Jakob Lorber: 'Das große Evangelium Johannes', Band 9


Kapitelinhalt 17. Kapitel: Entrüstung über Pharisäerverhalten und gute Absicht des Wirtes.

01] Als der eine Dieb vor Mir solches ausgeredet hatte, da schlug der Wirt, Kado und der alte Apollon dreimal die Hände über dem Kopfe zusammen und sagte: »Nein, Herr und Meister, das von den Pharisäern von Jerusalem zu hören, macht mich ordentlich grimm- und wutwirre im ganzen Gemüte, und ich begreife nun wahrlich nicht, wie ein Gott, den du uns auf die allerwahrste und lebendigste Weise kennen lehrtest, solchen Greueln so viele Jahre lang mit einer wahrlich unbegreiflichen Geduld zusehen kann und wie zulassen solche Missetaten. Gegen solche Priester sind ja die Straßendiebe und Räuber noch wahre Engel!

02] Wahrlich, wenn diese drei dadurch so elend geworden sind, wie der eine es ausgesagt hat, so verdienen erstens die elenden Templer, die ärger denn die Heidenfurien handeln, mit einem Hieb vernichtet zu werden, und diese drei verdienen zweitens nicht nur keine Strafe, sondern noch eine Belohnung; denn daß sie das geworden sind, als was sie nun vor uns stehen, daran schuldet doch wohl niemand anders denn solche fluchwürdigsten Priester, die sich als Diener des einen, allein wahren Gottes allenthalben überhoch ehren und anbeten lassen, als Menschen aber alle wilden und reißenden Wald- und Wüstenbestien an Grausamkeit himmelhoch übertreffen.

03] Herr und Meister, es wäre da wahrlich an der Zeit, über solche Ausgeburten der wahrhaftigen Hölle ein sie vernichtendes Gericht loszulassen; denn diese Ärgsten aller Argen müssen ja schon eine solche Masse Greuel an ihren Nebenmenschen begangen haben, daß deren Zahl kein Mensch mehr auszusprechen vermag! Diese drei aber dauern mich als einen Heiden in der Seele, und ich werde sie mit keiner Strafe belegen, sondern sie freilassen, und sie sollen und werden in meinem Hause ihr gutes Unterkommen haben ihr Leben lang und mir als treue Zeugen allzeit zur Seite stehen, wo es sich darum handeln wird, gegen die Teufel im Tempel zu Jerusalem kräftigst zu wirken. Es soll mir nur bald wieder so ein Judenpriester, wie das sehr oft geschieht, mit einer Klage wider jemanden kommen, bei dem er noch einen Zehnt einzutreiben hat! Ich werde ihm dann schon sagen, wie er heißt, und was er von mir für ein Recht zu gewärtigen hat! Und habe ich einmal das Zeitliche verlassen, so wird mein liebster Sohn Kado in meinem Geiste fortzufahren verstehen.«

04] Hierauf wandte er sich zu den drei Dieben mit freundlicher Miene und sagte: »Seid ihr mit meinem Urteil zufrieden, und wollt ihr meinen Antrag annehmen?«

05] Sagte der eine, der schon ehedem geredet hatte: »Also, unter den Heiden gibt es noch wahre Menschen, die man unter den Juden nicht mehr findet, die sich frechstermaßen das erwählte Volk Jehovas und Kinder Gottes nennen, dabei aber wahre Kinder aller Teufel sind! Mit vielen Freuden und mit dem dankbarsten Herzen nehmen wir deinen Antrag an und wollen dir treuer dienen als jemand, den du zu deinen treusten Dienern gezählt hast. Wir wollen von nun an das Gute des Guten wegen tun und die Wahrheit um ihrer selbst willen zu unserer ferneren Lebensrichtschnur erwählen, und keine Hölle, als der Juden jenseitige Seelenstrafe für ihre Sünden, soll uns vom Bösen abhalten und kein Himmel, als ewiger Seelenlohn für ihre guten Taten, uns zum Guten und Wahren ermuntern, sondern das Gute und Wahre für sich soll unser wahrhaftigster Himmel sein, und wir werden uns nach allen unseren Kräften emsigst bestreben, uns diesen Himmel anzueignen.

