ich sei. Zugleich aber dachten sie sich ihn doch als einen Mann, und mit der Jarah waren dem Ansehen nach nur zwei Knaben von etwa 12-14 Jahren beschäftigt, und so ging den zwölfen die Geschichte gar nicht zusammen. Und einer aus den zwölfen sagt darum zu Suetal: ”Freund, du hast in unserem Namen diesmal ein wenig zu früh gejubelt! Das Mägdlein, das wahrscheinlich ein Töchterlein des großen Gastwirtes Ebahl aus Genezareth ist, weil wir Bergler aus dem Bezirke sie schon öfter in dem Gasthause gesehen haben, so wir im Orte etwas zu tun hatten, wandelt zwischen zwei Knaben, wahrscheinlich Söhnen des Oberstatthalters. Dieser Knaben einer oder der andere wird der Heiland aus Nazareth nicht sein. Es fragt sich nun aber: Welcher ist es dann? Ich sage dir, Bruder, mit unserer Weisheit kommen wir hier schon in keinem Falle auf; daher ist vorderhand für uns das Schweigen schon unstreitig das beste Mittel!“

02] Sagt Suetal: ”Bin nun schon auch ganz deiner Meinung; aber hier hat uns eigentlich der hohe Herr Julius so ein wenig anrennen lassen, was uns übrigens auch vollkommen recht geschehen ist; warum haben wir unsern Mund überall dabei! Schweigen, Hören und Sehen ist wahrlich das beste und gewisserart der Anfang aller Weisheit!“ Nach diesen Worten werden die zwölf still, und ihre Seelen sind voll von allerlei Gedanken.

03] Nun gehe Ich zu ihnen und frage den Suetal, sagend: ”Von euren früheren Gesprächen habe Ich alles vernommen, weil Ich sehr scharf hörende Ohren habe; aber da ihr denn doch so manches von dem gewissen Heilande aus Nazareth untereinander mit dem weisen Mathael und dem Hauptmann Julius geredet habt, dabei aber jedoch eure ganz eigene Ansicht stets verdeckt worden ist, so möchte Ich von euch nun so ganz offen erfahren, für wen ihr so ganz eigentlich in euch den Bewußten haltet. Redet aber ohne Scheu ganz offen; denn dafür bürge Ich euch, dass euch darum nichts Arges widerfahren wird! Denn Ich kenne den Heiland zu gut, dass er euch darum nichts zuleide tun wird, so ihr Mir als einem seiner nächsten und besten Freunde so ganz unverhohlen eure innerste Ansicht kundgebet!“

04] Sagt Suetal, sich ein wenig hinter den Ohren kratzend: ”Du scheinst deiner Tracht nach zwar ein Grieche zu sein, aber deinen Haaren und deinem Barte nach zu urteilen, bist du ein Jude. Die Römer sagen zwar von den Griechen eben nicht gar zu löblich: Graeca fides, nulla fides (Griechische Treue, keine Treue); aber dafür scheint mir dein Angesicht doch viel zu ehrlich zu sein, und als ein Mann von sicher einiger Weisheit wirst du es wohl einsehen, dass Menschen wie wir uns bei solch einer außerordentlichen Erscheinung denn doch nicht ganz gedankenlos verhalten können!

05] Alles das, was uns selbst die Weisheit Mathaels von dem Heilande zu verstehen gab, gleichwegs als schon vollkommen bare Münze anzunehmen, ist für Menschen unseresgleichen denn doch immer keine Kleinigkeit, und unsere Urteile über ihn werden ebenfalls sehr mangelhaft sein; denn bis jetzt haben wir von ihm nur immer noch reden hören, und die vier Bergler aus dem Bezirk Genezareth haben auch eine von ihnen erzählte außerordentliche Kraft und Macht empfunden, aber gesehen und gesprochen haben sie ihn auch nicht.

06] Wir selbst haben hier von ihm die außerordentliche Heilung der fünf arg Rasenden wahrgenommen, und man hat uns hier davon erzählt; aber auch da waren wir nicht selbst Augen- und Ohrenzeugen, sondern haben uns davon nur durch die Geheilten und durch die Erzählung von seiten des Hauptmanns und von seiten der Geheilten selbst die sicher handgreiflich klare und wahre Kunde verschafft.

07] Die außerodentlichen Tatsachen einerseits und die klaren Beurteilungen und Erörterungen besonders von seiten des grundweisen Mathael, haben nicht verfehlen können, in uns eine Vorstellung von dem bewußten Heilande zu erwecken, die wenigstens für unsere, aller höheren Weisheit baren irdischen Begriffe offenbar ins rein Göttliche übergeht!

