Jakob Lorber: 'Das große Evangelium Johannes', Band 3, Kapitel 51


Bedenken über die vernommene Göttlichkeit des Nazaräers.

01] Sage Ich: ”In einer Einsicht ja, aber in einer andern Hinsicht mitnichten! Ja, wenn die Essäer also die Toten erwecken wie der Nazaräer, dann habt ihr in jeder Hinsicht recht. Es ist aber ein wirklicher Essäer hier unter den Jüngern des Nazaräers. Er ist ausgesandt worden, um entweder den Nazaräer für deren große Truganstalt völlig zu gewinnen oder von ihm wenigstens das Geheimnis herauszulocken, wie er seine Kranken heilt und seine Toten erweckt.

02] Als er sich aber bald überzeugte, dass bei dem Nazaräer alles offen vor jedermanns Augen und ohne alle künstlichen Betrugsvorrichtungen vollbracht wird, bloß durch das alte Wort 'Es werde', da verließ er sein betrugvollstes Essäertum, verriet alle die Betrügereien und ward selbst ein wirklicher Jünger des Nazaräers. Dort steht er unter einem Baume ganz allein; geht hin und besprecht euch mit ihm!“

03] Antwortet ein anderer aus den achten; ”Freund, es hat das für uns keine Not; denn das Essäertum kenne ich aus dem Fundamente. Es ist ein zwar großartigster, aber im Grunde ein lobenswerter Betrug, und der Nazaräer ist da nie in die traurige Schule gegangen! Aber für Ägypten will ich eher sein; denn der Nazaräer muß große Freunde unter den Römern haben, und durch diese kann man schon nach Ägypten kommen!“

04] Sage Ich zum zweiten Redner, der da Ribar hieß: ”Wie kamst denn du hinter die Geheimnisse der Essäer? Denn wie Ich es vernommen habe, so soll solches ohne Lebensgefahr wohl kaum möglich sein!“

05] Ribar erwidert: ”Freund, mit viel Geld und mit einem gehörigen Maße von allerlei Pfiffigkeit versehen, kommt man überall durch. Natürlich muß man so von Haus aus nicht auf den Kopf gefallen sein, damit man hinter dem, was einem gezeigt wird, auch das andere sieht, was einem nicht gezeigt wird! Dazu gehört aber offenbar ein bedeutender Grad von einer besonders feinschlauen Pfiffigkeit; und so möchte ich denn auch einmal dem guten Heilande aus Nazareth auf den Zahn fühlen, und ich stehe dafür, dass er mich nicht blenden wird.

06] Ist aber an ihm wirklich das, was man von ihm redet und der wirklich hochweise Mathael von ihm dargetan hat, nun, so wird man ihn auch gleich dem Mathael zu würdigen verstehen! Mich beirrt nur eine Sache, und die ist, dass er Jünger annimmt. Ich sage: Ist seine Sache eine rein göttliche, so wird sie ihm kein Jünger je nachzuahmen imstande sein, und würde er auch eine volle Ewigkeit zu ihm in die Schule gehen. Ist die Sache aber eine menschliche, da sind die Jünger ganz begreiflich; denn was ein Mensch macht, das kann auch ein anderer Mensch machen, wenn er dafür die Kenntnisse und die genügenden Mittel besitzt. Ist aber die Sache eine, wie gesagt, rein göttliche, da wird es mit dem Nachmachen wohl ewig nicht gehen! Denn dazu gehörte die ganze Allmacht und Weisheit Gottes!“

07] Sage Ich: ”Mein Freund Ribar, du redest zwar durchaus nicht übel, hast aber im Grunde doch unrecht; denn ein Gott kann ja doch auch aus der Zahl der Menschen einige besonders ziehen und ausbilden, wie Er einen Henoch, einen Moses und noch eine Menge Propheten ausgebildet hat, auf dass sie dann zu Lehrern der Menschheit wurden und zu Verkündern des göttlichen Willens an die Menschen dieser Erde. Mit dieser Annahme scheinst du demnach sehr auf dem Holzwege zu sein und wirst damit dem Heilande von Nazareth schlecht beikommen können!

08] Mit der Pfiffigkeit wirst du an dem Nazaräer einen sehr mächtigen und unbesiegbaren Gegner überkommen! Ich kenne ihn und weiß, dass ihm von menschlicher Seite schon gar nicht beizukommen ist; denn auf tausend ist es sehr schwer, ihm eins zu entgegnen!“

09] Sagt Ribar: ”Es kommt alles auf eine Probe an! Ich habe schon oft solche Antiphonen und Präludien (Wechselgesänge und Vorspiele) gehört, aber am Ende kam es fast auf den Spruch der Römer hinaus: Si tacuisses, philosophus mansisses (Wenn du geschwiegen hättest, so wärst du ein Philosoph geblieben). Daher gilt bei mir ante (vorher) nichts, sondern stets nur das post festum (nach dem Feste; d.h. hinterher) etwas. Ich anticipiere (vorwegnehmen) niemals und schöpfe über nichts ein Urteil, was ich nicht selbst erprobt habe; habe ich aber einmal etwas erprobt, so habe ich noch selten ein schiefes Urteil gefällt, sondern noch so ziemlich allzeit den Nagel auf den Kopf getroffen. - Bist du etwa auch so ein Jünger von ihm?“

10] Sage Ich: ”Das gerade nicht, aber sonst einer seiner ersten Freunde, und ich kenne ihn schier am besten!“ - Bei diesem Zwiegespräch können sich mehrere eines versteckten Lächelns kaum erwehren, und es entgeht niemand auch nur ein Wörtlein.



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