06] Aber nun bitten wir dich, uns von den Fesseln zu befreien; denn wir haben sie zu tragen wahrlich nicht verdient. Wahrhaft gute Menschen werden das wohl auch einsehen, und ein gerechter Richter sollte lieber diejenigen auf das schonungsloseste züchtigen, die durch ihr unbarmherzigstes Handeln und Gebaren die Menschen zu Verbrechern machten und nicht so sehr die Verbrecher, die nur die Not, Verzweiflung und der Zorn über die unbegrenzte und frechste Bosheit der Menschen zu Handlungen zwang, die an und für sich zwar böse, aber bei Menschen, wie wir sind, sicher sehr zu entschuldigen sein sollen.

07] Oh, wie viele schmachten in den Kerkern, die, von ihrer Kindheit an gerechnet, sicher die allergeringste Schuld tragen, daß sie Verbrecher geworden sind; denn entweder sind sie durch eine schlechte Erziehung oder auf die Art wie wir zu Verbrechern geworden.

08] Wenn es einen höchst guten, weisesten und dabei sicher gerechtesten Gott gäbe, so müßte Er das ja doch auch einsehen und mit Seiner Allmacht jene Menschen züchtigen, die der Hauptgrund an der stets zunehmenden Verschlimmerung der Menschen waren und noch gleichfort sind und bleiben werden bis ans mögliche Ende der Welt und ihrer argen Zeit. Aber weil die großen und mächtigen Teufel in Menschengestalt für ihre noch so großen Greueltaten nahezu nie sichtlich von Gott aus zum abschreckenden Beispiel für andere ihresgleichen bestraft werden, sondern sich ganz frei und auch allzeit hochgeehrt im größten Wohlleben bewegen und dazu noch mehr Greuel auf Greuel ungestraft begehen können, so kann es uns denn wahrlich auch nicht verargt werden, so wir sagen und behaupten, daß es bei so bewandten Umständen keinen eigentlichen Gott, wie Ihn uns die Schriften Mosis und der anderen Propheten darstellen, je gegeben hat und je geben kann, sondern irgendeine uns Menschen unbekannte Kraft der Erde unter Einwirkung der Sonne, des Mondes, der Planeten, der andern Sterne und der vier Elemente haben auch uns armseligste Menschen so wie alle andern Wesen und Dinge ohne ihr Wollen produziert, und man wird ungefähr also ins Dasein gerufen von sich ihrer selbst sicher so wenig bewußten Kräften der rohen Natur, als wie wenig sich der Mensch alles dessen bewußt ist, wie sein Leib wächst, und wie auf seiner Haut allerlei Haare und das ihm lästige Ungeziefer produziert wird. Darum ist ein Narr derjenige, der nur die geringste Freude an seinem so elend bestellten und allzeit vergänglichen Leben hat und dazu noch voll Demut und tiefster Hingebung einem nirgends seienden Gott für ein solches Leben dankt.

09] Ja, ein rechter Mensch soll Gott wohl suchen, - und hat er Ihn gefunden und von Ihm erfahren, warum er in diese elende Welt gesetzt worden ist, und ob es wohl der vollsten Wahrheit nach ein jenseitiges Fortleben der puren Seele gibt, dann soll er Ihm auch in aller Liebe des Herzens danken für solch ein Leben und Sein, das hinter sich gar große Bestimmungen wohl erweisbar birgt. Aber wo ist der Sucher auf der Erde anzutreffen, dem es der vollen Wahrheit nach gelungen wäre, solch einen Gott irgend gefunden zu haben?

10] Haben Ihn aber irgend Menschen jemals gefunden, wie man derlei in der Schrift häufig liest, warum läßt Er Sich denn von uns gegenwärtigen Menschen nicht mehr finden? Sind wir etwa weniger Menschen, als es da die in der Schrift benannten Menschen waren? Von der Geburt an sind sicher alle Menschen gleich höchst unschuldige Wesen gewesen; wer anders trägt denn hernach die große Schuld an der gegenwärtigen Verkümmerung der Menschen als eben ein solcher Gott, der Sich wohl von den Alten hat finden und erkennen lassen, aber uns, ihre Nachkömmlinge, nicht mehr erhört und ansieht und uns Schwache der vollen Willkür der herzlosesten mächtigen Tyrannen und somit allem Elende preisgibt?«



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