Jakob Lorber: 'Das große Evangelium Johannes', Band 7


Kapitelinhalt 45. Kapitel: Die veränderte Himmelserscheinung und die Verlegenheit der Templer.

01] Sagte der ebenfalls ganz nahe bei Mir stehende Römer: »Aber der unbegreiflichen Blindheit dieser so vielen Menschen! Da rennen die Narren hin, und das sollen die erleuchteten Juden - sage - Gottes Volk sein, und wir blinden Heiden stehen an der Urquelle des Lebens, des Lichtes und an der Quelle der ewigen Urwahrheit! Es ist wahrlich im hohen Grade sonderbar! Wir, offenbar die Letzten, sind - und sage, wer da immer etwas wolle - nun offenbar die Ersten, und diese, Abrahams Kinder, wälzen sich da unten gleich den Schweinen im schmutzigsten Schlamme herum! Das, o Herr, ist für uns Heiden eine ewig unbegreifliche Gnade, die wir wahrlich nie aber auch nur im geringsten verdient haben! Na, ich bin hier denn doch nun auf den weiteren Verlauf dieser höchst sonderbaren Sache und Begebenheit wahrlich auch schon aufs höchste gespannt! Was da am Ende noch alles herauskommen wird, das wirst Du, o Herr, ganz allein am allerbesten wissen!«

02] Sagte Ich: »Die Sache wird durchaus nicht übel ausfallen! Es ist an der Zeit, diese argen Weltmäkler endlich auf eine ganz eigentümliche Art und Weise in eine große Verlegenheit zu setzen, wodurch sie wieder gar vieles beim besseren Volke verlieren werden.

03] Aber nun haben sie ihren Rat da unten in der eiligsten Kürze abgehalten, und der lautet nun dahin, daß die zehn Säulen die dem Tempel noch treu gebliebenen zehn Stämme aus dem Stamme Israels bedeuten und die zwei Stämme verworfen worden sind, aus denen die Samariter und auch die Galiläer hervorgegangen sind, und es verunreinige sich ein jeder Jude auf ein ganzes Jahr, der die zwei verworfenen Stämme auch nur laut beim Namen nenne.

04] Das Volk schlägt sich mit Fäusten an die Brust und schwört, diese verruchten Stämme nimmerdar beim Namen zu nennen.

05] Aber nun gebet acht, und es werden sogleich zu den zehn Säulen noch zwei dazuwachsen, und dann schauet euch nachher die Hetze an! Die Zeit ist um, und es soll sogleich die besagte Veränderung vor sich gehen.«

06] Nun gaben alle acht, und es stiegen zu gleicher Zeit noch die zwei Säulen im Osten in größter Pracht in die Höhe; aber diese beiden Säulen glänzten für sich ums zehnfache stärker als die früheren zehn Säulen zusammen, und es stand die eine zur Rechten und die andere zur Linken der - früheren zehn Säulen, und ihr starkes Licht ward nun bis gen Europa hin und nach rückwärts bis vierhundert Meilen weit wahrgenommen.

07] Jetzt war es aber aus beim Volke und noch mehr mißlich aus bei den Templern. Von des Tempels Zinnen fingen nun die Posaunen gar gewaltig zu schmettern an, um noch mehr Räte aufzuwecken, obwohl ohnehin schon beim ersten Posaunenrufe alle in Jerusalem wohnenden Priester beim ersten Rate anwesend waren. Es kam nun zwar niemand mehr, aber dennoch wurde zu einer abermaligen Beratung geschritten. Aber der ganze Hohe Rat wußte nun aus den zwei zuletzt aufgegangenen, überlichten Säulen nichts mehr zu machen, weil er sich bei der Erklärung der ersten zehn gar jämmerlich verhauen hatte.

08] Das Volk aber schrie laut: »Das sind die zwei Stämme, von denen ihr gesagt habt, daß sie verworfen seien! Und wenn es nicht also ist, so erkläret es uns, sonst fordern wir unsere euch dargebrachten Opfer zurück, oder wir bestürmen euch!«

09] Da fingen den Templern alle Ängste aufzusteigen an. Es dauerte die Geschichte eine ganz kurze Zeit, und es kam dann einer mit einer ganz überaus dummen Ausrede, über die im Volke eine große Lache entstand.

10] Und ein stämmiger Jude sagte laut zu den Pharisäern: »Wenn ihr uns in unserer großen Angst, Not und Bestürzung keine befriedigende Auskunft zu geben imstande seid, so brauchen wir euch auch dann nicht, wenn keine solchen jedes Menschenherz im höchsten Grade beunruhigenden und ängstigenden Zeichen am Himmel sich zeigen! Wenn ihr uns jetzt keinen Trost geben könnet, - wozu seid ihr dann? Ihr könnt nichts als Zehent und große Opfer fordern und sie dann verschlingen und vergeuden und könnt weise Menschen aus dem Tempel mit Steinen treiben, die euch die Wahrheit ins Gesicht sagen und Kranke wunderbar heilen! Aber nun, wo das offenbare Gericht Gottes mit dem erschrecklichsten Lichte über uns alle hereinleuchtet, seid ihr stumm wie eine Mauer und getrauet euch kein Wort zu reden! Oh, da zieht hinaus zu den erschrecklichen zwölf Säulen, die ein wahres Jüngstes-Gerichtstages-Licht allerdrohendst über die Erde hin verbreiten und sicher bald mit dem allererschrecklichsten Feuersturm alles, was an der Erde lebt und webt, zerstören werden, und bewerfet sie mit euren verfluchten Steinen, und begießet sie mit eurem verfluchten Wasser, und wir wollen sehen, ob die zwölf allererschrecklichsten Feuersäulen sich vor eures Priestertums Macht beugen werden! O ihr elenden und sonst so hochmütig grausamen Heuchler und Volksbetrüger! Jetzt, jetzt zeigt uns, daß ihr die allein wahren Freunde und Diener Gottes seid, sonst werden wir Volk uns an euch rächen für jede Unbill, die wir von euch zu erdulden bekamen!«

