Jakob Lorber: 'Kindheit und Jugend Jesu'


174. Kapitel: Der Abend auf dem Hügel. Josephs und Jonathas Vollmondbetrachtungen. Des Kindleins Winke über das Viel-Wissen im Gegensatz zum Viel-Lieben. Das 'Angesicht' Gottes. Das Wesen des Mondes. (26.03.1844)

01] Da es aber schon Abend geworden war und der Mond gerade im Vollichte über Ostrazine aufging,

02] da bewunderte Jonatha von diesem Hügel dessen schöne Gestalt und ergötzte sich an seinem Lichte und ward ganz stille.

03] Joseph aber bemerkte solches und fragte den Jonatha: »Bruder, was ersiehst du wohl in der leuchtenden Mondscheibe, darum du sie gar so aufmerksam betrachtest?«

04] Und Jonatha antwortete und sprach: »Ich ersehe eigentlich gar nichts - außer die alten stets gleichen Flecken!

05] Doch aber denke ich allzeit, sooft ich also den Mond sehe, was etwa doch die Flecken sind, und was überhaupt der Mond ist, warum wir ihn bald gar nicht, bald wie eine Sichel, bald wieder so und so sehen!

06] Wenn du etwa davon etwas Näheres kennst, so gib mir es kund; denn von derlei Dingen höre ich sehr gerne reden!«

07] Und Joseph sprach: »Lieber Freund, in dieser Hinsicht gleichen wir einander ganz vollkommen;

08] und so bin ich über die sonderbare Beschaffenheit dieses Gestirns ebenso bewandert wie du,

09] und so werde ich dir in dieser Hinsicht spottwenig zu sagen imstande sein! Das Kindlein wird da sicher mehr wissen als ich; darum frage du Dasselbe!«

10] Und Jonatha fragte mit einiger Beklommenheit das Kindlein über des Mondes Beschaffenheit.

11] Und das Kindlein sprach: »Jonatha, so Ich dir den Mond zeige da wirst du auch die Sonne sehen wollen und darnach die zahllosen Sterne!

12] Sage, wann wird dann deine Schaulust und Wißbegierde ein Ende nehmen?!

13] Siehe, viel Wissen macht den Kopf schwer und das Erdenleben unbehaglich!

14] Aber viel Liebe im Herzen zu Gott und deinen Brüdern macht das Erdenleben angenehm und benimmt alle Furcht vor dem Tode!

15] Denn diese Liebe ist ja in sich selbst das ewige Leben; wer aber das hat, der wird dereinst auch zu schauen bekommen alle Schöpfung!

16] Denn die wahren Liebhaber Gottes werden anschauen Sein Angesicht! Das aber ist das Angesicht Gottes, was Er erschaffen hat durch Seine Weisheit und durch Seine ewige Allmacht.

17] Denn die Weisheit und die Allmacht ist das Angesicht Gottes, also wie die Liebe Sein Grundwesen ist von Ewigkeit!

18] Da du Mich aber schon gefragt hast über den Mond, so sage Ich dir: er ist eine Nebenerde und hat Berge, Täler, Früchte, Tiere und Wesen deiner Art.

19] Aber der Teil, den du siehst ist frei und nackt und leer und hat weder Wasser noch Feuer.

20] Der Teil nur, den du nicht siehst, ist der Erde gleich;

21] sein Licht ist von der Sonne und sein Lichtwechsel kommt von seiner Stellung und verändert sich in jeder Minute nach dem Umschwunge um die Erde. Und die Flecken sind tiefere und dunklere Orte der Prüfung.

22] Nun weißt du, was der Mond ist; bist du damit zufrieden?« Und Jonatha bejahte diese Frage und versenkte sich in tiefe Gedanken.



voriges Kapitel Home  |    Inhaltsverzeichnis  |   Werke Lorbers nächstes Kapitel