Jakob Lorber: 'Das große Evangelium Johannes', Band 4, Kapitel 160


Des Cyrenius Bedenken über die irdische Seelenentwicklungsordnung.

01] Sagt Cyrenius: ”Herr, Du allein Weiser und Gerechter, was da betrifft diese Geschichte, so ist sie mir nun völlig klar; denn ich sehe dies von Dir ausgehende wahrhaft göttliche Kunstgefüge im natürlichen Werdungsfortgange, ich sehe Deine ewige Ordnung und sehe auch, dass Dir nur in solcher Ordnung alle Dinge möglich sind. Aber eines darunter bleibt mir im Ernste etwas dunkel, und ich kann da schon denken, wie ich will, so will's mir darin dennoch nicht lichter und heller werden.

02] Ich begreife nämlich das noch immer nicht, warum unsere menschliche Seele denn zuvor, ehe sie in die vollintelligente menschliche Form übergeht, ganz zerteilt in tausendmal tausend Pflanzen, ja sogar Mineralien und in mehr als noch einmal soviel Tieren bestehen muß. Bevor sie also eine vollkommene Menschenseele wird, muß sie durch Blitz und Regen aus den Steinen - und wer weiß, aus was noch - vorher gewisserart herausgefeuert und endlich herausgeschwemmt werden?! Nachher geht diese Seelenwanderungs- und Seelenzusammenklaubungsgeschichte langweilig genug durch die ganze Pflanzen- und Tierwelt hindurch, und am Ende muß sie noch die Ehre haben, als eine werdende kräftige Menschenseele in wenigstens zwanzig Ochsen totgeschlachtet zu werden und daneben noch so in etwa hundert Schafen, Kälbern und Eseln?! Das nennen wir Römer eine Doctrina dura (harte Lehre).

03] Wäre es denn Gott nicht möglich, gleich eine vollkommene Menschenseele zu erschaffen und sie dann zu umkleiden mit Fleisch und Blut? Wozu denn ein so langweiliges Fortschreiten? Da sehen wir unsern Raphael an! Was geht dem irgend wohl noch ab zu einem vollendeten Leben?! Was sind wir zusammengeklaubte Seelen gegen ihn?! Hat er nicht im kleinsten Finger mehr Macht und Weisheit als wir im ganzen Leibe legionenweise zusammengestellt?! Ich möchte den Untergang von tausend Legionen der bewährtesten Krieger nicht sehen; in einem Nu würde er sie alle zu Staub zermalmen! Das nenne ich eine Lebensvollendung! Kann sie dem von Dir aus verliehen werden, warum denn einer Menschenseele nicht?! Oder hat auch sein Geist als eine Seele zuvor eine so ungeheure Durchwanderung durch wer weiß wie zahllos viele Stufen machen müssen? Das, o Herr, ist so meine Nachtseite! Gib auch da ein rechtes Licht hinein, und ich will Dich weiterhin sicher mit keiner so dummen Frage mehr belästigen!

04] In eurem Moses heißt es wohl: "Und Gott der Herr machte den Menschen aus einem Erdenkloß, und Er blies ihm ein den lebendigen Odem in seine Nase. Und also ward der Mensch eine lebendige Seele." Nach diesen freilich höchst dunklen Worten - wenn man sie so nehmen könnte, wie sie wortlautig stehen - hättest Du als Gott dem Menschen dann also wohl eine schon vollkommene Seele durch seine Nüstern eingeblasen, und der ganze Mensch wäre dann nach Deinem Bilde zur vollkommenen Seele geworden. Aber es ist da schon das eine ebenso lichtlos wie das andere. Darum bitte ich Dich, uns allen nur so zur Not ein Lichtlein da hineinzustellen!“

05] Sage Ich: ”Ja, Mein lieber Freund Cyrenius, wenn dein Gedächtnis dich hie und da schon zuweilen zu verlassen anfängt, so kann Ich da nicht dafür; denn das, was du nun wissen möchtest, habe Ich euch ja schon lange ganz umständlich erklärt! Du hast es ja nur vergessen; Ich werde dir dein Gedächtnis ein wenig wecken, und es wird dir dann schon alles recht helle werden!“

06] Sagt Cyrenius: ”Ja, ja, Herr, Du hast schon allzeit recht! Ich bin nun schon ganz im klaren; auf diesem Berge und in dieser Nacht ist uns alles auf ein Haar klein erklärt worden, als wir alle durch das magische Licht der gewissen Leuchtkugel alles werden und sogar den Ausfluß Deiner Gedanken und Ideen, ihre endloseste Vielheit und sogar unsere höchst eigenen Gedanken vor uns in Gestalt von feurigen Zungen und Zünglein haben schweben sehen! Ja, ja, das alles haben wir nicht nur schon gehört, sondern auch ordentlich gesehen!“



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