Jakob Lorber: 'Das große Evangelium Johannes', Band 4, Kapitel 161


Cyrenius kritisiert die Mosaische Schöpfungsgeschichte.

01] (Cyrenius:) ”Mit Moses aber kann ich mich alles dessenungeachtet noch nicht so recht befreunden. Es muß viel außerordentlich Großes und Wahres darin liegen; aber wer außer Dir versteht das, was er geschrieben hat?

02] Besonders dunkel ist seine Schöpfungsgeschichte gehalten! Einmal heißt es: "Lasst uns Menschen machen, ein Bild, das uns gleich sei, die da herrschen über die Fische im Meere, über die Vögel unter dem Himmel, über das Vieh und über die ganze Erde und über das Gewürm, das auf der Erde kriecht!" Und Gott schuf den Menschen Ihm zum Bilde, zum Bilde Gottes schuf Er ihn; und schuf sie ein Männlein und ein Fräulein. Und Gott segnete sie und sprach zu ihnen: ,Seid fruchtbar und mehret euch und füllet die Erde und macht sie euch untertan und herrschet über die Fische im Meere, über die Vögel unter dem Himmel und über alles Getier, das auf Erden kriecht!' Und Gott sprach: ,Seht da. Ich habe euch gegeben allerlei Kraut, das sich besamet auf der ganzen Erde, und allerlei fruchtbare Bäume, die sich besamen zu eurer Speise, und allem Getier auf Erden und allen Vögeln unter den Himmeln und allem Gewürme, das da lebt auf Erden, dass sie allerlei Grünkraut essen!' Und es geschah also. Und Gott sah alles an, was Er gemacht hatte, und siehe da, es war alles sehr gut! Und es ward aus dem Abend und Morgen der sechste Tag."

03] Mit dieser Textierung sollte man nun die Erschaffengsgeschichte als abgemacht betrachten; allein dem ist es bei weitem nicht also! Hinterdrein, nachdem Gott der Herr Seine Schöpfung allenthalben ansah und alles sehr gut fand, läßt Moses wieder von Gott den ersten Menschen aus Lehm oder einem Erdenkloße formen und ihm durch die Nase einhauchen eine Seele, und der Mensch wäre nun da als vollends fertig; nur scheint Gott vergessen zu haben, dass auch der Mensch eines Weibleins benötigen wird!

04] In der früheren Textierung heißt es zwar: "Und Gott schuf ein Männlein und ein Fräulein"; hier aber, nachher, läßt Moses den Adam lange allein sein und läßt ihm erst dann in einem tiefen Schlafe von Gott das erste Weib aus seiner Rippe erschaffen oder machen! Nun, wer das vernünftig und sinnreich verbinden kann, der versteht offenbar mehr als ich!

05] Nach der ersten Textierung zeigt Gott dem Adam und der Eva sogleich an, dass sie beherrschen sollen die ganze Erde und alle Kreatur auf ihr. Er segnet sie alsogleich; denn es heißt: "Und Gott segnete sie." Und also muß Er zuvor auch schon die Erde und alle ihre Kreatur gesegnet haben; denn es steht auch geschrieben, dass Gott Selbst alles sehr gut fand, was Er erschaffen hatte. Was aber Gott Selbst als sehr gut findet, das kann doch unmöglich anders als schon durch das allerhöchste Wohlgefallen Gottes auch höchst gesegnet sein!

06] Also erscheint in der Vortextierung die ganze Erde und das erste Menschenpaar als im höchsten Grade gesegnet! Aber in der Nachtextierung bekommt alles gleich ein anderes Gesicht: Die Erde hat nur einen bewohnbaren Garten, der freilich hübsch groß sein mußte, weil in seiner Mitte gleich vier der größten Ströme Asias (Asiens) entspringen. Da ward von Gott der erste Mann allein aus Lehm gemacht und ihm darauf eine lebendige Seele durch die Nasenlöcher eingehaucht; er sah und benannte die Bäume und das Kraut, die Fische im Meere, die Vögel unter dem Himmel und alles Getier, das auf Erden umherkriecht und umherwandelt.

07] Die Insekten, Fliegen, Bienen, Wespen, Hornissen, Schmetterlinge, und noch eine große Menge der kleinen Luftbewohner, die man doch kein Gewürm nennen kann, hatte Moses ebensogut, wie außer den Fischen die zahllose Meeresbewohnerschaft, rein vergessen; denn er spricht in der Luft, als unter dem Himmel, nur von den Vögeln, und im Meere nur von den Fischen. Das ist auch ein wenig sonderbar!

08] Aber lassen wir das noch so dahingehen; denn man kann unter dem Begriffe 'Vögel' am Ende ja alles im allgemeinsten Sinne verstehen, was da bewohnt die Luft, und unter dem allgemeinen Begriffe 'Fisch' alles Getier, das da hauset im Wasser. Ob aber Moses seine aufgestellten Begriffe auch so weit ausgedehnt hatte, wie es zu seinem Rechtverstehen nötig sein möchte, das könnte ich wohl in keinem Falle behaupten!

09] Sei dem aber nun, wie ihm wolle, damit könnte man sich immerhin noch verständigen lassen; aber wie er in der Vortextierung am sechsten Schöpfungstage von Gott aus gleich nach dem Ausrufe Gottes 'Lasst uns Menschen erschaffen nach dem Bilde Gottes!' ein Männlein und ein Fräulein werden läßt, in der Nachtextierung aber das Männlein lange zuvor aus Lehm geformt hat, das Fräulein aber viel später aus des Männleins Rippe werden läßt, die ganze Erde bei weitem ungesegneter erscheint, von der Segnung dieses ersten Menschenpaares gar keine Rede ist, im Gegenteil ihnen von einem gewissen Baume bei Androhung der Strafe des Todes und der Verfluchung der Erde die Frucht zu essen verboten wird, und wie es später nach der Übertretung dieses Gebotes auch heißt, dass die Erde im Ernste verflucht ward und nun nur Dornen und Disteln tragen werde, und nebstdem, dass er sterben müsse, und dass er sich im Schweiße seines Angesichtes werde das Brot erwerben müssen, - ja, da ist von der Segnung, deren Moses in der Vortextierung erwähnt, sowie von der ebendaselbst erwähnten höchsten Zufriedenheit der beendeten Werke Gottes keine allerleiseste Spur irgend mehr zu entdecken! Ja, Du unser allergöttlichster Freund, das ist denn doch etwa auch eine Doctrina dura (harte, schwer zu verstehende Lehre), und man kann sich in ihr selbst beim besten Willen nicht zurechtfinden!

10] Aufrichtig gesagt: Wer Du, o Herr, bist, und was Du lehrest, das glaube ich mehr als felsenfest; aber mit dem etwas stark verwirrten Moses bleibt mir so hübsch weit vom Leibe! Ist es Dir möglich, mir darüber irgendein Licht zu geben, so ist es mir recht; ist aber das vorderhand nicht Deiner Ordnung gemäß leicht tunlich, nun, so liegt da für mich wenigstens sehr wenig oder auch gar nichts daran! Ich und wir alle haben von Dir ein vollkommenes Licht und können daher des Moses Afterlicht leicht missen. Was nützt uns eine Lehre, die wir in ihrer Urwahrheit nicht verstehen können?! Besser ein belehrend verständiges Wort als zehntausend Worte, die niemand versteht!“



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