11] Hier trat ein Oberster auf und sagte: »Du Volksredner, habe doch Geduld! Der Hohepriester betet ja ohnehin schon im Allerheiligsten mit zerrissenem Oberkleide, und wir werden uns auch noch, wenn es nötig werden sollte, dazugesellen, und es wird dann schon wieder besser werden. Ihr müsst nur nicht gar so schnell verzweifeln, wenn Jehova uns mit irgendeiner Plage heimsucht, die wir alle zusammen sicher verdient haben werden. Anstatt daß ihr nun uns Priester mit allerlei Schmähungen und Drohungen überhäufet, betet vielmehr zu Gott, daß Er bei uns Gnade für Recht ergehen lasse! Das wird besser sein als euer gegenwärtiges Benehmen gegen uns; denn in der Not kann jeder Mensch ganz wirksam zu Gott beten.«

12] Diese Rede beschwichtigte das Volk ein wenig, und es fing an zu beten, und die Priester zogen sich wohlweisermaßen zurück und hielten unter sich Rat, was diese so sonderbare Erscheinung sei. Aber sie kamen zu keinem haltbaren Bescheide, und so wuchs auch in ihnen die Angst. Und es war das ein merkwürdiger Kontrast zwischen denen, die sich bei Mir auf dem Berge befanden, und den Templern und dem zu ihnen Zuflucht genommen habenden Volke. Die Meinen waren alle voll der freudigsten Entzückung über den herrlichen Anblick dieser Lichtsäulen, und im Tempel herrschte darob die größte Bestürzung.

13] Es befand sich aber im Tempel auch der schon bekannte Nikodemus im Rate und ward auch um seine Meinung befragt.

14] Aber er sagte (Nikodemus): »Ihr habt auf meinen Rat nie etwas gehalten, weil ihr mich schon zu öfteren Malen beschuldigt habt, daß ich's heimlich mit den Galiläern hielte, und ich erachte auch bei dieser unerhörten Gelegenheit meinen Rat für sehr erläßlich. Denn hat Jehova uns wohlverdientermaßen eine große Strafe oder gar den völligen Untergang bestimmt, so wird dagegen keines Menschen Rat mehr etwas vermögen, und mit unserem wenig sagenden Amte hat es dann für alle Zeiten ein Ende. Hat Jehova aber die zwölf schrecklichen Feuersäulen uns nur als ein letztes Mahnzeichen zur wahren Buße hingestellt, so werden wir wohl durch einen Propheten noch zur rechten Zeit erfahren, welche Buße und Opfer Gott von uns verlangt. Doch bedenkt es alle wohl: den Zacharias habt ihr ermordet, und er war sichtlich ein Prophet! Also mußte auch der Prediger und Täufer am Jordan durch eure Vermittlung im Gefängnisse des Herodes enthauptet werden. Und wieder kam ein großer Weiser aus Galiläa, lehrte vor drei Tagen im Tempel, und seine Lehre war gut und wahr vor dem Volke, und ihr wolltet ihn darum auch steinigen. Ja, wenn ihr mit allen vom Geiste Jehovas erfüllten Menschen gleichfort also verfahren wollt, da ist zur Verhütung unseres allseitigen, sichern Unterganges euch selbst von Gott aus kein Rat mehr zu erteilen und von mir aus um so weniger, obschon ich ein Ältester im Tempel bin!«

15] Sagte der Hohepriester, der im Rate präsidierte: »Ja, wer kann uns denn beweisen, daß die von dir erwähnten Männer wahrhaft von Gott erweckte Propheten waren?«

16] Sagte Nikodemus: »Gleichwie du nun fragten in den Zeiten der wahren Propheten auch die Hohenpriester im Hohen Rate, und der traurige Beschluß war allzeit leider dahin lautend, daß die nachher erkannten wahren Propheten allzeit zum größten Teile gesteinigt oder erwürgt worden sind. Und wie es damals war, also und noch um vieles schlechter ist es jetzt, was ich mit großem Leidwesen offen bekennen muß. Und weil es leider also ist, ist auch des Herrn Geduld mit uns höchstwahrscheinlich zu Ende gekommen, was uns jene zwölf erschrecklichen Feuersäulen nun nur zu augenscheinlich zeigen, und dagegen wird wahrscheinlich kein menschlicher Rat irgend etwas mehr vermögen. Seht nur hin, wie sie stets größer und dichter werden, - was sicher daher rührt, daß sie uns näher und näher rücken!

17] O welch ein schrecklicher Tag in der Nacht! Es ist nun noch kaum die fünfte Stunde der Nacht, und in der Welt ist es so hell wie am hellsten Mittage! Darum werde ich euch nun verlassen und mich in mein Haus zu den Meinen zurückbegeben und sie nach Möglichkeit trösten.«

18] Der Hohe Rat aber wollte ihn zurückhalten; Nikodemus sagte jedoch: »Wenn ich euch in etwas nützen könnte, so würde ich auch bleiben; aber da ich euch hier ebensowenig nützen kann wie ihr mir, so gehe ich und will lieber zu Hause sterben als hier in diesen schon so oft entweihten Mauern.«



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