Jakob Lorber: 'Das große Evangelium Johannes', Band 9


Kapitelinhalt 16. Kapitel: Lebensgeschichte der gefangenen Räuber.

01] (Die drei Räuber:) »Wir waren anfangs wohl sehr traurig und zogen weinend in unsere Gegend zurück, um allda ein Unterkommen zu finden. Wir fanden auch Dienste, die aber wahrlich so elend waren, wie es schon nichts Elenderes geben kann. Von einem Lohne war schon gar nirgends eine Rede. Um eine für die Schweine zu schlechte Kost mußten wir beinahe Tag und Nacht schwer arbeiten und wurden bei allem unserm Fleiße allzeit nur beschimpft und getadelt; und suchten wir irgendeinen andern, vielleicht noch besseren Dienst, so fanden wir statt einen bessern nur einen noch schlechteren.

02] Wir litten so fünf Jahre hindurch mehr denn so mancher Heidensklave, und da man uns nirgends einen Geldlohn gab und wir auch sahen, wie schändlich wir von den Templern aller unserer Güter unter dem Titel 'Zur Ehre Jehovas' beraubt worden waren, und auch stets heller einzusehen anfingen, daß der Tempel zu Jerusalem kein Gotteshaus, sondern eine wahre Räuberhöhle und Mördergrube ist, so verloren wir denn auch allen Glauben an einen Gott, und die ganze Lehre Mosis und der Propheten galt uns nur als ein Menschenwerk, durch das sich die pfiffigeren und zum Arbeiten trägen Menschen durch die Hände der Armen und leichtgläubig blinden Menschen eine feste Burg erbauten, um aus derselben die Menschen zu knechten, für sich arbeiten zu lassen und sich dabei im größten Wohlleben zu mästen.

03] Ob wir die besagten fünf elendesten Jahre hindurch uns an keinen Diebstahl gewagt haben? Nein! Weil uns unser Glaube an einen allsehenden Gott davon noch abhielt. Aber nach dieser Zeit fingen wir uns ernstlicher zu fragen an, ob es wohl einen Gott gäbe, - und stets lauter kam uns aus unseren Erfahrungen die Antwort entgegen: Nichts gibt es! Alles ist Trug und Lüge, erfunden von trägen und phantasiereichen Menschen zu ihrem irdischen Wohle! Nur wir ohne unser Verschulden arm gewordenen Menschen sollen die Gesetze halten und an einen Gott glauben; die Reichen und Arbeitsscheuen haben das nicht nötig, weil sie wissen, daß am Moses und all den Propheten kein wahres Wörtlein haftet. Denn wäre es anders, so müßten sie ja doch selbst im Glauben stehen und die Gesetze halten, die an und für sich fürs irdische Zusammenleben der Menschen wohl ganz gut sind, aber in sich dennoch keinen moralisch geistigen Wert haben; denn hätten sie den, da müßten ja doch vor allem die Priester zum Beispiel für die blinden Laien strenge danach leben.

04] Kurz, unter solchen gewiegten Betrachtungen in unserem Elende und infolge der stets totalen Unerhörtheit aller unserer vielen Bitten, die wir unter vielen Tränen zu den Sternen emporsandten, und ferner noch mehr infolgedessen, als wir vernommen hatten, daß unsere Mutter in dem gewissen Stifte auffallend bald nach ihrem Eintritt gar elend gestorben sei und unsere schönsten Schwestern von den Pharisäern beinahe zu Tode geschändet worden seien, war es vollends aus mit all unserem Glauben, und wir beschlossen, uns an der argen Menschheit zu rächen und ihr zu Gefallen keine leichtgläubigen, blinden Narren mehr zu machen.

05] Wir fingen an, uns an den Reichtümern der Wohlhabenden zu vergreifen, und es gelang unserer Schlauheit stets, mit heiler Haut durchzukommen. Dies gab uns doch noch so ein kleines Vertrauen zu unseren gewissen Paketchen, und wir befanden uns ganz wohl bei unserem Geschäfte durch einige Jahre. Doch diesmal waren wir zu wenig vorsichtig und wurden ergriffen, was uns denn auch wahrlich nichts macht; denn wir sind alles mögliche Elend schon gewohnt und unser Leben ist uns schon lange zum höchsten Überdruß geworden, und jeder von uns wünscht sich den Tod. Doch bevor wir etwa ans Kreuz gebunden werden, soll laut der gräßlichste Fluch über die ganze Erde, über alle Menschen und anderen Kreaturen, über Sonne, Mond und Sterne und über die Naturkraft, die uns in ein so elendes Dasein rief, überlaut ausgesprochen werden, und wir werden es den Menschen zeigen, was und wieviel an ihrem allein wahren Gott, an Seinen Gesetzen und an Seinen Priestern gelegen ist.

06] Wir haben zwar bis jetzt noch keine Mordtat begangen, und das aus dem Grunde, weil wir Elenden jedem sein elendes Leben gönnten und niemand von seinem größten Elende befreien wollten, - doch wer sich uns widersetzte auf den Straßen, der ward von uns arg zugerichtet; denn aus unseren Herzen ist schon lange ein jeder Tropfen barmherzigen Blutes entschwunden. Wahrlich, könnten wir mit einem Schlag gar alle Menschen auf der ganzen Erde vernichten, so wäre das für uns ein größtes Labsal, und irgendein harter und tauber Gott könnte sich dann wieder andere elende Menschenkreaturen aus den Pfützen und Sümpfen zu Seinem tyrannischen Vergnügen zusammenmodeln!

07] Und nun weißt du, gestrenger Herr und Richter, alles und kannst über uns Elende nach deinem Gutdünken urteilen; doch bedenke wohl zuvor, wer und was die Schuld an unserem Elend war! Wir haben treu, wahr und offen, wie du es verlangt hast, geredet.«



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