08] Ob wir aber als wissenschafts- und noch mehr weisheitslose Menschen mit solcher unserer Vorstellung am Ende doch noch auf dem Holzwege sind, darüber kreuzen sich nun so ganz eigentlich unsere Gedanken und Vorstellungen! Wer aber kann und mag das wenigstens für uns Wissenschafts- und Weisheitsblinde so darstellen, dass uns dadurch entweder das eine oder das andere so klar wird wie die Sonne am hellen Mittage?

09] Siehe, die Wissenschaft der Menschen ist in unsern Zeiten schon sehr weit gediehen, und der Weisheit der Menschen hatte noch nie jemand Grenzen zu setzen vermocht, und so kann ganz gut, durch besondere geistige Fähigkeiten unterstützt, ein Mensch in Nazareth irgendeinen Stein der Weisheit gefunden haben, von dem der Welt bis jetzt noch nie etwas in den Sinn gekommen ist! Er kann daher ungeheure Dinge leisten, vor denen wir dastehen müssen wie die Ochsen am Berge; er kann Berge versetzen und im höchsten Sommer das Meer gefrieren machen, ja, er kann Tote erwecken und Tausende bloß durch seinen Willen vergehen machen, so sind alles das Dinge, die schon lange vor ihm von Menschen sind zustande gebracht worden!

10] In Ägypten gehört so etwas durchaus nicht zu den unerhörten Dingen; hier bei uns freilich dürfte so etwas seltener sein, weil besonders bei uns Juden alle Zauberei streng verboten ist, und so wird am Ende jede außergewöhnliche Erscheinung, durch einen Menschen selbst durch vielleicht ganz natürliche Mittel zustande gebracht, als Zauberei verdammt, und der Zauberer, so er ein Jude ist, gesteinigt oder gar lebendig verbrannt, als Fremder aber weit über die Grenze verbannt; er müßte nur ein bedeutendes Lösegeld an den Tempel zahlen, so wird es ihm gestattet, seine Künste und Zaubereien allein den Griechen und Römern ganz geheim vorzumachen. Unsereins bekommt davon in Jerusalem nichts zu Gesichte; aber als ein Apostel des Tempels in ein fremdes Land reisend ob der Bekehrung der Fremden zum Judentume, bekam man denn doch auch schon so manches zu sehen, das unsereinem unerklärlich bleiben mußte.

11] Also wirkt nun der bewußte Heiland aus Nazareth auch in bezug der Heiland von allerlei Kranken ebenfalls Unerhörtes, ja, er soll auch sogar Tote erwecken können! Aber ich sage eines wie das andere, dass all das noch lange keinen gültigen Beweis von irgendeiner besonderen göttlichen Natur in ihm und kein unwiderlegbares Zeugnis gibt.

12] Für Menschen, wie wir da sind, Wundersames leisten in Wort und Tat, ist für den Befähigten keine zu große Kunst; denn den Blinden ist leicht von den Farben zu predigen, der Sehende aber braucht ohnehin nicht viel von irgendeiner Predigt, da er die Farben auch ohne Predigt unterscheiden kann.

13] Übrigens aber kann der Nazaräer-Heiland auch ein ganz gut und im vollsten Ernste vom Geiste Gottes - gleich einem Moses, Josua, Samuel und Elias - gesalbter außerordentlicher Prophet sein und seine Werke durch die rein göttliche Kraft in sich verrichten, was wir auch für das Wahrscheinlichere halten, indem er doch ein Jude ist und als solcher nie eine Gelegenheit hat haben können, weder bei den Essäern noch bei den Ägyptern in die geheimste Schule zu kommen.

14] Wäre so etwas an ihm erweisbar, so wäre es dann freilich eben nicht gar zu schwer zu erraten, von woher er alle seine geheimen Wissenschaften hat; denn die Essäer erwecken die toten Kinder zumeist gleich dutzendweise, wovon ich mich selbst vollends überzeugt habe! Und Gott weiß es, was alles für Krankheiten sie zu heilen imstande sind!

15] Aus dem wirst du als ein recht verständig aussehender Grieche wohl zu beurteilen imstande sein, aus welchem Grunde wir trotz all des Außerordentlichen, das wir hier vernommen haben, in unserem Innersten notgedrungen von allerlei Gedanken für und gegen durchkreuzt werden.

16] Alles gleich als barste Münze anzunehmen, wäre doch ebenso toll, als alles gleich von vornherein zu verwerfen; abwarten, hören, sehen und scharf prüfen ist alles, was man da tun kann, und es wird sich dann schon herausstellen, ob man sich dem Pro oder dem Contra (dem Für oder dem Wider) anschmiegen soll; denn im Sacke kaufen wir die Tauben nie, da es denn doch auch sein könnte, dass man uns Geier für Tauben verkaufte! - Sage du uns nun, ob wir recht haben oder nicht!“



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